Dr. Norden Bestseller Box 13 – Arztroman. Patricia Vandenberg
beschimpft. Ich bin mal wieder an allem schuld, weil er niemanden mehr hat, an dem er seine Wut auslassen kann.«
»Was hast du unternommen?« fragte Fee.
»Er kommt in eine Entziehungsanstalt. Der Mann ist gemeingefährlich. Da gibt es kein Pardon mehr. Er gehört in Sicherheitsverwahrung. Hoffentlich hat diese arme Frau nun noch ein paar ruhige Jahre.«
»Paps und Anne werden schon dafür sorgen«, sagte Fee. »Hast du eigentlich schon gehört, wie es dem Vertreter geht?«
»Das bringt Herr Rogner über seine Versicherung in Ordnung. Einige Tausender und ein neues Auto sind
für ihn wohl ein Trostpflaster, und die Welt ist wieder in Ordnung. Man müßte das auch manchmal können,
Fee.«
»Dann wärst du nicht Daniel Norden, der Mann, den ich liebe«, erwiderte sie voller Zärtlichkeit.
»Und du nicht meine Fee«, meinte er, sie ganz fest in die Arme nehmend.
Wie schön war es zu wissen, daß sie ganz übereinstimmten, daß es nichts gab, was Zweifel erzeugen konnte, daß sie immer und über alles miteinander sprechen konnten.
Ganz besonders glücklich waren sie, wenn sie so armen Menschen wie Frau Schindelbeck helfen konnten.
Sie und ihr Karlchen mußten sich wirklich wie im Himmel fühlen auf der Insel, in den zwei schönen, gemütlichen Zimmern. Karlchen konnte es gar nicht glauben, daß er ein richtiges Bett für sich allein bekam, und was für ein Bett. Und dann das Essen. So was hatte er noch nie vorgesetzt bekommen. Bisher hatte das, was sie verdient hatten, gerade dafür gereicht, daß sie nicht zu hungern brauchten.
Was Karlchen aber am allerwenigsten begreifen konnte, war, daß alle so nett zu ihnen waren, und er fragte seine Mutter beklommen, ob das morgen auch noch so wäre.
Frau Schindelbeck stand ganz reglos mit gefalteten Händen da, zum ersten Mal seit vielen Jahren sich geborgen fühlend, frei von Angst.
»Meinst du wirklich, daß sie morgen auch noch so nett zu uns sind und nicht schimpfen, Mutti?« fragte Karlchen.
Sie strich ihm über das Haar. »Das können wir jetzt glauben, mein Kleiner«, sagte sie leise. »Werde du ein guter Mensch, damit ich nicht umsonst gelebt habe.«
»Ich ärgere dich nicht, Mutti. Nicht wie der Sepp. Du sollst nimmer weinen«, sagte Karlchen. »Aber der Sepp kommt ja nicht mehr.«
Und es bleibt nichts, dachte sie, nicht mal ein bißchen gute Erinnerung. Und da stand das Warum mit einem riesengroßen Fragezeichen. Warum mußte es so kommen, wo sie doch nur das Gute gewollt und gewünscht hatte.
So müde war sie, so unsagbar müde, daß sie dann gleich einschlief. Doch am nächsten Morgen erwachte sie erquickt. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und Karlchen schlief noch selig und süß.
Niemand schrie sie an. Sie konnte die Stille genießen. Ein Schimmer von Freude kam in ihre Augen.
»Herrgott, ich danke dir, daß ich das noch erleben darf.«
*
Auch Lucy Rogner schickte ein Dankgebet zum Himmel. Achim hatte die Augen aufgeschlagen. Ob er etwas wahrnahm, konnte man nicht sagen, aber das erste Wort, das er über die Lippen brachte, war »Mami«. Leise und flehend klang es.
Sie streichelte seine Wangen und seine Hände, sie küßte seine Nasenspitze, die aus dem Verband hervorlugte.
»Ich bin ja bei dir, Achim«, sagte sie, bemüht, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. »Deine Mami ist bei dir.«
Er sank wieder in den Schlaf zurück, ruhiger nun, gleichmäßiger atmend.
Der Chefarzt kam. »Das Schlimmste ist nun wohl geschafft, Frau Rogner«, sagte er, als er Puls und Blutdruck kontrolliert hatte. »Ist zum Glück ein zähes Bürschchen.«
Er sagte nichts davon, daß sie in der Nacht noch fürchten mußten, daß er es nicht durchstehen würde. Nun waren sie froh, daß sie die Eltern nicht geholt hatten. Es waren ihnen drei schlimme Stunden erspart geblieben, in denen mit Herzmassagen, Infusionen und allen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht worden war, das Leben des Kindes zu erhalten.
