Drachengabe - Halbdunkel. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Torsten W. Burisch


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ihn mit einem energischen Druck gegen seinen Rücken weiter bis zu einer im Boden eingelassenen Luke. „Beeil dich“, sagte sie und hob den Deckel hoch. Doch Dantra widerstrebte es, in ein Kellerloch zu steigen, ohne zu wissen, warum. Er wollte lieber erst einmal einige Antworten haben. Daher trat er einen Schritt zurück und sagte mit vorgetäuscht selbstsicherer Stimme: „Nein. Erst will ich wissen, wer Ihr überhaupt seid. Und außerdem, woher soll ich wissen, dass Ihr mich nicht da unten verrotten lasst? Und warum soll ich mich ständig beeilen?“

      Zu ihrer ungeduldigen Miene gesellte sich nun ein Zug, der Zufriedenheit ausdrückte. „Na endlich benutzt du mal deinen Verstand und stellst meine Anweisungen infrage. Da du bisher alles, was ich verlangt habe, stillschweigend getan hast, dachte ich schon, du würdest deinen Kopf nur auf deinen Schultern tragen, weil er optisch nirgendwo anders hinpasst. Aber für Antworten ist heute keine Zeit mehr, dafür bist du zu spät am Treffpunkt erschienen. Doch das eine kannst du mir glauben, du willst in dieses Kellerloch steigen.“

      Für einen kurzen Moment dachte Dantra, sie wollte ihm mit einem Hexenzauber ihren Willen aufzwingen. Es kam schon das Gefühl des Stolzes in ihm auf, dass ihr dieses nicht gelang, bis er begriff, was sie eigentlich gemeint hatte. In der Kellerluke erschien seine Schwester Tami und lächelte ihn über beide Wangen an. Dantra war außer sich vor Freude, sie unverletzt und in einer anscheinend guten Verfassung wiederzusehen. Noch bevor die Hexe irgendetwas anderes sagen musste, war er hinuntergestiegen und hatte sie in die Arme geschlossen. „Gott sei es gedankt“, sagte er erleichtert und drückte sie noch fester an sich. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Ich dachte schon, dir wäre sonst was passiert.“

      Mit einem lauten Scheppern fiel die Luke über ihnen zu.

      Misstrauisch sah Dantra nach oben. „Was ist das für eine Frau? Hat sie dir etwas getan? Du warst doch nicht die letzten zwei Monate hier unten, oder?“

      Schmunzelnd über seinen Fragenhagel schüttelte Tami den Kopf, nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich zu einem Tisch, auf dem Papier und Bleistift lagen und an dem zwei Stühle standen.

      Bevor er sich zu ihr setzte, sah er sich den lang gezogenen Kellerraum, in dem sie sich befanden, genauer an. Er war recht niedrig, jedoch hoch genug für jemanden von Dantras Größe. Nur bei den unter der Decke befestigten Petroleumlampen, die den Raum ungewöhnlich hell ausleuchteten, musste er achtgeben, dass er sich nicht den Kopf stieß. Die eine Hälfte des Raumes war voller Gerümpel wie Holzkisten, kleine Fässer und stapelweise Bücher. Es sah aus, als hätte jemand die ganzen Sachen planlos mit einem riesigen Besen in die Ecke gekehrt. Die andere Seite hingegen war aufgeräumt und sogar recht gemütlich eingerichtet. Es standen zwei Betten in L-Form zusammen, neben deren Kopfende jeweils ein kleiner Dreibeinschemel stand, auf dem man seine Kleidung ablegen konnte. An der dritten Wandseite waren zwei schwere Truhen aufgestellt, die ein Ebenbild derer sein konnten, die Dantra im Kloster besessen hatte. Sie standen beide offen. In der einen waren einige Kleidungsstücke seiner Schwester, die andere, wohl für ihn gedacht, war leer.

      Tami klopfte mit einem Bleistift auf die Tischplatte, um auf sich aufmerksam zu machen. Dantra sah zu ihr hinunter. Sie hatte eine Sonne auf das Blatt, das vor ihr lag, gemalt und starrte ihn nun erwartungsvoll an. Er setzte sich zu ihr.

      „Eine Sonne?“, fragte er sie. „Was ist mit ihr?“ Sie strich die Sonne durch und malte stattdessen einen Mond. Nach einem kurzen Moment des Überlegens fragte er nun: „Willst du damit sagen, nicht Tag, sondern Nacht?“ Sie nickte und zeigte mit ihren Fingern in den Raum. „Du bist nur nachts hier unten“, stellte Dantra fest und seine Schwester nickte wieder. „Ach so. Aber warum schon so früh? Es ist doch gerade erst dunkel geworden?“ Sie nahm wieder den Bleistift zur Hand und zeichnete eine Art Vogel. „Wie? Was haben denn Vögel damit zu tun?“, fragte er verwirrt. Doch dieses Mal lag er wohl mit seiner Bilddeutung daneben, denn Tami schüttelte den Kopf. Sie zeichnete die Flügel noch markanter und deutete darauf. Dantra verstand nicht ganz, was sie ihm damit sagen wollte. Seine Vermutung „Meinst du ihren Raben?“ sollte sich erneut als falsch herausstellen, denn sie schüttelte abermals den Kopf.

