Tin Men. Mike Knowles
hielt seine Dienstmarke hoch. »Aufstehen.«
»Ein Scheißbulle? Scheiße, wir ham nichts gemacht. Was willst du von uns, ey? Das is’ Scheißprofiling, Mann«, sagte der Weiße.
Das gefiel Os – als schwarzer Cop für Profiling beschimpft zu werden. »Aufstehen«, wiederholte er. Er öffnete seinen Mantel, damit die vier seine Waffe sahen und kapierten, dass er es ernst meinte. Die anderen beiden, ein kleiner Latino und der Pisser, ein blasses Pummelchen, kamen jetzt auf die Verandatreppe zu. Nummer eins blieb auf seinem Arsch sitzen. Da Os nicht im Vorgarten aktiv werden wollte, hielt er ihm eine Karotte hin.
»Hände an die Seitenwand. Los jetzt.«
Os beobachtete, wie der drogenverranzte Verstand von Nummer eins diese Information verarbeitete. Es dauerte ein bisschen, bis er kapiert hatte – vier gegen einen, von der Straße nicht sichtbar. Sein Lächeln entblößte die wenigen verbliebenen braunen Zahnstummel. Was sich anscheinend nie jemand klarmachte: Wenn Meth etwas so Hartes wie einen Zahn kleinkriegte, hatten die Organe im Körper keine Chance.
»Okay, Officer«, sagte Nummer eins. »Machen wir.«
Nummer zwei lächelte und folgte Nummer eins um die Hausecke. Die anderen beiden Junkies schwangen hinterher wie ein wackelnder Arsch. Os beäugte die vor ihm trabende Meute. Meute war das passende Wort. Die Typen sahen aus wie dürre, klapprige Hunde – Kojoten. Hunde sind Aasfresser und jagen im Rudel. Sie isolieren ein schwächeres Opfer und reißen es nieder, aber immer gibt es ein Alphatier, das die Beute auswählt. Dass die vier Männer sich so spät am Abend draußen rumtrieben, bedeutete, dass sie nichts mehr zu rauchen hatten – die Meute brauchte Futter.
Jäger machen sich meistens nichts aus Kojoten – sie sind auf größeres Wild aus –, aber da entgeht ihnen was. Ein paar Wildhunde in die Ecke getrieben, das gibt einen echten Kampf. Danach interessiert einen kein Hirsch mehr.
Der schmale Durchgang neben dem Haus war auf der einen Seite von der Ziegelsteinwand, auf der anderen von einem Holzzaun begrenzt, der zum Nachbarhaus gehörte. Os konnte Nummer eins nicht sehen, als der rief: »Sollen wir die Hände hochheben, Officer?«
Os fühlte das Adrenalin losrauschen. »An die Hauswand.«
Und dann kam es.
»Zwing uns doch.«
Nummer drei und vier waren die Mitläufer, loyal, aber auch high auf etwas, das irgendein Küchenchemiker gemischt hatte. Sie brauchten eine Weile, um die Bedeutung der Worte ihrer Alphas zu verarbeiten und zu kapieren, dass das Wörtchen »uns« bedeutete, dass sie diejenigen waren, die sich als Erste bewegen sollten.
Os wartete nicht, bis die elektrischen Impulse in den Matschbirnen von Nummer drei und vier übergesprungen waren. Bevor der kleine Latino sich auch nur gerührt hatte, trat Os ihm das Rückgrat ein. Der Latino war höchstens eins fünfundsechzig und spindeldürr. Os wählte sein Ziel so, dass der kleine Mann nicht bloß von seinem Fuß abprallte, sondern der Rücken sich durchbog, und dann gab es irgendwo in seinem Inneren ein lautes »Plopp«, und der Latino fiel gegen seinen Kumpel, der daraufhin das Gleichgewicht verlor und schwankte. Os trat über den Latino hinweg und schlug dem Pisser dreimal hart auf den Hinterkopf. Er krachte mit dem Gesicht gegen die Hauswand und klappte zusammen.
Nummer eins und zwei verzogen sich in den Hinterhof. Sie hatten mehr Verstand als die anderen beiden; als Os um die Ecke kam, hatten sie bereits die Hände oben.
»Komm doch, Bulle.« Aus dem Narbengesicht klangen die Worte noch hässlicher. Nummer eins und zwei rückten ein Stück auseinander, damit Os in zwei Richtungen gleichzeitig kämpfen musste.
