Stehaufmenschen. Brigitte Gogl
die Angst, aber auch die Leichtigkeit. Das unbeschwerte Leben einer 20-Jährigen ist schlagartig vorbei, die Prioritäten im Leben verschieben sich: „Wenn man sich früher überlegt hat, soll ich die Haare heute Abend lockig haben oder soll ich sie glätten, oder welchen Puder kaufe ich mir, das wird halt alles unwichtig, wenn man keine Haare mehr hat“, sagt Lisa.
Doch die Behandlungen schlagen gut an, der Knoten wird im Laufe der Monate spürbar kleiner und Lisa erhält nach langem Bangen und Hoffen endlich die erlösende Nachricht: Sie hat den Krebs besiegt! Alle feiern mit ihr diese frohe Botschaft, sind glücklich und erleichtert – nur für Lisa selbst ist der große Tag nicht so, wie sie ihn sich ausgemalt hat: „Ich habe mir gedacht, mit fällt dann ein Riesenstein vom Herzen und alles ist super, aber so war es nicht.“ Lisa findet sich nach der ersten großen Freude völlig überraschend in einem großen, schwarzen Loch wieder.
Es beginnt die Phase, die Lisa heute als „schwieriger als die Erkrankung an sich“ bezeichnet. Für alle anderen, für Familie und Freunde passt jetzt alles wieder, man ist gesund. „Aber man kann nicht ganz normal weiterleben, jetzt kommt die große Unsicherheit, was ist, wenn der Krebs zurückkehrt und niemand tut etwas dagegen, ich kriege ja keine Medikamente mehr, ich bin allein mit dem Feind in meinem Körper“, erinnert sich Lisa an diese schwierige Zeit.
Am schlimmsten ist, wenn diese Ängste vor dem Wiederkehren der Erkrankung heruntergespielt werden. „Ganz besonders in dieser Situation will man sich verstanden fühlen und nicht das Gefühl vermittelt bekommen, dass das jetzt total irrationale Ängste oder unwichtige Gedanken sind“, hat Lisa inzwischen auch von anderen Betroffenen erfahren. „Besser wäre die Botschaft: Ja, es stimmt, es kann wieder etwas zurückkommen, und wir können tun, was in unserer Macht steht, wir können auf die Ernährung achten oder Sport machen, alles tun, was dir guttut“, erklärt Lisa. Sie kämpft über Monate mit diesen unerträglichen Gedanken, die besonders vor den Nachuntersuchungen für sie kaum zu ertragen sind.
Lisa hat den Krebs besiegt, das zeigen die Kontrolltermine beständig. Die Angst vor einer schlechten Nachricht wird mit jeder Nachuntersuchung kleiner. Und die Kräfte wachsen in Lisa langsam wieder, was sie daran spürt, dass sie sich wieder um die Verwirklichung ihrer Lebensziele kümmern will.
Bald wird Lisa Zöhrer als Logopädin ins Berufsleben einsteigen. Und den großen Traum von einer eigenen Familie und Kindern, den Lisa schon vor ihrer Erkrankung hatte, will sie weiterhin verwirklichen. Wenn auch nicht mehr mit dem Partner, der sie durch die Krankheit begleitet hat. Danach haben sich die beiden Leben in verschiedene Richtungen entwickelt, sagt Lisa, so wie eben die Fragen an das Leben nicht mehr dieselben sind wie vor der Erkrankung.
Was ist die größte Erkenntnis für die junge Kämpferin, die eine lebensbedrohliche Krankheit so bewundernswert bewältigt hat? „Man muss nicht in jedem Moment im Leben stark sein. Schwäche soll man immer im Leben zulassen, weil es eine Stärke ist, wenn man Schwäche zeigen kann“, sagt Lisa Zöhrer.
Da war die Welt noch in Ordnung: Lisa Zöhrer mit Schwester und Mutter (1) und bei einer Familienfeier (2). Der Leistungssport hat sie stark gemacht (3), sodass sie ihrer Krebserkrankung mutig und in Würde begegnen konnte (4/ 5).
SEPP MARGREITER
JAHRGANG 1952
Er war ein „gestandener“ Tiroler, wie man so sagt, mit beiden Beinen fest im Leben stehend. Sein Traum war es, einmal wie Karl Schranz Skirennläufer zu sein. Er trainierte hart, aber nach ein paar Beinbrüchen war es aus mit der geplanten Karriere und er wurde stattdessen Chef einer Skischule und ein hervorragender Musikant – so feierte Sepp Margreiter schließlich viele Erfolge im In- und Ausland. Bis ihn ein dramatischer Arbeitsunfall jäh aus seinem Leben riss: Der 46-Jährige wurde beim Holzarbeiten von einem Baum beinahe erschlagen und war fortan querschnittgelähmt.
