Die Patchworkfamilie. Sybille Geuking

Die Patchworkfamilie - Sybille Geuking


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      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Kapitel 16

       Kapitel 17

       Kapitel 18

       Kapitel 19

       Exposé

Patchworkfamilie – 1 –
Kapitel 1

      Tina schaute auf die Uhr. 16 Uhr und es wurde schon dämmerig. Bald würde sie die Hausnummern nicht mehr erkennen können. Also dann ist das für heute die letzte Adresse, beschloss sie und sah nochmal auf die Karteikarte. Nummer 25. Sie stieg aus und blickte sich um. Nette Wohngegend hier, wahrscheinlich Genossenschaftswohnungen, zwar Plattenbau, aber nur dreigeschossig, mit viel Grün drum herum. Sie klingelte. Die Sprechanlage knackte und eine Frauenstimme erklang: „Ja, bitte?“ „Mein Name ist Tina Lenk vom ‚Henning-Kinderservice‘. Ich wollte zu Ihnen.“ Der Türöffner summte. Tina drückte die Haustür auf und stieg die Treppe hinauf bis in den zweiten Stock. Die junge Mutter stand schon in der Tür und bat sie herein. Sie trug einen Pferdeschwanz, Jeans und Pullover. Sie mochte Anfang 20 sein und machte einen freundlichen, gepflegten Eindruck. „Kommen Sie ins Wohnzimmer, der Kleine schläft gerade.“ Tina warf als erstes einen Blick in den Stubenwagen und bewunderte das niedliche Baby. „Bitte setzen Sie sich doch.“ Tina nahm im Sessel Platz und schaute sich im Wohnzimmer um, das auf den ersten Blick einen gemütlichen Eindruck machte. Interessiert betrachtete sie die zahlreichen Fotos, die jeweils von kleinen Tisch- oder Hängelampen akzentuiert beleuchtet wurden. Doch plötzlich durchfuhr es sie siedend heiß. Auf all diesen Bildern war ein Mann in Naziuniform abgebildet. „Heinrich Himmler“, entzifferte sie eine Bildunterschrift. In einer Glasvitrine lagen eine Hakenkreuzfahne und ein Eisernes Kreuz. Tina verzog jedoch keine Miene und begann mit ihrem Verkaufsgespräch. Die junge Frau hörte aufmerksam zu, stellte einige Fragen und schloss dann relativ rasch eine Ausbildungsversicherung für ihr Kind ab. Nachdem die Kundin unterschrieben hatte, verabschiedete sich Tina und ging zu ihrem Auto. Sie warf sich in ihren Sitz und atmete tief durch. Was war das denn? Wie konnte eine so nette junge Frau solch einen Kult um einen Naziverbrecher treiben? Tina vermutete, dass da wohl der Vater des Kindes die Haupttriebkraft war. Aber was ging sie das an? Geschäft war Geschäft und die Gesinnung ihrer Kunden konnte ihr egal sein. Sie hatte ihren Abschluss in der Tasche, sollten die doch machen, was sie wollten.

      *

      Tina ließ den Motor an und fuhr zum nahegelegenen Kindergarten. Sie parkte den Wagen und stieg aus. Till spielte gerade im Garten. Als er sie am Eingangstor sah, kam er mit ausgebreiteten Armen auf sie zu gerannt. „Na, mein Kleiner, jetzt fahren wir nach Hause“, sagte sie und umarmte ihn. „Aber erst müssen wir uns noch von Frau Schneider verabschieden.“ Die Kindergärtnerin lächelte und schüttelte beiden die Hand: „Na dann, schönes Wochenende, bis Montag.“ Till winkte ihr zu, während er neben seiner Mutter zum Auto hüpfte. Tina öffnete die Tür und schnallte ihn auf dem Kindersitz an.

