Bildungsdokumentation in Kita und Grundschule stärkenorientiert gestalten. Petra Büker

Bildungsdokumentation in Kita und Grundschule stärkenorientiert gestalten - Petra Büker


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KiTa und Grundschule werden dabei, wo dies möglich ist, übergreifend betrachtet. Dort, wo institutionenspezifische Entwicklungen, Logiken und Praxen eine Rolle spielen, werden diese entsprechend getrennt aufgegriffen. Die Bildungsdokumentation im Übergang vom Elementar- zum Primarbereich wird dabei jeweils gesondert betrachtet. Dabei wird auffallen, dass die Potenziale, welche eine Bildungsdokumentation für die Qualitätsentwicklung pädagogischer Praxis und damit letztlich sowohl für die Optimierung kindlicher Entwicklungschancen wie auch für die Professionalisierung der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte beinhaltet, bislang nur unzureichend genutzt werden.

      Dieser Band beschränkt sich allerdings nicht auf eine Problemanzeige und Risikoanalyse im Bereich der Bildungsdokumentation. Basierend auf der dieser Buchreihe zugrunde liegenden Idee einer kinderstärkenden Pädagogik soll vielmehr ein konzeptioneller Beitrag zur Qualitätsentwicklung von Beobachtung und Dokumentation erarbeitet werden. Dazu wird eine verfahrensübergreifende Grundstruktur, die typische Kernelemente bzw. Phasen der Bildungsdokumentation kohärent verbindet, mit einer Reflexionsfolie verknüpft, welche an entscheidenden Stellen im Beobachtungs-, Dokumentations- und Rückmeldeprozess kritische Anfragen auf verschiedenen Ebenen ermöglicht. Gewissermaßen aus der Vogelperspektive sollen auf der Ebene der individuellen Fach- bzw. Lehrkraft, auf der Ebene des Teams bzw. Kollegiums, auf der Ebene der Leitung sowie der Träger/Administration Reflexionsfragen angeboten werden, die eine sogenannte »Beobachtung der Beobachtung« ermöglichen. Diese können nicht allein in der Praxis, sondern auch in wissenschaftlichen Beobachtungskontexten als Wahrnehmungs- und Analysefokusse wie auch für die selbstkritische Methodenreflexion genutzt werden. Ziel einer solchen problemsensiblen Reflexion ist die Professionalisierung der Begleitung kindlicher Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse, gemäß der Idee, Kinder zu stärken, Fachkräfte zu professionalisieren und Einrichtungen weiterzuentwickeln.

      Im nachfolgenden Kapitel werden Beobachtung und Dokumentation als pädagogische Kerntätigkeiten in den Blick genommen, um eine differenzierte Grundlage für die sich anschließenden Problemanzeigen zu schaffen.

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      Beobachten und Dokumentieren als pädagogische Kerntätigkeiten: Charakteristika und Realisierungsformen

      Beobachten im Sinne von aufmerksamem, verstehendem Wahrnehmen von Bildungsprozessen von Kindern und Jugendlichen zählt seit dem 18. Jahrhundert zum Kerngeschäft pädagogischer Fach- und Lehrkräfte (vgl. Berdelmann, 2016; Reh, 2012a): Erziehen, Arrangieren von Lehr-Lern-Prozessen, Beraten, Bewerten, Reflektieren – all diese zentralen Aufgabenbereiche sind wesentlich mit Beobachtung verbunden.

      »Eine Beobachtung besteht in der Wahrnehmung eines Verhaltens oder einer Verhaltensäußerung durch einen Beobachter. Verhalten umfasst in diesem Sinne jedes Agieren, jede Reaktion oder Nichtreaktion einer Person oder Personengruppe, die einer Beobachtung bewusst zugänglich ist« (Jäger, 2007, S. 52).