Von schönen Tönen zum Leben erweckt
Ich habe geglaubt, jetzt ist alles vorbei. Wenn ich damals schon gewusst hätte, was im Rollstuhl noch alles möglich ist, dann hätte ich nicht so viel weinen müssen“, sagt der an sich hartgesottene Sepp Margreiter heute über sein Leben, das sich seit dem lebensbedrohlichen Unfall so massiv verändert hat.
Sepp, verheiratet und Vater von drei Söhnen, ist im Mai 1999 mit seinen Kollegen beim Holzarbeiten im Wald. Es ist alles wie immer, die Motorsägen heulen, oberhalb von ihm wird ein Baum gefällt, Sepp Margreiter trägt Helm und Gehörschutz. Doch dann das Unerwartete: Ein Baum ist morsch und fällt in die falsche Richtung. Die Kollegen warnen Sepp noch durch Schreie, doch die kann er nicht hören. Der Baum fällt falsch, und er fällt dem Sepp genau ins Kreuz.
Eine beispiellose Rettungsaktion beginnt: Per Hubschrauber kommt sofort der Notarzt, und er erkennt die akute Lebensgefahr, weil sein Patient dabei ist, innerlich zu verbluten. Der Arzt operiert mitten im Wald, öffnet den Brustkorb und legt Drainagen, damit das Blut abfließen kann. Ein paar Minuten später, und Sepp Margreiter wäre nicht mehr am Leben.
Doch das Bangen bleibt: Sechs Wochen lang liegt Margreiter im Koma, mit sechs gebrochenen Wirbeln, einem praktisch durchtrennten Rückenmark und einem lebensgefährlichen Lungenriss. Monatelang wird er auf der Intensivstation künstlich beatmet, bis endlich Entwarnung gegeben werden kann. Ganz benebelt ist Sepp Margreiter noch von den vielen Schmerzmitteln, als er in der Aufwachphase plötzlich eine ganz zarte Melodie hört, die er aber nicht zuordnen kann. „Das glaubt man nicht, aber ich dachte wirklich, jetzt bin ich tot und im Himmel angekommen“, lacht Sepp Margreiter heute. Doch die Musik ist real, ein Arzt hatte die Idee, den 11-jährigen Sohn von Sepp auf der Intensivstation mit der Ziehharmonika spielen zu lassen. „Er hatte recht, das hat meine Lebensgeister ganz schnell wieder geweckt, das Erlebnis werde ich nie mehr vergessen.“
So wie sich jener Tag einprägt, als der Pfarrer auf der Intensivstation auftaucht und dem Sepp ein Stück Hostie in den Mund schiebt. „Ich habe mich innerlich furchtbar aufgeregt, weil ich geglaubt habe, jetzt geht es mit mir zu Ende und der Pfarrer ist gekommen, um mir die Letzte Ölung zu geben.“ Dabei ist es nur ein normaler Sonntagsbesuch des Pfarrers und Sepp ist mittlerweile klar in Richtung Genesung unterwegs. Die Querschnittlähmung freilich wird ihn sein Leben lang begleiten.
Aber davon ahnt Sepp Margreiter zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Dass er querschnittgelähmt ist, erfährt er nämlich nicht hochoffiziell, sondern eher zufällig: Als er erkennt, dass er seine Beine nicht mehr bewegen kann, sagt eine Krankenschwester zu ihm, sie kenne einige Querschnittgelähmte, die weiterhin selbständig eine Firma führen. „Da war mir plötzlich klar, dass ich im Rollstuhl sitzen werde. Dieser Satz hat sich in meinem Hirn eingebrannt, ich war total verzweifelt und habe hemmungslos geweint.“
Sepp Margreiter kommt nach dem Krankenhaus in das Rehabilitationszentrum Bad Häring, das auf querschnittgelähmte Patientinnen und Patienten spezialisiert ist. Er wird liegend transportiert und ist so schwach, dass er kaum die Arme heben kann. Aber sein Kampfgeist ist nach vielen Tränen und nach dem ersten Schock schon wiedererwacht. „Bis Dezember muss ich wieder fit sein, denn die Skischule wartet auf mich“, sagt er den Therapeuten, und sein starker Wille, sein Einsatz und sein Durchhaltevermögen machen dieses so hochgesteckte Ziel immer realistischer.
„Mein schönstes Erlebnis in der Therapie war, dass ich mir den Schuh wieder selbständig anziehen konnte“, erinnert sich Sepp Margreiter, „das kann sich kein gesunder Mensch vorstellen, was das für ein unglaublich großer Gipfelsieg ist.“
Erfolge wie dieser stärken Margreiter immer weiter. Längst hat er schon den Entschluss gefasst, im Rollstuhl nicht nur wieder in seiner Skischule zu arbeiten, sondern auch wieder die Posaune zu spielen. Den Ärzten scheint das wegen der schweren Lungenschäden und