Bildungsdokumentation in Kita und Grundschule stärkenorientiert gestalten. Petra Büker

Bildungsdokumentation in Kita und Grundschule stärkenorientiert gestalten - Petra Büker


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und resümierend seine vorangegangene Lernsituation und zieht Schlüsse für seinen weiteren Entwicklungsprozess.

      National und international zählen die regelmäßige und systematisch durchgeführte Beobachtung, Dokumentation, Analyse und Interpretation kindlicher Lern- und Entwicklungsprozesse zu den wichtigsten Maßnahmen der Qualitätsentwicklung des Elementar- und Primarbereichs (vgl. Graf, 2008a). Darin eingeschlossen sind in der Regel der kollegiale Austausch im Team, die Aufbereitung in adressatengerechter medialer Form, die Rückmeldung an das Kind und seine Eltern im Rahmen von Entwicklungsgesprächen sowie die Planung sich anschließender, adaptiver Bildungsangebote. Dieser gesamte Prozess wird als Bildungsdokumentation oder international als »pedagogical documentation« bezeichnet. Als zentrale Zielsetzung werden von fachlicher und bildungspolitischer Seite eine erhöhte Transparenz über den Bildungsweg des Kindes genannt, daneben die möglichst lückenlose Erfassung von kindlichen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen (was besondere Fähigkeiten und Interessen ebenso einschließt wie spezifische Unterstützungsbedarfe) als Basis für optimale individuelle Förderung. Schließlich wird die Bildungsdokumentation auch als sichtbarer Nachweis von Professionalität der pädagogischen Arbeit gegenüber Eltern, Trägern und weiteren Professionen gewertet (vgl. Jergus & Thompson, 2017). Die regelmäßige (d. h. nicht nur anlassbezogene) und systematische Beobachtung und Dokumentation von Entwicklungs- und Lernprozessen eines jeden Kindes ist deutschlandweit mittlerweile in allen Rahmen-, Orientierungs-, Lehr- und Bildungsplänen für den Elementar- und Primarbereich verankert. Insbesondere in den für die KiTas entwickelten Bildungsplänen sowie in den übergreifend für KiTa und Grundschule geltenden »Plänen zweiter Generation« (vgl. Fthenakis, 2008; Röhner, 2014) werden ein stärkenorientierter Blick auf die Kinder gefordert und eine ressourcenorientierte Beobachtung, Dokumentation und Förderung favorisiert. Letzterer werden große, entwicklungsförderliche Potenziale für die Kinder und zugleich Optimierungspotenziale für die pädagogisch-didaktische Arbeit zugeschrieben, gepaart mit der Formulierung hoher Erwartungshorizonte an Erzieher/innen, Lehrkräfte und Kinder (image Kap. 3). Der Begriff der Ressourcenorientierung entstammt der sozialpädagogischen Familienhilfe und umfasst sowohl personale als auch Umweltfaktoren, die sich günstig auf die Lebensbewältigung eines Menschen auswirken (können) und deshalb durch pädagogische Fachkräfte entdeckt, aktiviert und für die Persönlichkeits- und Resilienzentwicklung des Kindes genutzt werden sollten. Ressourcenorientierte Ansätze gehen von einer grundsätzlichen Fähigkeit des Menschen zur (Weiter-) Entwicklung und vom Bild eines aktiv handelnden Menschen aus (vgl. Kiso, Lotze & Behrensen, 2014, S. 6 und S. 16). Häufig wird der Ressourcenbegriff synonym mit Stärkenorientierung verwendet, wenngleich Ersterer noch stärker die systemische Sicht auf entwicklungsförderliche Umfeldfaktoren einbezieht.

      In den letzten fünfzehn Jahren haben sich in KiTa und Grundschule vielfältige und vielerorts etablierte Praxen der Beobachtung, Dokumentation und Rückmeldung herausgebildet. Dabei verliefen die Entwicklungen im Elementar- und Primarbereich durchaus disparat: In vielen KiTas erfolgten Implementierungsbemühungen von Verfahren, die individuelle Ressourcen, Themen und Aktivitäten der Kinder in den Mittelpunkt stellen. Hierzu zählen ganzheitlich und ressourcenorientierte Konzepte wie beispielsweise die Themen der Kinder (vgl. Andres & Laewen, 2011) sowie insbesondere die aus Neuseeland (vgl. Carr & Lee, 2012) adaptierten Bildungs- und Lerngeschichten (vgl. Leu, 2007). Letztere fokussieren das aktive, sich selbst in ko-konstruktiven Settings bildende Kind und seine Lerndispositionen. Beobachtungen von Engagement, Interessen, sozialer Eingebundenheit usw. werden dem Kind in wertschätzender, dialogischer Weise zurückgemeldet – der eingangs zitierte Ausschnitt aus einer Lerngeschichte für Marie ist ein Beispiel dafür. Einem Partizipationsansatz folgend, werden die Kinder in die Planung nächster Schritte, d. h. neuer zu nutzender Bildungsangebote, aktiv mit einbezogen. Parallel zu qualitativen Verfahren dieser Art, bei denen das hermeneutische Verstehen kindlicher Aktivitäten im Zentrum steht, nutzen KiTas Instrumentarien, die aus diagnostischer Perspektive dazu dienen, allgemeine Entwicklungsstände und bereichsspezifische Kompetenzen möglichst präzise und orientiert an vorab festgelegten Kategorien zu erfassen, um etwaige Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen. Diese Instrumente sind entweder als Screenings (z. B. das Bielefelder Screening, vgl. Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowronek, 2002) oder als gestufte Kompetenz- und Entwicklungsraster (wie z. B. Kuno Bellers Entwicklungstabelle (2004) oder auch das Verfahren KOMPIK (vgl. Mayr, 2012)) konzipiert und unter testtheoretischen Gesichtspunkten validiert. Trotz des grundsätzlichen Anspruchs an Stärkenorientierung richtet sich bei diesen Beobachtungsverfahren der Blick durchaus auch darauf, was das Kind – gemessen an altersgemäßen Normwerten – (noch) nicht kann, bzw. darauf, ob Risikolagen vorliegen (image Kap. 3.3). Um die Ziele dieser Verfahren erreichen zu können, wird bewusst die reale Komplexität zu Gunsten einer Fokussierung auf bestimmte Entwicklungsbereiche reduziert. So werden die Beobachtungen in einheitlichen, standardisierten Situationen vorgenommen, in denen das zu beobachtende Verhalten bzw. die zu lösende Aufgabe genau vorgegeben sind (vgl. Leu, 2011, S. 25): Dokumentierte Analyseergebnisse und Rückmeldungen im Zusammenhang solcher Verfahren lesen sich dann wie im oben aufgeführten Beispiel von Nico.