      Sowohl in der pädagogischen Praxis wie auch in der Sozialforschung kann Beobachtung als das klassische Verfahren der Informations- bzw. Datengewinnung angesehen werden (vgl. Abel, Möller & Treumann, 1998, S. 62). Dabei ist es wichtig zu beachten, dass mit ihr nur Ausschnitte aus dem Gesamtgeschehen des Verhaltens erfasst werden können: Motive, Einstellungen usw., die das Verhalten steuern, sind nicht beobachtbar. Beobachtungen sind nie objektiv, denn sie sind immer auch geprägt von der Person des Beobachters und der spezifischen Beobachtungssituation. Vorwissen, Motivation, die eigene Befindlichkeit und implizite Persönlichkeitstheorien beeinflussen ebenso wie die Menschenbildannahmen des Beobachters mit, was in welcher Situation unter welchem Fokus beobachtet wird. Beobachtung vollzieht sich immer in einem komplexen Prozess von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, in dem Selektionen und Abspeicherungen stattfinden, die dem Beobachter in der Regel selbst nicht bewusst sind. Im Bestreben, der beobachteten Situation Sinn zu verleihen, erfolgt eine Bedeutungszuschreibung qua Interpretation des Wahrgenommenen. Diese steuert auch die Dokumentation der Beobachtung: Für relevant Gehaltenes wird festgehalten, Irrelevantes wird außen vor gelassen. »Jeder Beobachter konstruiert offenbar seine eigene Wirklichkeit« (Korossy, 2011, S. 14). Anlass, Intention und Situationsspezifik bestimmen in starkem Maße, wer welches Setting wie beobachtet und interpretiert. Hierbei wird grob zwischen drei Funktionskontexten unterschieden: der Alltagsbeobachtung, der wissenschaftlichen Beobachtung und der diagnostischen Beobachtung (vgl. Abel et al., 1998, S. 63). Die Fähigkeit zur alltäglichen Beobachtung ist dem Menschen quasi angeboren; als Grundlage für nachahmendes Lernen steuert sie vom Säuglingsalter an Entwicklungsprozesse und dient auch in pädagogischen Kontexten ganz allgemein der Orientierung der Akteure in der Welt (vgl. Atteslander & Cromm, 2010). Alltägliche Beobachtung geschieht zufällig, spontan und unmittelbar und ist emotional geleitet. Alltagsbeobachtung, von anderen Autoren auch als Gelegenheitsbeobachtung bezeichnet (vgl. Kleber, 1992), ermöglicht dem Beobachter ein schnelles Reagieren in komplexen sozialen Situationen, ist aber gleichzeitig auch sehr fehleranfällig. Wissenschaftliche Beobachtung ist hingegen systematisch geplant, der oder das zu Beobachtende ist theoretisch begründet (vgl. Zumhasch, 2011, S. 297). Sie ist zweckgerichtet und zielt auf die »[…] Beschreibung bzw. Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit vor dem Hintergrund einer leitenden Forschungsfrage« (Kleber, 1992, S. 199). Einen besonderen Ansatz bietet die ethnografische Beobachtung, bei der es »[…] vor allem um eine Beschreibung von Praktiken geht, die u. a. dieses implizite Wissen, den Vollzug und die Darstellung von Praktiken, Fragen der Lösung von Handlungsproblemen und der Handlungskoordination zu explizieren versucht« (Breidenstein, Hirschauer & Kalthoff, 2013, S. 33). Diagnostische Beobachtung im pädagogischen Feld folgt ebenfalls einer Systematik; sie intendiert das Verstehen und Einordnen eines Einzelfalls, um daraus (Förder-/Forder-)Maßnahmen ableiten zu können (vgl. Lukesch, 1998). Wissenschaftliche und diagnostische Beobachtungsverfahren zielen auf größtmögliche Objektivität; sie orientieren sich daher an klassischen Gütekriterien (image Kap. 5.1). Alle drei Beobachtungsformen spielen in KiTa und Grundschule eine Rolle. Sie greifen ineinander, etwa, wenn Ergebnisse einer unsystematischen Beobachtung mehr oder weniger zufällig auf Ereignisse aufmerksam machen, für die eine fundierte Erklärung benötigt wird, und im Anschluss eine systematische Beobachtung auslösen. Die intrinsisch motivierte Neigung zur Alltagsbeobachtung der Fachkräfte, d. h. das Interesse an und das Verstehen-Wollen von kindlichen Aktivitäten, bildet grundsätzlich eine sehr gute Voraussetzung für diese pädagogische Kernaufgabe, kann aber nicht deren alleinige Basis sein. Aus Professionalisierungsperspektive werden positive Effekte auf die Qualität der Alltagsbeobachtung erwartet, wenn die Kompetenzen des wissenschaftlich-forschenden sowie des diagnostischen Sehens entwickelt werden. In Anbetracht der hohen Fehleranfälligkeit von Beobachtung, die weitreichende Folgen für die Kinder nach sich ziehen kann (image Kap. 5.1.2), geht es insbesondere darum, Fachkräfte so zu qualifizieren, dass sie die verschiedenen Anwendungsformen der Beobachtung kennen, diese situationsspezifisch bewusst und kompetent anwenden können und für Wahrnehmungsprozesse, Beobachtungsfehler und mögliche Wirkungen auf die Kinder selbst, die Eltern und die Teams/Kollegien sensibilisiert sind.

      Zur Ausdifferenzierung der verschiedenen Beobachtungsformen hat Kleber (vgl. Kleber, 1992, S. 199) einen Kategorisierungsansatz vorgenommen, der unseres Erachtens der bewussten Unterscheidung von Beobachtungssettings in Forschung und Praxis zuträglich ist: Er führt fünf Kategorien an, welche die verschiedenen Beobachtungsformen voneinander abgrenzen. Dies sind der »Anlass«, die »Richtung«, die »Distanz«, die »Offenheit« sowie die »Struktur« einer Beobachtung. Auf dieser Basis unterscheidet er als Modi der Beobachtung:

      • Gelegenheitsbeobachtung vs. systematische Beobachtung: Sofern der Anlass einer Beobachtung ein begründetes Erkenntnisinteresse ist und der Beobachter sich gezielt in eine geplante Situation begibt, um genau dieses Interesse zu befriedigen, handelt es sich um eine systematische Beobachtung.

      • Selbstbeobachtung vs. Fremdbeobachtung: Die Beobachtung kann auf die eigene Person oder auf äußere Situationen und das Verhalten anderer gerichtet sein. Zwar dominiert in KiTa und Grundschule die Fremdbeobachtung, allerdings gibt es viele Möglichkeiten, die


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