10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4. divers
Ich verlieh meiner Hoffnung Ausdruck, dass sich am Ende alles finden würde, aber vorerst sah es so aus, als würde sich diese Hoffnung nicht erfüllen. Auch am kommenden Tag blieb McDermott verschwunden. Selbst eine Anzeige in der lokalen Zeitung sowie ein Suchtrupp Freiwilliger brachten keinen Erfolg.
Als auch drei Tage später noch immer keine Spur des Verschwundenen zu finden war, tat ich das einzig Vernünftige – ich telegrafierte meinem Freund Holmes mit der Bitte, uns bei der Suche beizustehen. Obgleich sich mir hier die Gelegenheit bot, selbst Holmes’ Methoden anzuwenden und auf eigene Faust nach McDermott zu suchen, wagte ich einen solchen Alleingang nicht. Das Leben eines Menschen stand auf dem Spiel und dies schien mir nicht der Moment, eigenen Ruhm zu suchen.
So kam es, dass sich mein Besuch bei Lady Cunningham abermals zu einem Abenteuer entwickelte.
*
»Sie hätten mich wirklich früher informieren müssen!«, tadelte mich mein Freund gleich nach seiner Ankunft. »Nun sind alle Spuren verschwunden. Wie soll man nach all dieser Zeit einen Mann finden, der offenbar nicht gefunden werden will oder nicht gefunden werden soll?«
Mein Blick glitt aus dem Fenster hinaus zu der schneebedeckten Welt. »Die Spuren wären bereits bei Ihrer Ankunft verwischt gewesen, ganz egal, an welchem Tag ich Ihnen telegrafiert hätte!«
Holmes schüttelte anklagend den Kopf. »Das war nicht wörtlich auf Spuren im Schnee bezogen. Aber nun gut, es ist nun einmal, wie es ist. Wir sollten uns nun unverzüglich an die Arbeit machen!« Er klatschte in die Hände. »Eine Kutsche steht bereit?«
»Ein Schlitten!«, erklärte ich lächelnd. »Kommen Sie!«
Wir verließen das Haus, bestiegen den bereitstehenden Schlitten und schon setzte sich dieser in Bewegung. Lady Cunningham hatte vorgeschlagen, dass Holmes bei ihr übernachten solle; sie wusste wohl, dass wir beide gemeinsam agieren würden, und wollte vermeiden, dass ich das Haus vorzeitig verließ.
Inzwischen bestand kein Zweifel mehr daran, dass Lady Cunningham ihre Zeit künftig mit mir und mit niemandem sonst zu verbringen gedachte. Ein Entschluss, der mir überaus gut gefiel, denn sie war nicht nur klug und reif, sondern auch humorvoll und warmherzig.
Schweigend fuhren wir durch die weiße Welt, vorbei an einem Park, an einem nun zugefrorenen See und auch vorbei an einem erst vor wenigen Jahren frisch angelegten Wald. Die Bäume waren noch jung und biegsam, doch hier zeigten sich die ersten Versuche, die Spuren der Highland Clearances auszumerzen.
»Der Urlaub bekommt Ihnen gut!«, ließ mich Holmes nach einer Weile wissen. »Die Beziehung zu Lady Cunningham nimmt Formen an, wie ich merke. Und Sir Duncan ist spendabel!«
»Was meinen Sie?«, fragte ich indigniert. Als erwachsener, wohl gesitteter Gentleman war ich stets bemüht, meine privaten Empfindungen allein für mich zu behalten. Wie konnte Holmes also wissen …
»Ach, mein lieber Freund«, sagte Holmes lächelnd, »wir kennen einander zu gut, als dass wir bestimmte Dinge voreinander geheim halten könnten. Wir haben unsere Leidenschaften und unsere Freuden. So, wie Sie auf den ersten Blick erkennen, wenn mich ein neuer Fall umtreibt, so erkenne ich anhand Ihrer Blicke, Ihres verträumten Ausdrucks in den Augen, wenn Sie zum Fenster hinausschauen, und auch anhand des Wangenkusses, den Ihnen Lady Cunningham zum Abschied gab, sofort den Zustand Ihres Herzens.«
Er blickte mich amüsiert an. »Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich für Sie freue!«
»Und Sir Duncan?«, wollte ich wissen.
