10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4. divers

10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4 - divers


Скачать книгу
Freund noch nicht aus ihm herausbekommen; zum einen war er zu betrunken gewesen, zum anderen zu aufgeregt ob des Mordes, den er beobachtet hatte.

      Bekker öffnete nach dem dritten Klopfen. Wir hatten einen vierschrötigen Mann vor uns, dessen Wangen und auch die Nase vom reichlichen Alkoholkonsum gerötet waren. Seine Augen standen etwas hervor, wie man es von Trinkern kennt.

      Er blickte uns trübe an, blinzelte dann in die Helligkeit des Januar-Tages und fluchte in sich hinein. »Geht es wieder um die tote Nutte?«

      »So ist es. Ihr Name war Sandy Miller. Sie sagten aus, Sie hätten etwas gesehen?«

      »Hätte ich besser meine Schnauze gehalten!«, murrte Bekker. »Mir glaubt ohnehin keiner. Also, verschwinden Sie, ich sage kein Wort mehr!«

      »Sie sagten etwas von einem Werwolf!«, sagte Holmes ungerührt. Dann holte er eine Pfundnote aus der Tasche. »Ich bin niemand, der etwas allzu rasch abtut. Bitte, erzählen Sie mir Ihre Geschichte und diese Pfundnote ist die Ihre!«

      Der Mann leckte sich über die Lippen. »Sie sind ja ein komischer Polizist!«, murmelte er dann.

      »Mein Name ist Sherlock Holmes«, stellte sich mein Freund vor. »Und dies ist mein Partner, Doktor Watson. Wir sind keine Polizisten!«

      Bekker wollte nach der Banknote greifen, aber Holmes war schneller und zog die Hand zurück. »Erst die Geschichte!«

      »Ich war heute schon früh auf den Beinen. Im Moment arbeite ich für einen Bäcker; ist keine schwere Aufgabe, mein Job ist es, Bestellungen auszuliefern. Also muss ich schon um vier aus den Federn. Ich zog mich an, steckte meine Buddel ein, um den Tag zu überstehen, und ging los. Vorne an der Ecke zur Thomas Street hörte ich plötzlich einen Schrei. Ich schaue in einen Hof und da sehe ich eine Frau, die sich verzweifelt gegen ein ... ein ... ein Ding wehrt. Groß wie ein Mensch, aber der Kopf wie ein Wolf. Er stand auf seinen Hinterbeinen, mit den Vorderpfoten jedoch schlug er wieder und wieder auf sie ein. Ich sah, wie seine Krallen die Haut und das Fleisch von den Knochen der Frau rissen. Und die Laute, die er dabei von sich gab ...«

      Bekker schüttelte sich vor Grauen. Sein Blick flackerte, nervös holte er eine Flasche aus der Tasche und nahm einen tiefen Schluck. »Ich bin wie der Teufel gerannt und hab dabei nach einem Schutzmann gebrüllt. Schließlich kam einer. Der wollte mich verhaften, aber schließlich kam er doch mit mir. Tja, und da lag sie dann, fast nackt und übel zugerichtet!«

      »Waren Sie betrunken, als Sie den Angriff sahen?«

      »Nein. Der Boss würde mich rauswerfen, käme ich besoffen zum Dienst. Ich trinke hin und wieder einen Schluck, damit ich nicht das Zittern bekomme. Als ich die Frau aber da liegen sah ... Ich hab die Flasche in einem Zug gekippt und bin zurück in mein Bett!«

      »Wie sah der Wolf aus?«, fragte Holmes. »Konnten Sie Details erkennen?«

      »Schwarz, glaube ich. Mit weißer Schnauze. Und struppiges Fell. Lange Schnauze, gelbe Augen. Und er hatte keinen Schwanz!«

      »Keinen Schwanz?«, versicherte sich Holmes. »Sind Sie sicher?«

      »Nun ja, ich habe zumindest keinen gesehen«, sagte Bekker leise.

      »Das ist bemerkenswert!« Holmes reichte dem Mann die Banknote, nickte ihm freundlich zu und bedeutete mir, ihm zu folgen.

      Wir gingen die Straße entlang und standen schließlich in jenem Hof, in dem sich der Mord ereignet hatte.

      Schnee war gefallen und hatte die Szenerie mit frischem Weiß bedeckt. An einer Mauer sahen wir dennoch Blutspritzer, mehr als fünf Fuß über dem Boden!

      »Hier ist in der Tat etwas sehr Sonderbares geschehen!«, sagte Holmes, während er die Blutspritzer betrachtete. »Etwas, das selbst ich nicht auf Anhieb durchschaue.«

      Er starrte sekundenlang auf die Spritzer, dann wandte er sich abrupt ab und ging davon. »Kommen Sie, mein Freund. Sprechen wir mit den Verantwortlichen der Tierschau!«

      *

      Das Verbrechen schläft nie!