      „Guck mal, was ich hier Leckeres habe.“ Sie drückte Till ein Rosinenbrötchen in die Hand. Der Junge strahlte und biss hinein. „Wir müssen noch einkaufen, Onkel Thomas kommt zu Besuch.“ „Jaaa!“, krähte der Kleine. „Dann spielen wir wieder mit dem Kaufmannsladen!“ Er überlegte kurz und platzte heraus: „Da müssen wir noch Marzipankartoffeln kaufen!“ „Na, mal sehen“, grinste Tina und steuerte den Supermarkt an. Was Thomas wohl hat, fragte sich Tina, während sie wartete, bis die Ampel wieder auf Grün sprang. Es muss doch einen Grund geben, weshalb er uns so zwischendurch besucht. Es ist weder Weihnachten noch Ostern und Geburtstag hat auch keiner. Tinas Gedanken wurden durch ein Hupkonzert unterbrochen. Die Ampel zeigte Grün. „Ja, ja, ist ja gut“, brummelte sie und fuhr los. Sie nahm die Einfahrt zum Supermarkt und fand schnell einen Parkplatz. Sie hob Till aus dem Auto und schon auf dem Weg zu den Einkaufswagen versuchte er, den Chip in Tinas Hand zu erhaschen. „Darf ich das machen?“ „Ja, klar. Hier hast du ihn. Aber pass auf, klemm dir nicht die Finger ein!“ Auf Zehenspitzen stehend, bugsierte Till den Chip in die dafür vorgesehene Öffnung am Einkaufswagen und drückte ihn mit der linken Hand mit aller Kraft in die Arretierung bis es klickte und die Kette heraussprang, mit der er an dem anderen Wagen befestigt war. Tina klappte den Kindersitz heraus und setzte Till hinein. Der baumelte mit den Beinen und genoss den Überblick von dort oben. Nachdem Tina alle Dinge, die auf ihrem Zettel standen,

      *

      beisammen hatte, schob sie den Einkaufswagen an der Süßwarenabteilung vorbei in Richtung Kasse. „Marzipankartoffeln!“, krähte Till und deutete mit seinem Zeigefinger auf das Regal. „Na gut, ihr Naschkatzen“, seufzte Tina und packte zwei Tüten der kleinen braunen Kugeln in den Wagen. An der Kasse stellten sie sich an das Ende einer Warteschlange. Sie hatte ihre Waren schon auf das Band gelegt, als sie bemerkte, dass der alte Mann vor ihr in seinem Portemonnaie kramte. „Wenn Ihnen zehn Cent fehlen, müssen Sie etwas hierlassen“, meinte die Kassiererin. Der Mann brummelte etwas vor sich hin und durchwühlte seine Hosentaschen, fand aber offensichtlich kein weiteres Geldstück. „Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter?“, murrte eine in der Warteschlange stehende Frau. Tina wippte mit dem rechten Fuß auf und ab. Dann zog sie ihre Geldbörse aus der Handtasche und legte ein Zehn-Cent- Stück zum Geld des Mannes. Er schaute sie verwundert an. „Danke.“ „Schon gut“, antwortete Tina und packte mit der rechten Hand ihre restlichen Sachen auf das Band, mit der linken drückte sie den zappelnden Till zurück in seinen Sitz im Einkaufswagen. „Jetzt bleib noch sitzen, bis ich bezahlt habe, danach hebe ich dich raus!“ Till gehorchte, Tina bezahlte und verstaute die Lebensmittel in dem mitgebrachten Einkaufskorb. Dann hob sie Till aus dem Wagen und lief mit ihm zu dem Parkhäuschen für die Einkaufswagen, wo er fachgerecht die Kette in einen schon geparkten Wagen einklickte und den herausspringenden Chip auffing. „Klasse!“, lobte Tina. „Jetzt aber schnell zum Auto!“ Sie griff nach Tills Hand und zog ihn mit sich fort. Zu Hause angekommen, packte sie die Einkäufe in die dafür vorgesehenen Schränke und begann, den Küchentisch für das Abendbrot zu decken. Da hupte es draußen auch schon dreimal kurz, einmal lang. Tina schaute aus dem Fenster.


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