Drachengabe - Halbdunkel. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Torsten W. Burisch


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Muskeln seines Körpers. Erst zu Beginn der zweiten Woche stellte sich eine Veränderung ein. Dantra wollte gerade mit zwei Eimern in den Händen wie jeden Morgen Wasser für das Blumenbeet holen, als die Hexe ihn zurückrief. „Es ist an der Zeit, mit deinem Konzentrationstraining zu beginnen. Daher ist es sinnvoll, dass wir heute die morgendliche Bewässerung des Beetes abkürzen, indem du das Wasser hinten aus dem Tümpel holst.“

      „Aus dem Tümpel?“ Er sah sie fragend an. „Was für ein Tümpel?“

      „Komm mit“, erwiderte sie knapp und ging zur Rückseite des Hauses. Direkt nach dem Blumenbeet fiel das Gelände leicht ab. Die Sicht und das Weitergehen wurden jedoch durch einige niedrige, aber dicht gewachsene Tannen erschwert. Über sie hinweg konnte man erkennen, dass der Wald ein ganzes Stück weiter hinten über einen lang gezogenen Hang wieder hinauflief.

      Die Hexe deutete auf einen Trampelpfad, der einige Schritte neben ihnen seinen Anfang hatte, und meinte: „Wenn du dem kleinen Weg folgst, steuerst du direkt auf den Tümpel zu.“ Sie drehte sich um und ging zurück zum Haus.

      Dantra stand noch einen Augenblick sprachlos da. Er hatte die vergangenen Tage jeden Morgen zig Eimer Wasser einige Hundert Meter weit getragen, nur um damit den in seinen Augen unfruchtbaren Boden zu bewässern. Und nun sagte sie ihm, so als wäre es selbstverständlich, dass sich direkt hinterm Haus genügend Wasser befand und man sich die täglichen Strapazen ersparen konnte. Als er durch das Dickicht trat und tatsächlich vor einer Wasseransammlung stand, war er kurz vorm Platzen. Es lag ein kleiner Teich vor ihm, dessen Quelle der Bach sein musste, denn durchs Unterholz schlängelte sich ein schmales Rinnsal in die Richtung, aus der er sonst immer das Wasser geholt hatte. Mit einer Wut ihm Bauch, wie er sie lange nicht gespürt hatte, verrichtete er seine Arbeit.

      Als er das letzte Stück trockener Erde geflutet hatte, stand die Hexe bereits wieder hinter ihm. „Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du sehr langsam arbeitest? Ich glaube sogar, ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der sich langsamer bewegt. Es grenzt an ein Wunder, dass du dabei nicht einschläfst. Na ja, ist wohl nicht zu ändern. Du bist eben ein verwöhnter Bengel. Komm mit, ich will dir was zeigen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und marschierte los.

      Dantra überlegte ernsthaft, ob er ihr folgen oder lieber das Nächstbeste nach ihr werfen sollte. Sie war noch nie wirklich nett zu ihm gewesen, und er hatte sich wegen des falschen Spiels, das sie eben mit ihm getrieben hatte, auch noch nicht wieder beruhigt. Doch was sie da gerade zu ihm gesagt hatte, setzte dem Ganzen die Krone auf. Leise vor sich hin murmelnd, verfluchte er die Hexe und ihre Vorfahren der letzten drei Generationen. Mit schlurfenden Schritten setzte er sich in Bewegung und stolperte ihr nach.

      Zwischendurch kamen immer wieder Beleidigungen und Unterstellungen von der Hexe, sodass die Wut in ihm, anstatt zu schwinden, unaufhaltsam wuchs. Nach einem Fußmarsch, der sie tiefer in den Wald hineinführte, erreichten sie eine kleine, halbkreisförmige Lichtung, an deren gerader Seite eine dicke, uralt aussehende Eiche stand. Wenn man sich umblickte, fiel sofort auf, dass sie überhaupt nicht hierher passte, denn die anderen Bäume, die die Lichtung umschlossen, waren noch sehr jung und daher bei Weitem nicht so hoch gewachsen. Sie kamen zwar schon zum Teil an die fünfundzwanzig Fuß heran, im Gegensatz zur Eiche jedoch sahen sie beinahe kümmerlich aus.

      „Stell dich dahin, Taugenichts!“ Die Hexe deutete auf die Mitte der freien Fläche. Dantra sah nun aus, als würde er sie gleich anspringen. Mit wutverzerrtem Gesicht beobachtete er, wie sie Richtung Eiche ging und hinter ihr verschwand. „Ich will, dass du genau da stehen bleibst, du Nichtsnutz.“ Er konnte sie zwar nicht mehr sehen, ihre verhöhnende Stimme und damit auch ihr Spott, den er über sich ergehen lassen musste, waren aber noch deutlich zu hören. „Was ist los? Du sagst ja gar nichts. Ist es dir egal, dass ich dich beschimpfe, oder hast du nur Angst zu widersprechen? Du hast Angst! Das merke ich doch. Du weißt nicht, ob ich dich in eine Kröte verwandle, wenn du das Wort gegen mich erhebst.“

      In der Tat traute sich Dantra anfangs aus genau diesem Grund nicht, ihr die Meinung zu sagen. Doch war er nun schon lange über diese Furcht hinweg. Sie war es nicht, die ihn schweigen ließ.