»Für die Marke und die Knarre gibt’s ’ne Menge Kohle«, sagte Nummer eins. »’Ne Menge.«
Os blieb an der Hausecke stehen, sodass der Seitendurchgang hinter ihm lag. Die Junkies rechneten mit ihm auf dem offenen Hinterhof, einen Plan B hatten sie nicht. Als sie kapierten, dass er nicht tat, was sie wollten, versuchten sie, ihn mit Beschimpfungen wie »Pussy« und »Feigling« aus der Deckung zu locken, aber Os rührte sich nicht vom Fleck. Er öffnete nur seinen Mantel und zeigte ihnen die Dienstmarke. Schließlich wurde Nummer zwei gierig, ließ den Plan fallen und sprang mit einem hohen Kick auf Os zu. Damit hatte er nicht gerechnet. Für einen Junkie war Nummer zwei ganz schön fix, und der Kick zielte darauf ab, Os seitlich am Kopf zu treffen. Der Methhead ließ dabei sogar ein »Hijah« hören.
Os’ Reflexe waren besser als gut, außerdem hatte er den Vorteil, dass sein Hirn nicht von Meth vernebelt war. Er bewegte sich vorwärts und flirtete zunächst mit dem Kick, um dann plötzlich die Richtung zu ändern und sich so tief zu bücken, dass der Angriff ins Leere lief. Os ließ den Tritt seinen Zenit erreichen und änderte wieder die Richtung. Der Sekundenbruchteil zwischen Höhepunkt und Rückzug reichte ihm. Explosionsartig schoss er aus der gebückten Haltung nach oben und stieß mit beiden Händen hammerartig gegen das dürre Bein, das immer noch auf Augenhöhe in der Luft hing. Nummer zwei wurde von seinem Fuß gerissen, und an der Art, wie er sein Bein festhielt, als er rücklings auf dem Boden lag, wusste Os, dass irgendwas darin gerissen war. Nummer eins holte jetzt ein Teppichmesser aus der Tasche und schob mit dem Daumen die Klinge hoch. Os hätte seine Glock ziehen können, aber er war nicht auf eine Verhaftung aus, und eine Schießerei wäre zu laut gewesen. Der Junkie kam auf ihn zu und säbelte mit großen Messerschwüngen die Luft klein. Das sollte geschickt und gefährlich wirken, sah aber bloß schludrig aus.
Dann setzte Nummer eins einen vertikalen Schwung von unten an, mit dem Ziel, Os die Messerspitze in den Bauch zu rammen und hochzureißen bis zum Hals. Os warf sich diagonal dagegen und wich der Klinge um wenige Zentimeter aus. Nummer eins hatte viel Kraft in den Angriff gelegt, und als er sein Ziel verfehlte, stolperte er nach vorne, Opfer seines eigenen Schwungs, auf einen Ellbogen zu, der direkt vor seiner Nase hing. Os erreichte mit einer Hüftbewegung maximale Drehkraft, und Nummer eins fiel um wie vom Blitz getroffen. Die harte Schneedecke brach unter seinem Gewicht und hüllte ihn ein. Im Dämmerlicht der wenigen Straßenlaternen hinter dem Haus sah Os, dass das Gesicht des Junkies ziemlich platt war.
Os hob einen Fuß und versank dabei mit dem anderen tiefer im Schnee. Die dicke Gummisohle seines Stiefels hing wie eine dichte schwarze Regenwolke über dem Gesicht des Junkies. Er wollte gerade zutreten, als sein Handy klingelte. Erst wollte er den Anruf ignorieren, aber das war nicht sein Stil – die Pflicht rief. Os setzte den Fuß wieder im Schnee ab und fischte sein Handy aus der Tasche.
»Yeah?«
»Os, ich brauch dich hier an der 110 Ferguson Avenue South«, sagte Jerry Morgan, Detective Sergeant der Mordkommission von Division 1.
Die Adresse klang vage vertraut. »Was ist los, Jerry? Ich hab gerade Feierabend gemacht.«
Jerry seufzte, und Os sah vor sich, wie der rundliche Sergeant in seinem Schreibtisch nach seinem schier unerschöpflichen Süßigkeitenvorrat kramte.
»Wir haben einen Polizistenmord. Sie war nicht im Dienst. Es ist bei ihr zu Hause passiert. Sie war auf Bandenkriminalität angesetzt. Julie Owen. Kennst du sie?«
»Nein«, sagte Os.
»Sieht schlimm aus, Os. Ich brauch dich da.«
Der Wunsch, dem Methhead die Fresse einzutreten, verschwand wie eine Münze in der Hand eines Zauberers.
Os stieg über den schlapp daliegenden Junkie hinweg und ging zur Straße. »Ich bin in zehn Minuten da.«
2
»Findest du mich fett, Jennifer?«
Das Stöhnen vor der Antwort fiel zu kurz aus, um als genussvoll durchgehen zu können. »Baby, ich heiße Jenny. Hab ich dir doch gesagt.«
Einen Moment lang vergaß Dennis seinen Bauch und lachte etwas zu laut für den Raum. »Du bist alles andere als eine brave Jenny.«
Jennifer holte scharf Luft und zog den Kopf zurück. Ihre Lippen waren gekräuselt, als hätte sie einen sehr schlechten Geschmack im Mund. »Niemand nennt mich Jennifer.«
Dennis