Lucy Rogner sah Dr. Reichert aus feuchten Augen an. »Wird er leben, Herr Doktor?« fragte sie besorgt.
»Jetzt können wir hoffen«, erwiderte er.
»Und was wird bleiben?« fragte sie mit erstickter Stimme. »Ich möchte es wissen. Ich muß vorbereitet sein, damit ich ihm helfen kann. Es braucht doch seine Zeit, bis man sich hineinfindet. Bitte, sagen Sie mir die ganze Wahrheit.«
»Viele Narben werden bleiben«, erwiderte er. »Vielleicht auch ein steifes Bein. Aber glücklicherweise keine Querschnittlähmung, wie wir zuerst fürchten mußten. Es wird aber Monate dauern, bis er wieder laufen kann, Frau Rogner.«
Sie senkte den Kopf. »Wenn er nur lebt«, murmelte sie, »alles andere werden wir überstehen.«
Sie war sehr tapfer. Dr. Reichert wünschte sich, daß alle Mütter so wären. Sie saß Stunden um Stunden am Bett, ohne eine Schwester in Anspruch zu nehmen. Keine Klage kam über ihre Lippen. Sie äußerte keinen Wunsch. Sie sagte nie, was so viele sagten: »Das ertrage ich nicht. Ich kann hier nicht dauernd sein.«
Mittags kam Dr. Norden. Kollege Reichert hatte schon mehrfach mit ihm telefoniert. Nun wollte Dr. Norden auch einmal persönlich mit ihm sprechen.
Zehn, vielleicht auch fünfzehn Jahre älter mochte Dr. Reichert sein als er. Sie waren sich auf den ersten Blick sympathisch.
»Ich freue mich, daß wir uns mal persönlich kennenlernen, Herr Kollege«, sagte Dr. Reichert. »Gehört habe ich schon viel von Ihnen und auch von der Insel der Hoffnung. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich mich auch dort erholen.«
»Sie werden jederzeit willkommen sein«, erwiderte Daniel. »Aber was hört man denn so über mich, wenn ich neugierig sein darf?«
»Nur Gutes. Sie haben die Patienten, die sich jeder Arzt wünscht, aber die haben ja auch einen Arzt, wie ihn sich jeder Kranke wünscht. Ich habe Sie schon oft beneidet, das soll nicht ungesagt bleiben.«
Da konnte Daniel auch nur staunen. Das sagte ein Chefarzt, der gewiß keinen Grund hatte, sich einzuschmeicheln.
»Schauen Sie, lieber Norden«, fuhr Dr. Reichert fort, »da geht man Tag für Tag, jahrein, jahraus, von Zimmer zu Zimmer, und ganz selten nur lernt man einen Patienten richtig kennen. Die, die man kennenlernt, weil sie monatelang hier liegen, sind meist Todeskandidaten. Und was sonst ein Klinikchef alles zu verdauen hat, wissen Sie ja.
Als ich jung war, hatte ich nicht die Möglichkeit, eine eigene Praxis zu gründen. Da war ich heilfroh, daß ich die Assistenzstelle bekam, und dann hat man sich so heraufgedient. Lieber Gott, was bin ich redselig. Dabei ist Ihre Zeit kostbar.«
Ob er auch niemanden hat, mit dem er reden kann? fragte sich Daniel. Hier lebt wohl auch jeder für sich
allein. Es war bekannt, welches Gerangel es in den großen Krankenhäusern oft gab. Ja, er war froh, daß er dem nicht ausgesetzt war. Dr. Reichert gehörte sicher nicht zu jenen, die sich kaltblütig über alles hinwegsetzen konnten. Das verriet auch sein Interesse an der Familie Rogner und die Tatsache, daß er selbst sich ausschließlich um Achim bemüht hatte, obgleich die weitere Betreuung doch meist dem Stationsarzt überlassen blieb.
Daniel erfuhr auch, wie kritisch Achims Zustand in dieser Nacht gewesen war.
»Hoffentlich wiederholt sich das nicht wieder«, sagte Dr. Reichert. »Ja, und dann bleibt natürlich die Überlegung, wie es der Junge verkraften wird, auf lange Zeit hinaus behindert zu sein. Er scheint ja ein rechter Treibauf gewesen zu sein.«
Das war nicht wegzureden. Aber Dr. Reichert setzte voraus, daß Dr. Norden die weitere ärztliche Betreuung des Jungen übernehmen würde, wenn er dann, wann, blieb offen, nach Hause entlassen werden konnte.
»Ich