      „Oder ist es wegen Tami? Du hast Angst, ich könnte ihr was antun und du hättest keine Chance, ihr zu helfen.“ Mit dieser Vermutung hatte sie ins Schwarze getroffen. Wenn man jedoch seinen Zorn mit einer Schlange verglich, die sich gerade häutete, und die alte abgestreifte Haut wäre der Schutz vor einem Wutanfall, dann war er trotz seiner Bedenken nur noch das kurze Zucken eines kleinen unbedeutenden Nervs davon entfernt, den letzten Rest Schutzhaut hinter sich zu lassen.

      „Ich kann dich beruhigen“, sagte die Hexe und ihre Stimme klang dabei nicht mehr abwertend und schadenfroh, es lag nun eher ein Drohen, ein Unheil bringendes Krächzen darin, sodass Dantras Fantasie nicht lange auf sich warten ließ und ihren Worten Bildern folgen ließ. „Ich werde ihr nichts tun. Warum auch? Die Bewohner eines jeden Dorfes hier in der Gegend würden die Schmutzarbeit bravourös und mit größter Freude für mich erledigen. Sie würden sie der Hexerei anklagen, obwohl sie nicht einmal eine Stimme besitzt, um sich zu verteidigen. Sie würden ihr die Haare abschneiden und sie über Nacht in das dreckigste Loch werfen, das sie finden können. Aber keine Sorge, sie wäre dort nicht alleine. Das übelste Pack, das aufzutreiben ist, würde ihr Beistand leisten. Gottlose Kreaturen ohne Gewissen, aber dafür mit vielen männlichen Trieben. Nachdem sie dann am nächsten Morgen von sämtlichen Bewohnern beschimpft und bespuckt werden würde, empfände sie das Feuer, das an ihren Beinen hochkriecht, während sie von ihren Peinigern mit Pferdeäpfeln, verfaulten Essensresten und vor allem mit Steinen beworfen werden würde, als Erlösung. Sie würden ihren zerschundenen und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichnam vom Pranger zerren und ...“

      „Neiiiiiiin!“ Dantras Vorstellung des beschriebenen Szenarios ließ seine Sinne weichen. Selbst sein Aufschrei war schon nicht mehr die Ausführung eines klaren Befehls seines Verstandes. Er hatte keine Kontrolle mehr über sich und sein Verhalten. Stattdessen verspürte er abermals diesen Druck in seinem Brustkorb und das Hämmern in seinen Kopf, während die Umgebung vor seinen Augen bis zur endgültigen Schwärze verschwamm. Wieder durchzog ihn ein Kribbeln, das nicht abzuschütteln war. Und wieder war es ein Gefühl der Entladung durch jede Pore seines Körpers, kurz bevor seine Beine nachgaben und er in völlige Bewusstlosigkeit fiel.

      „Magisch. Ungezähmt, aber magisch.“

      Dantra schlug die Augen auf. Er lag auf dem Rücken im weichen, frisch duftenden Gras. Er wusste zwar nicht, wieso er dort lag, doch verspürte er das Bedürfnis, noch lange Zeit in dieser Position zu verharren und sich einfach nur auszuruhen.

      „Er muss sie bändigen.“

      Gegen den hellen Frühsommerhimmel konnte er nur die Umrisse der Hexe erkennen. Sie stand direkt neben ihm. Zu seiner Verwunderung blickte sie aber nicht zu ihm herab, sondern betrachtete die Umgebung. Was sie dort auch immer sah, es schien sie zu faszinieren. Von Neugierde gepackt hob Dantra den Kopf, ließ ihn aber sofort wieder auf den weichen Untergrund sinken, als er ein Dröhnen unter seiner Schädeldecke verspürte. Er hatte das Gefühl, er wäre mit voller Wucht und dem Kopf voran gegen die alte Eiche gelaufen. „Bleib noch etwas liegen und ruh dich aus. Dann geht es dir sicher gleich besser.“ Die Hexe sah nun auf ihn herab und zu seinem Erstaunen war ihr Tonfall nicht mehr schroff und herzlos, sondern freundlich und mitfühlend. Er schloss seine Augen und spürte die warme Sonne auf seiner Haut. Wie gern hätte er seine Gedanken gelöst und diesen Moment in vollen Zügen genossen, doch jene kreisten wie ein Strudel unaufhaltsam um das, was gerade passiert war, und die Parallelen zu dem, was sich vor gar nicht allzu langer Zeit in seiner Kammer im Klosterheim abgespielt hatte.

      Nun kam auch wieder die Neugierde zurück. Er wollte unbedingt wissen, was die Hexe so interessant fand, dass sie ihn erst gar nicht beachtete. Den Schmerzen und seiner Trägheit zum Trotz setzte er sich auf. Er entdeckte, dass die Hexe sich nach einem abgeknickten Baum gebückt hatte und ihn ganz genau begutachtete. Als er sich weiter umsah, bemerkte er, dass sämtliche Bäume, die an die Lichtung angrenzten, in dem gleichen Zustand waren wie derjenige, den seine Begleiterin untersuchte. Sie waren alle von der freien Fläche ausgehend, und damit von ihm weg, in Richtung Wald abgeknickt. Zum Teil hatte es sogar die in der zweiten Reihe stehenden Bäume


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