Tin Men. Mike Knowles
sinnlos war. »Du klingst wie mein Vater.« Das Gemeine wurde fast boshaft.
»Echt?«
Jennifer lächelte, während sie sich langsam vorbeugte. Wenn sie etwas konnte, dann den Moment nutzen. »Ja – Daddy.«
Dennis seufzte auf, als sich Jennifer wieder daran machte, ihren Fünfziger zu verdienen. Sie war gut, und alles war auf einem guten Weg gewesen, bis Dennis zufällig sein Spiegelbild in der Balkontür erblickt hatte. Er konnte sich nicht davon abhalten, wieder hinzugucken.
»Im Ernst, findest du mich fett?«
Jennifer stand seufzend auf und ging zum Sofa. »Willst du jetzt lieber einen Personal Trainer oder machen wir hier weiter? Weil, für beides haben wir keine Zeit.«
Dennis ignorierte die Frage und strich mit den Fingern über seinen Bauch. Er beobachtete die Geste im Fenster. Das Spiegelbild bestätigte, was seine Hände ihm sagten – er war fett. Er hob seinen Bauch an und musterte jeden einzelnen der dunkelrosa Schwangerschaftsstreifen, die sich über die blasse Haut zogen. Sie waren sogar in der drei Meter entfernten Scheibe noch zu erkennen.
»Ich bin fett«, sagte Dennis, mehr zu sich selbst als zu Jennifer.
»Du bist nicht fett, Baby. Du siehst männlich aus. Wie ein Mann, der hart arbeitet. Ich kann deine Muskeln sehen, das macht mich ganz heiß.«
Dennis löste den Blick von seinem Spiegelbild und wandte sich Jennifer zu. Sie hatte die Knie unter sich gezogen. Der von der Sonne ausgeblichene Sofabezug war einst ein farbenfrohes Muster aus verschiedenen Vögeln auf beigem Hintergrund gewesen. Das kleine Schwarze, straff gestreckt und eine von Jennifers Schultern entblößend, hob sich von den ausgeblichenen Vögeln ab. Jennifers High Heels lagen umgekippt auf dem Boden.
Dennis schüttelte den Kopf und nickte mit dem Kopf in Richtung der von dem hochgerutschten Kleid entblößten Haut. »Du lügst. Ich bin zu fett für dich.«
Jennifer rutschte auf den Fußboden hinunter und krauchte langsam auf Dennis zu, wie eine Katze auf der Jagd.
»Du bist nicht fett, du bist mächtig. Und das macht mich heiß. Das kann man nicht sehen – das spürt man. Ich zeige es dir.«
Dennis vergaß die Fensterscheibe. Er vergaß alles außer Jennifers Mund, bis sein Handy zu klingeln begann, das auf dem Couchtisch lag und durch die Vibration langsam über die Glasplatte rutschte. Dennis versuchte, sich auf das Schnurrgeräusch zu konzentrieren, das Jennifer von sich gab, aber das Telefon war stärker – das Telefon war immer stärker. Er schob Jennifer weg und ging zum Couchtisch. Dabei erhaschte er in dem Spiegel neben der Wohnungstür einen Blick auf seinen Kopf und die Schultern und dachte einen Moment lang, Jennifer könnte recht haben – er sah eigentlich ganz mächtig aus. Er wischte über das Display des Smartphones und trat dichter an den Spiegel heran. Als er die Schwangerschaftsstreifen aus der Nähe sah, wandte er sich ab.
»Hamlet.«
»Dennis, Jerry hier. Ich brauch dich an der 110 Ferguson Avenue South.«
»Jerry, heute ist mein freier Tag. Ich weiß, dass der Tag praktisch um ist, aber auch die Nacht gehört mir. Komm schon, Mann, ich hab ein Mädchen da.«
Jennifer warf sich das Haar über die Schultern und ihm einen Luftkuss zu.
»Eine von uns hat’s erwischt. Julie Owen, Detective bei der GANG-Einheit. Mir egal, ob heute Weihnachten ist, du bist dran.«
»Bin sofort da.«
Dennis drückte den Anruf weg, ging zum Sofa und hob seine Unterhose auf.
»Verschwinde«, sagte er.
»Aber wir hatten doch gerade Spaß, Daddy.«
Dennis zog seine Hose an und kramte drei Zwanziger aus der Tasche. »Nimm das und geh, Benjamin.«
Jennifer stand auf und zog das Kleid zurecht. »Wer –«
»Ich kenn deine Akte – wo du gewesen bist, was du gemacht hast. Ich weiß, wie dein Vater dich genannt hat, Benjamin.«
Dennis wedelte mit den Geldscheinen, bis Jennifer sie ihm aus der Hand zog. Kaum war die Transaktion vollbracht, packte er Jennifer am Arm und schob sie zur Haustür. »Warte, meine Schuhe.«
Er stellte Jennifer an der Haustür ab. »Bleib hier«, sagte er, ging zurück ins Wohnzimmer, sammelte die High Heels vom Teppich auf und warf einen Schuh nach dem anderen in Richtung Tür. Jennifer schützte ihren Kopf mit den Händen und ließ die Schuhe gegen die Wand prallen.