      Zu diesem Schluss kam ich bereits im Rahmen der vorangegangenen Geschichte, und auch jetzt bewahrheitete es sich wieder. Wir waren gerade zu Bett gegangen, als uns der schrille Ton der Glocke daran hinderte, Schlaf zu finden. Schuld war ein junger, von Lestrade geschickter Constable. Er hatte nur wenig zu sagen – es gab eine weitere Leiche in Whitechapel, und wieder war eine Frau gestorben.

      Diesmal jedoch wartete der Tatort unverändert auf uns.

      Während wir in einer Polizeikutsche unserem Ziel entgegenfuhren, ging ich noch einmal in Gedanken durch, was wir wussten.

      Viel war es nicht!

      Nach unserem Gespräch mit Mister Bekker hatten wir besagte Tierschau besucht und dort mit dem Verantwortlichen gesprochen. Natürlich hatten sie auch Wölfe dabei – fünf, um genau zu sein. Und alle waren vorhanden.

      Wir erfuhren, dass ihre Tiere bereits in Gefangenschaft geboren waren und niemals jagen mussten. Weder zeigten sie besondere Neigungen zur Flucht, noch griffen sie Menschen an. Wir durften die Tiere nicht nur sehen, sondern auch berühren; sie lagen harmlos im Wagen und bewiesen, wie sehr unser moderner Hund doch von ihnen abstammt.

      Auch lernten wir, dass bei Wölfen die Pfoten schon von klein auf voll ausgebildet sind; sie wachsen nicht mehr. Oberflächliche Spuren oder auch Kratzer lassen daher keinen Aufschluss über das Alter des Tieres zu. Einzig die Länge eines Schritts oder die Tiefe eines Eindrucks kann zur Bestimmung des Alters zurate gezogen werden.

      In unserem Fall half uns das nicht weiter; die tiefen Kratzspuren beim ersten Opfer lagen dicht an dicht, da das Tier wie rasend mit den Pranken geschlagen hatte.

      Als wir unser Ziel erreichten, hatte sich bereits eine größere Menschenmenge um den Tatort versammelt. Polizisten sperrten den direkten Bereich ab, Schaulustige hatten sich eingefunden und selbst die Presse war vertreten.

      Laut Glockenschlag war es nun erst Mitternacht; noch waren die Straßen Whitechapels belebt.

      »Ah, Holmes und Watson!«, rief Lestrade, während wir uns einen Weg bahnten. »Offenbar hat unser Werwolf wieder zugeschlagen!«

      Er gab sich keine Mühe, seine Worte zu dämpfen. Demnach wusste bereits jeder, was man dank Bekker munkelte.

      »Gibt es Zeugen?«, erkundigte sich Holmes.

      »Eine Zeugin; eine Prostituierte, die das Geschrei ihrer Kollegin hörte. Sie kam hierher und sah einen Wolf auf zwei Beinen. Die Beschreibung passt zu der Aussage von Bekker!« Der Beamte blickte zu der zu Tode verängstigten Frau, die etwas abseits saß und sich von einem älteren Mann etwas Brandy einflößen ließ.

      »Nun denn, schauen wir uns das Werk des Werwolfs an!«, sagte Holmes gedämpft.

      Wir folgten Lestrade, sahen die Leiche – und der Anblick schockierte uns. Wieder war es eine Gefallene, und wieder war sie auf grausige Weise zerfleischt worden.

      Scharfe Krallen hatten ihre Kleidung in Stücke gerissen und vom Körper geschält, ehe sie Haut, Fleisch und Sehnen zerfetzten. Es gab kaum eine Stelle am Körper der jungen Frau, die keine Wunden aufwies. Blut war über einen großen Radius verteilt und auch hier an eine Wand gespritzt.

      Holmes schaute sich die Wunden und auch die Lage der Leiche sehr genau an, ehe er begann, die nähere Umgebung zu untersuchen. Ich hingegen kauerte mich neben die Tote und nahm einen ersten Bestand auf. Es konnte nicht schaden, dem Polizeiarzt ein wenig unter die Arme zu greifen.

      Plötzlich aber packte mich Holmes am Arm. »Kommen Sie, Watson! Die Jagd beginnt!« Er riss einem Beamten eine Laterne aus der Hand und eilte davon.

      Ich folgte ihm, so gut es ging.

      Wir eilten die Straße entlang, vorbei an dem ersten Tatort. Wir passierten die große Baustelle der Blackwall Buildings, bogen zweimal ab und stoppten schließlich unvermittelt.

      Holmes schaute sich suchend um. Wir standen in einer kleinen Seitenstraße, die schon nach wenigen Yards vor einer


Скачать книгу