      In der Grundschule kommt neben der Entwicklungsnorm ein weiteres Referenzfeld hinzu, auf das sich die Beobachtungen und die daraus erwachsenden Einschätzungen beziehen: Dies sind die curricular vorgegebenen Lernziele, die fachspezifisch für bestimmte Klassenstufen festgelegt sind. In traditioneller Systemlogik bezogen sich Beobachtungs-, Dokumentations- und Rückmeldepraxen vor diesem Hintergrund vorwiegend auf die Lernleistungen des Kindes. In der modernen Grundschulpädagogik werden Beobachtung und Dokumentation in der Schule der pädagogischen Diagnostik zugeordnet und in weitergefasstem, ganzheitlichem Sinne auch auf überfachliche Entwicklungsprozesse bezogen. Pädagogische Diagnostik »[…] geht immer von der Absicht aus, Schülerleistungen zu verbessern sowohl durch die Bereitstellung von Unterstützungsmaßnahmen bei Lernschwierigkeiten als auch bei der Förderung von besonderen Begabungen. Pädagogische Diagnostik geht in ihrem Anspruch ebenfalls davon aus, die gesamte Persönlichkeit des Kindes in den Blick zu nehmen und sie nicht nur auf einzelne Lernprozesse zu reduzieren« – so lautet beispielsweise eine entsprechende Begriffsbestimmung in den nordrhein-westfälischen Bildungsgrundsätzen für Kinder von null bis zehn Jahren (Bildungsgrundsätze MSW/MFKJ NRW, 2016, S. 38). Tests und Klassenarbeiten sind keinesfalls abgeschafft; im Kontext von Outputorientierung und Standardisierung des Bildungssystems gelten sie als Indikatoren für Lernstände (vgl. kritisch dazu Büker, 2015, in Band 1 dieser Reihe sowie Arbeitsgruppe Primarstufe Siegen, 2014). Auch werden nach wie vor Ziffernnoten zur Beurteilung und Rückmeldung von Leistungen eingesetzt. Diese werden ergänzt um eine vielerorts in der Schuleingangsstufe etablierte Verbalbeurteilung – das eingangs aufgeführte dritte Textbeispiel zeigt einen Ausschnitt aus dem Berichtszeugnis für James, welches seine soziale und fachliche Kompetenzentwicklung im ersten Schulbesuchsjahr bilanziert.

      Im Anschluss an die sogenannte »Neue Lernkultur« (vgl. Winter, 2012) und insbesondere durch die seitens des Grundschulverbands angeregte und konzeptualisierte »Pädagogische Leistungskultur« (vgl. Bartnitzky, 2006) ist die Beobachtungs-, Dokumentations- und Rückmeldepraxis im Primarbereich in den letzten Jahren in Bewegung gekommen. So nehmen viele aktuelle Grundschulrichtlinien Bezug auf die Empfehlung des Grundschulverbandes und sehen den Einsatz von Instrumenten zur Erfassung der individuellen Kompetenzen der Kinder über einen längeren Zeitraum vor, welche sowohl den Prozess als auch das Ergebnis der Lernentwicklungen dokumentieren. Dies sei für die Planung individueller Fördermaßnahmen sowie für die Unterrichtsreflexion und -optimierung grundlegend (vgl. beispielsweise das Grundschulcurriculum NRW, Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, 2008). Insbesondere seien die Kinder daran zu beteiligen. Sie werden als selbstständige Lerner neu positioniert, indem sie ihre Lernstrategien, -prozesse und -ergebnisse anhand von innovativen Dokumentationsformen wie Portfolios, Selbsteinschätzungsbögen und Lerntagebüchern eigenverantwortlich beobachten, fixieren und in Feedbackgesprächen mit der Lehrkraft sowohl retrospektiv bewerten, als auch zukunftsgerichtet planen sollen. Der letzte obige Textauszug ist Teil einer persönlichen Wochenbilanz aus dem Lerntagebuch eines


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