      Nun zeichnete sie dem Tier scharfe Zähne. „Wegen der Drachen?“, fragte er entsetzt und mit einer Spur von Panik in der Stimme. Ihr Kopfschütteln wurde nun etwas langsamer, so als hätte er fast richtig gelegen. Sie überlegte kurz, dann zeigte sie auf den Mond und wieder auf das geflügelte Tier. Während er sich den Kopf zerbrach, deutete sie immer wieder von der einen Zeichnung auf die andere. „Fledermäuse“, sagte er plötzlich. Sie nickte heftig und lächelte ihn stolz an.

      Er wusste zwar nun, weswegen sie sich nach Einbruch der Dunkelheit im Keller verstecken mussten und dass ihn die Hexe deshalb auch so getrieben hatte, aber der wirkliche Grund war ihm immer noch nicht klar. Denn dass Fledermäuse gefährlich sein konnten, war ihm neu. Er wollte aber Tami nicht weiter mit seinem Unwissen langweilen. „Die Hexe wird mir morgen bestimmt meine zahllosen Fragen beantworten“, dachte er. „Sie war sicher nur wegen der knappen Zeit, die wir hatten, angespannt und daher auch so wortkarg.“ Stattdessen erzählte Dantra Tami lieber von seiner Verabschiedung und dass Pater William leider nicht dabei sein konnte. Danach schwelgte er in Erinnerungen an die vielen Jahre im Klosterheim und was sie dort erlebt hatten. Ab und an zeichnete Tami etwas auf, was Dantra meistens richtig deutete, sodass schon fast ein richtiges Gespräch daraus wurde.

      Die Zeit verflog und beide hatten Mühe, ihre Augen offen zu halten. Tami gähnte und zeigte auf die Betten. Dantra nickte. Doch in diesem Moment fiel ihm auf, dass er noch nie mit Tami in ein und demselben Raum geschlafen hatte. Sie waren zwar Geschwister, aber bei dem Gedanken, sich vor ihr umzuziehen, stieg Scham in ihm auf. Er fühlte, wie er rot anlief, als er sich – unsicher, was sie in dieser Situation tun würde – zu ihr umdrehte. Doch sie stand mit dem Rücken zu ihm und hatte bereits damit begonnen, sich zu entkleiden. Hektisch zog auch er sich aus und streifte seine Nachtkleidung über, sodass sie gleichzeitig fertig waren und in ihre Betten steigen konnten. Für heute hatte er das Problem mit dem An- und Auskleiden gelöst. Über dem Gedanken, ob es morgen früh auch so gut klappen würde, schlief er ein und verschob so seine Sorge zwangsläufig auf den nächsten Tag.

      Als er erwachte, waren die Lampen unter der Decke erloschen. Das einzige Licht, das den Raum erhellte, kam durch die Luke, die offen stand. Dantra wusste zwar nicht, seit wann der Sonnenaufgang vorüber war, seinem Gefühl nach hatte er jedoch noch nie so lange geschlafen. Tami, die ihr Bett bereits verlassen hatte, war den Geräuschen nach in der Küche. Und so nutzte er die Gunst der Stunde und zog schleunigst seine Sachen an. Er machte sein Bett, wie er es aus dem Klosterheim gewohnt war, und stieg die Holztreppe hinauf.

      Neben der Haustür, auf die man als Erstes schaute, wenn man die Kellertreppe hochkam, hingen an einer Garderobe zwei schwere dunkelgrüne Lodenmäntel sowie eine dünne Leinenjacke, die an den Ellenbogen mit Flicken abgesetzt war. Der Hut, den die Hexe getragen hatte, als sie Dantra vom Waldrand abgeholt hatte, war ebenfalls dort abgelegt. Er war pechschwarz mit einer nach oben hin zusammenlaufenden Spitze und einem breiten, akkurat glatten Krempel, auf den ein dezenter, in sich verschnörkelter Blumenkranz gestickt war. Ganz außen an der Garderobe hing ein verschlissen aussehender Baumwollumhang, den Dantra als Tamis erkannte. Auf der anderen Seite der Tür baumelten eine Wünschelrute aus Kirschholz und eine weitere etwas kleinere, die aus einem Birkenast gebrochen war. In der Ecke stand der alt und morsch wirkende Stützstock, mit dessen Hilfe die Hexe am Vortag den Schritt vorgegeben hatte, den Dantra kaum hatte halten können. Als er sich umdrehte, fiel ihm auf, dass die Hütte, vom Keller abgesehen, anscheinend lediglich aus zwei Räumen bestand, da sie auch nur zwei Türen hatte. Die Haustür und eine weitere, durch die man in den hinteren Teil der Hütte gelangte. Die Küche, in der er nun stand, war wie die eine Kellerhälfte vollgestopft mit den verschiedensten Sachen und Gerätschaften, allerdings mit dem Unterschied, dass das Ganze hier systematisch geordnet aussah, was dem Raum einen halbwegs aufgeräumten Eindruck verlieh.

      Er sah Tami, ihm den Rücken zugewandt, an einem gusseisernen Herd stehen. Was auch immer dort in ihrer Pfanne schmorte, es erfüllte den ganzen Raum mit leichten wellenförmigen Rauchschwaden, die besonders dort gut zu sehen waren, wo das Licht der Sonne durchs Fenster fiel. „Guten Morgen“, sagte Dantra gähnend. Tami drehte sich zu ihm um und lächelte.

      „Guten


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