»Du fängst schlechter als ein Mädchen«, sagte Dennis.
»Dafür mache ich eine Menge anderer Dinge besser als die meisten Mädchen. Leider wirst du das heute nicht rausfinden. Vielleicht morgen?«
Dennis öffnete die Tür und schob Jennifer nach draußen. Er wollte die Tür wieder schließen, hielt jedoch inne, als sie noch einen Spalt offen stand. »Vielleicht morgen«, sagte er.
»Wir haben ein Date, Daddy.«
Dennis schloss die Tür und machte sich fertig.
3
»Wo ist das verdammte Pizzastück?«
Woody bekam keine Antwort, er redete mit sich selbst. Eine schlechte Angewohnheit, die sich im letzten Jahr festgesetzt hatte wie Hautausschlag. Woody kramte durch Stapel alter Pizzaschachteln, als wären es Akten, er suchte nach den Resten der Pizza von gestern. Die Schachteln sahen alle gleich aus, und Woody versuchte, sich zu erinnern, welche Seite der Küchentheke der Anfang und welche das Ende war. Da lagen um die vierzig Schachteln, und er hatte das dumpfe Gefühl, am falschen Ende angefangen zu haben. Er stand neben dem Kühlschrank. Obwohl er gerade eine Zwölf-Stunden-Schicht und drei Bier hinter sich hatte, funktionierte seine Coplogik noch.
»Die Schachteln am Kühlschrank müssten die älteren sein, weil, da würde ich stehen und essen, wenn die Küche leer wäre. Ich würde zum Essen was trinken wollen und die Schachtel abstellen, um mir ein Bier zu holen.«
Um seine Hypothese zu überprüfen, hob Woody den Deckel der untersten Schachtel neben dem Kühlschrank an und fasste hinein. Er fand kein Pizzastück, dafür etwas, das er erst mal vom Boden der Schachtel abpulen musste. Er stieß den Fingernagel hinein, dann zog er die Hand aus der Schachtel und hielt sie sich vors Gesicht. Um Licht zu haben, musste er sich umdrehen. Die 40-Watt-Funzel, mit der er die alte Birne in der Küche ersetzt hatte, war zu schwach. Aber er hatte keine andere im Haus gehabt, und um Ersatz hatte er sich nie gekümmert. Das Dämmerlicht enthüllte, dass es sich bei dem gefundenen Klumpen ehemals um eine grüne Olive gehandelt hatte. Obendrauf spross Schimmel, aber der verschrumpelte Teil, der an der Pappschachtel festgeklebt hatte, war noch immer grünlich.
Woody nickte und umrundete die Kücheninsel, deren Granitoberfläche mit Werbewurfsendungen und alten Essensschachteln vom Chinesen übersät war. Die Kücheninsel endete am Mülleimer. Woody konnte den Abfall selbst bei geschlossenem Deckel riechen und versuchte, sich zu erinnern, wann er zuletzt den Müll rausgebracht hatte. Kein gutes Zeichen, dass er nicht wusste, an welchem Tag die Müllabfuhr kam. Das Grummeln in seinem Magen ließ ihn den Müll vergessen; er hielt direkt auf die oberste Schachtel des letzten Stapels zu und förderte ein Pizzastück von gestern mit Schinken und Ananas zutage.
»Elementar, mein lieber Watson«, sagte er laut.
Die Pizza war kalt und ziemlich fade, die Ananas aber noch ein bisschen feucht. Woody hatte sich nie was aus Ananas gemacht – das war ihr Lieblingsbelag gewesen. Woody war sicher, dass sie Ananas nur bestellt hatte, damit er ihre Pizzahälfte nicht aß. Aber ein Jahr täglichen Pizzakonsums hatte Woodys Geschmack verändert. Nach sechs Monaten war ihm schon bei dem Gedanken an Peperoni und Salami, seiner Standardbestellung, übel geworden. Also musste er entweder etwas anderes bestellen oder kochen lernen. Woody hatte begonnen, sich andere Beilagen auszusuchen, und festgestellt, dass er Pizza weiterhin essen konnte. Ananas vermied er noch ein paar Monate, aber irgendwann war er eingeknickt und hatte das Obst bestellt. Eine Zeit lang aß er