Drachengabe - Halbdunkel. Torsten W. Burisch

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als wollte er, dass die anderen es nicht mitbekämen, wo er sei.

      „Es dauert doch länger als erwartet“, antwortete sie ihm, allerdings nicht mit gedämpfter Stimme. „Wie sich herausstellte, hatte der Sterbende sein Schicksal mit einem langsam wirkenden Gift selbst gewählt. Doch da er bis vor Kurzem noch regelmäßig unsere Messe besucht hat, ist Pater William bemüht, ihm als letzte Ruhestätte einen Platz auf dem Friedhof zu besorgen. Da das allerdings im Falle eines freiwilligen Ablebens nicht gern gesehen wird, nimmt dieser Fall nun leider mehr Zeit in Anspruch als gehofft. Und damit du noch ausreichend Gelegenheit hast, dir vor der Dunkelheit ein Nachtquartier zu suchen, habe ich beschlossen, dass wir nicht länger warten.“

      Dantra begann, die ihm entgegengestreckten Hände von links nach rechts zu schütteln und die manchmal nicht ehrlich klingenden Segenswünsche für seine Zukunft entgegenzunehmen. Er bedauerte, dass der Platz an dem Pater William für gewöhnlich bei Verabschiedungen stand, leer blieb. Der Priester war wohl der Einzige, den Dantra vermissen würde. Pater William hatte nie ein böses Wort an ihn gerichtet. Ganz im Gegenteil. Wenn sie sich irgendwo zufällig begegnet waren, hatte er ihn immer mit einem freundlichen Lächeln gegrüßt. Während Dantra noch überlegte, ob er auf ihn warten sollte, schob ihn Schwester Burgos bereits mit einem sanften Druck auf die Schulter in Richtung Ausgang.

      Als sich die Klosterpforte geschlossen hatte und er sich draußen auf der Straße befand, verblassten seine Überlegungen. Es war höchste Zeit, Tami zu suchen. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg zum Waldrand, wo sich der Wieselbach aufs offene Gelände schlängelte. Es war der einzige Anhaltspunkt, den er hatte. Als er das Dorf hinter sich ließ und der schier endlos aussehende Wald vor ihm lag, begann er, mit seinen Augen dessen Rand abzusuchen. Die bereits einsetzende Dämmerung war nicht gerade hilfreich, wenn es darum ging, irgendjemanden oder irgendetwas dort zu erkennen. Und auch als er die besagte Stelle erreichte, wo der ruhig dahinplätschernde Bach die letzten Baumreihen passierte, war nichts und niemand zu sehen. Seine Nervosität wuchs und seine Sorge um Tami ließ ihn ziellos am Waldrand auf und ab laufen. Nach einer Weile bemerkte er die Sinnlosigkeit seines Handelns und nahm erschöpft und den Verzweiflungstränen nahe auf einem Baumstumpf Platz. Er stützte seine Ellenbogen auf die Knie und ließ seinen Kopf hängen.

      Da er den Brief, so wie es der anonyme Schreiber von ihm verlangt hatte, im Feuer vernichtet hatte, versuchte er sich nun, so gut es ging, an dessen Inhalt zu erinnern. Vielleicht hatte er etwas übersehen oder etwas Wichtiges vergessen, was ihm nun weiterhelfen konnte. Sein Kummer und seine angestrengten Überlegungen brachten ihm anstatt einer Lösung nur Kopfschmerzen. Resigniert sah er auf den kleinen Ort nieder. Er hatte keine Ahnung, wie es nun mit ihm weitergehen sollte, aber in einer Sache war er sich sicher: Mit diesem Dorf hatte er abgeschlossen. Erst dieses und seine Bewohner hatten ihn doch in diese Situation gebracht. Sie waren schuld daran, dass er Tami wegschicken musste. Sie waren es, die seine Schwester nie akzeptiert hätten.

      Die dicht zusammenstehenden Häuser, die erdrückende Stimmung, die von ihren rückständig denkenden Bewohnern ausging, war ein größeres, aber dennoch haargenaues Abbild des Klosters. Neben seiner Schwester gab es nur einen weiteren Menschen, der seine Gedanken wie auch sich selbst nicht freiwillig gefangen hielt. Und genau diesen, so dachte Dantra, sähe er gerade unten auf dem Hauptzufahrtsweg, dort, wo er sich von einer engen Gasse zu einer breiten Landstraße mauserte. Er versuchte, seinen Augen noch etwas mehr Schärfe abzugewinnen, doch das schwindende Licht verhinderte ein eindeutiges Erkennen. Wer das dort unten auch war, er schien nach jemandem Ausschau zu halten. Er lief hin und her, als sei er sich nicht sicher, ob er im Dorf weitersuchen oder doch lieber die Straße in Richtung Wald ablaufen sollte.

      Plötzlich konnte Dantra die Kleidung des Mannes ausmachen und dies ließ seine Zweifel versiegen. Er trug eindeutig eine Mönchskutte. Dantra stand auf und war schon im Begriff, laut rufend hinunterzulaufen, als eine alte, kratzende Stimme ihn erschrocken herumfahren ließ.