»Die Schnupftabakdose. Sie ist viel zu alt, als dass sie ein Geschenk Ihrer Ladyschaft sein könnte. Zudem würde eine Frau einem Mann eine grazilere Dose schenken, wenn überhaupt. Ich behaupte, dass Taschentücher oder eine hübsche Krawatte eher jene Sorte Geschenke sind, die Frauen einem Mann darbringen. Nein, diese Dose wurde Ihnen von einem Mann geschenkt. Zudem von einem Mann, der vor Kurzem sehr viele alte Wertsachen fand. Und hier kommt nur Sir Duncan infrage!«
»Elementar!«, gab ich zu. Tatsächlich hatte mir Mary niemals eine Schnupftabakdose geschenkt. Wie Holmes richtig vermutete, war ihr erstes Geschenk an mich ein hübsches, mit Monogramm versehenes Taschentuch aus Seide gewesen.
Holmes schien überaus zufrieden mit seinen Schlussfolgerungen, denn das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, während er aus dem Fenster schaute.
Dicke Flocken fielen vom Himmel.
»Schauen Sie sich das an, Watson! Das Grauen eines jeden Detektivs!«
»Das Wetter?«, fragte ich erstaunt. »Oh, mir gefällt die weiße Pracht außerordentlich. Als Kind tobte ich gerne im Schnee.«
»Kinder sind unwissend und ungezogen!«, erwiderte mein Freund barsch. »Inzwischen sind Sie erwachsen, Watson. Sie sollten daher erkennen, dass der Schnee beträchtliche Nachteile mit sich bringt! Gerade hier, in dieser Abgeschiedenheit. Begeht hier jemand ein Verbrechen, hat er gute Chancen, davonzukommen. Allein schon, weil Ihre weiße Pracht die Spuren verdeckt. Sie sagten es eben selbst!«
»Was sagte ich?«, fragte ich ein wenig ungehalten. Ich mochte es nicht, wenn Holmes mit Worten zerstörte, woran ich Freude gefunden hatte.
Zudem empfand ich seine Worte als Angriff auf mich. Inzwischen sind Sie erwachsen … Gewiss war ich das. Nahm mir dies das Recht, an solchen Dingen wie Schnee meine Freude zu haben?
»Auf meinen Hinweis, die Spuren seien nun erkaltet, antworteten Sie, dass dem ohnehin so wäre, ganz egal, wann Sie mir telegrafiert hätten. Sie erkannten es selbst – der Schnee ist der Feind der Detektivarbeit, Watson. Daran ändert nichts, dass Sie als Kind darin getobt haben!«
»Wenn man es so betrachtet …« Ich musste zugeben, dass er recht hatte. Für seine Profession war der Schnee durchaus hinderlich. Dann aber fiel mir etwas ein. »Der Schnee kann Ihnen aber auch eine Hilfe sein!«
Er nickte ungeduldig. »Schon wahr. Wenn er gefallen ist, nicht schmilzt und es auch nicht schneit, mag er sich gut für Spuren eignen. Aber bedenken Sie, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Mir war er bisher häufiger hinderlich als nützlich.«
Ich schwieg, denn offenbar ließ Holmes in diesem Punkt keine abweichende Meinung gelten.
*
»Mister Holmes! Ich bin so froh, dass Sie kommen konnten!«, rief Lady McDermott, als sie uns an der Tür empfing. »Wir können uns das Verschwinden unseres Sohnes nicht erklären. Wo mag er nur sein?«
»Um das herauszufinden, sind wir hier. Sie kennen meinen Freund, Doktor Watson?«
»Oh, wir haben schon viel von ihm gehört!« Lady McDermott ergriff meine Hand und schüttelte sie. »Francine … Lady Cunningham … spricht häufig von Ihnen!«
»Nun, wollen wir mit der Suche beginnen?«, fragte Holmes ein wenig ungeduldig. »Es ist bereits viel Zeit seit dem Verschwinden Ihres Sohnes vergangen!«
Lady McDermott nickte und ließ uns ein. In der Halle trafen wir Lord McDermott, Earl of Livington, aber auch eine junge, verstörte Dame mit geröteten Augen und dem waidwunden Blick einer verletzten Seele.
»Sie sind Lady Sandrine Finnigan?«, erkundigte sich Holmes, während er ihr die Hand reichte. »Ich werde einige Fragen an Sie haben.«
»Gewiss!« Die junge Frau blickte zu Boden und schluchzte leise. »Alles, solange Sie nur meinen Verlobten finden!«
»So er gefunden werden will!« Holmes lächelte kalt.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Lady McDermott erstaunt. »Wieso sollte er nicht gefunden werden wollen?«
»Mister Holmes deutet an, dass sich unser Sohn aus dem Staub gemacht haben könnte. Dass er … kalte Füße bekam.«
»Unsinn!«, rief Lady McDermott.
Holmes hingegen blickte zu ihrem Gemahl. »Ihnen kamen ähnliche Gedanken, nicht wahr?«, fragte er bestimmt. »Sie haben bei der Marine nachgefragt?«
»Bei