      „Lass uns gehen, es ist schon viel zu spät!“ Hinter ihm stand eine alte, leicht buckelige und mürrisch aussehende Frau. Sie hatte unzählige tiefe Falten in ihrem blassen Gesicht, von denen nur die riesige Hakennase ablenkte. Die beiden ihn ungeduldig betrachtenden Augen besaßen denselben Schwarzton wie die des Raben auf ihrer Schulter. „Nun mach schon“, trieb sie ihn erneut an, „wir müssen uns beeilen.“

      Dantra sah sie entsetzt an. „Ihr, Ihr seid eine Hexe!“

      *

      Kapitel 2

      „Gut beobachtet“, murrte sie. „Aber warum bist du so überrascht? Hast du jemand anderen erwartet? Oder etwas anderes? Eine Fee vielleicht? Tut mir leid, aber ich erfülle dir weder drei Wünsche, noch flattere ich wirr vor dir herum.“

      Da sie unüberhörbar gekränkt war und er es sich nicht gleich mit ihr verscherzen wollte, schon allein wegen seiner Angst, sie könne ihn mit einem Fluch belegen, versuchte er, die richtigen Worte zu finden. „Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Ich habe nur noch nie jemanden wie Euch gesehen.“

      „Jemanden wie mich?“ Sie blickte an sich hinunter. „Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?“

      „Aber ich meine doch nur ...“ Dantras jämmerlicher Versuch, sie zu besänftigen, endete in einer abfälligen Handbewegung ihrerseits.

      „Halt lieber deinen Mund und lass uns endlich gehen, bevor sie uns entdecken und ich noch deinetwegen Ärger bekomme.“ Sie drehte sich so schnell um, dass der Rabe auf ihrer Schulter Schwierigkeiten hatte, sein Gleichgewicht zu halten.

      „Sie?“, fragte Dantra und sah sich suchend um. Niemand war zu sehen, selbst Pater William, wenn er es denn wirklich gewesen war, schien wieder zwischen den Häusern verschwunden zu sein. „Von wem redet Ihr?“ Doch die Hexe schwieg und legte stattdessen ein Tempo vor, dass es Dantra schwerfiel, mit ihr Schritt zu halten. Ihm war rätselhaft, wie eine Frau, die dem Aussehen nach die 70 bereits vor einer halben Ewigkeit überschritten hatte, noch in so einer Geschwindigkeit marschieren konnte.

      Das war aber nicht das Einzige, was ihn nachdenklich stimmte. Sie änderte auch des Öfteren die Richtung, ohne dass Dantra ein System darin erkennen konnte. Er hatte zeitweilig das Gefühl, sie würden im Kreis laufen und er könnte jeden Moment das Dorf wiedersehen. Des Weiteren fiel ihm auf, dass seine Begleiterin sich mit zunehmender Dunkelheit immer nervöser umschaute. War sie vielleicht verwirrt und fand den Weg nicht, wohin auch immer sie wollte? Oder hatte sie gar den Grund vergessen, warum sie durch den Wald lief? Mit jedem Haken, den sie schlug, wuchs Dantras Befürchtung, dass sie ihr Ziel nie erreichen würden. Nachdem sie einen kleinen Bachlauf übersprungen hatten, fragte er schwer atmend: „Wie weit ist es denn noch?“

      „Oh“, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen, „du hast noch Luft zum Reden? Dann können wir ja etwas schneller gehen.“ Sie zog ihr Tempo merklich an, sodass Dantra in einen langsamen Lauf übergehen musste. Er war kurz davor, die Hexe um eine Pause zu bitten, als er an ihr vorbei auf einer kleinen Lichtung eine reetgedeckte Hütte sehen konnte, aus deren Schornstein kaum sichtbarer Rauch aufstieg.

      Seine Begleiterin wurde nun zu Dantras Erleichterung langsamer und blieb im Abstand einer Baumlänge vor der Hütte stehen. Sie deutete auf den Boden und fuhr ihn so barsch an, als hätte er etwas Verkehrtes getan: „Siehst du das Blumenbeet? Es führt einmal ums ganze Haus herum. Was auch passiert, tritt niemals darauf! Verstanden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, machte sie einen großen Schritt über das besagte Beet und ging auf die Tür zu.

      Dantra fiel ein gepflegt angelegter Kräutergarten links neben dem Haus auf. Das meiste von dem, was dort wuchs, hatte er jedoch noch nie gesehen. Und auch die Gerüche, die ihm aus dem gut drei Schritt entfernten Beet in die Nase zogen, waren ihm völlig fremd. Rechts an der Culterseite des Hauses war ein kleiner Schuppen zu sehen. Im Gegensatz zu der massiv gebauten Bruchsteinhütte war er nur lieblos aus Kiefernholzbrettern, an denen sich wild wachsender Efeu festklammerte, zusammengenagelt. Direkt neben der Haustür standen auf der einen Seite einige Körbe und Eimer, auf der anderen eine Holzbank, die mithilfe zweier schwerer Ketten, so wie er es von seiner alten Pritsche her kannte, an der Außenwand angebracht war.

      Mit


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