Der neue Sonnenwinkel Box 9 – Familienroman. Michaela Dornberg

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war. Es war die richtige Richtung, das spürte sie jeden Tag, den sie im ›Outfit‹ verbrachte. Es machte nicht nur Spaß, sie bekam Anerkennung, weil sie ihre Sache wirklich gut machte. Und Frau Wolfram, die nahm ihr, wann immer es ging, Amelie ab. Und da sie ja nur stundenweise arbeitete, kam ihr Mädchen auch nicht zu kurz. Die Zeit, die sie jetzt mit Amelie verbrachte, die war erfüllt, sie war für die Kleine da, es war ganz anders als vorher, als sie von allem nur genervt gewesen war.

      Heute hatten sie es sich ganz gemütlich gemacht, sie saßen auf dem Sofa, und Astrid las Amelie aus dem neuen Buch vor, das sie für die Kleine in Hohenborn in der Buchhandlung gekauft hatte Amelie hörte begeistert zu, sie waren so vertieft, dass sie nicht mitbekamen, wie die Haustür geöffnet wurde, jemand hereinkam.

      »Da bin ich«, rief eine muntere Männerstimme, und erst jetzt schreckten sie auf.

      Amelie begann zu strahlen, sprang auf, lief auf ihren Vater zu, warf sich in seine Arme.

      Oskar Keppler hob seine Tochter hoch, herzte sie.

      »Ich habe dich ja so sehr vermisst, mein Herzblättchen.«

      Astrid erhob sich langsam. Sie war aufgeregt, ihr Herz klopfte wie verrückt, wie immer, wenn Oskar endlich mal wieder nach Hause kam. Doch irgendwas war anders geworden. Hing das mit den Fotos zusammen, die sie zufällig gefunden hatte?

      Oskar ließ seine Tochter zu Boden gleiten, wandte sich seiner Frau zu, umarmte sie, küsste sie, flüsterte ihr Verliebtheiten ins Ohr. Es war wie immer, sie war gefangen von ihm, seiner unglaublichen präsenten Gegenwart, und wenn es da irgendwo ein Wölkchen gegeben hatte, das löste sich auf, und jetzt war alles nur noch schön und voller Sonnenschein, zumindest wollte Astrid es so haben. Sie hatte so wenig von ihrem Mann, und wenn er da war, dann wollte sie die Zeit nutzen, einfach nur mit ihm Schönes zu erleben.

      Das hatte ganz gewiss einiges von einem ›Kopf in den Sand stecken‹. Doch so sehr Astrid ihren Job auch liebte, jetzt wollte sie nicht einmal über den reden, zumal Oskar es zwar ganz in Ordnung fand, jedoch der Meinung war, seine Frau habe so etwas nicht nötig.

      Irgendwann wurde es Amelie zu langweilig, sie ging in ihr Zimmer, um mit ihren Puppen zu spielen, Astrid und Oskar waren allein.

      Wie sehr sie ihn doch liebte!

      Wie glücklich sie war, weilte er bei ihr!

      Irgendwann tranken sie Tee miteinander, Oskar erzählte, wie immer, kaum etwas über seine Arbeit, tat es mit den Worten ab: »Liebes, sei mir nicht böse, wenn ich nach Hause komme, dann will ich nicht mehr an die Arbeit denken, sondern nur noch die Zeit mit dir und Amelie genießen. Wir sind leider augenblicklich viel zu wenig zusammen, aber es wird sich ändern, das verspreche ich, und dann kann ich auch wieder über die Arbeit reden, weil uns dann der Alltag eingeholt hat und unser Beisammensein wieder zur Alltäglichkeit wird. Aber jetzt, jetzt will ich nur in eine Welt der Gefühle, der Nähe, der Zärtlichkeit eintauchen.«

      Das wollte sie doch ebenfalls, und seine Arbeit, wirklich interessierte sie es nicht, vor allem war das etwas, was ihn von ihr abhielt.

      Sie begann wieder auf der Woge des Glück zu schwimmen, doch da war noch dieser kleine Hintergedanke …

      Sie hätte direkt fragen können, schließlich war sie seine Ehefrau, und sein Arbeitszimmer war keine verbotene Zone. Etwas hielt sie zurück, und so erkundigte sie sich nur ganz nebenbei: »Sag mal, Oskar, wir haben niemals darüber gesprochen, hast du eigentlich Geschwister und Neffen und Nichten?«

      Er wirkte leicht verunsichert, stellte die Tasse ab, weil seine Hand zitterte.

      »Wie kommst du denn darauf?«

      Das klang so, als habe sie ihn nach einem bösen Geist gefragt, was war denn auf einmal mit Oskar los?

      Sie überlegte, obwohl es da eigentlich nichts zu überlegen gab. Sie hatte eine Entdeckung gemacht, und darüber wollte sie mit ihm sprechen. Astrid wusste nicht, warum sie ihn jetzt damit nicht konfrontierte, sondern leichthin bemerkte: »Ich habe mich mit einer Kundin unterhalten, es gibt halt Frauen, die wollen nicht nur etwas kaufen, sondern die sind redlich, wollen etwas loswerden oder sich einfach nur unterhalten. Und ja, die erzählte von ihrer Schwester, mit der sie augenblicklich Stress hat und einem Neffen, der mit Drogen erwischt wurde, und da wurde mir bewusst, dass ich überhaupt nicht weiß, ob es da von deiner Seite jemanden gibt. Ich habe vor dir mein ganzes Leben ausgebreitet, über dich weiß ich nicht viel.«

      Die Erleichterung war nicht zu übersehen, die ihre Worte bei ihm ausgelöst hatte.

      »Ich habe dir nichts erzählt, weil es nichts zu erzählen bit, und was ich erlebt habe, das war nicht erfreulich, und das behält man am besten in einer Schublade, weil es schmerzhaft ist. Ich bin in einem Heim aufgewachsen, und dort herrschten sehr strenge Regeln, und ansonsten gibt es niemanden, und ehrlich mal, meine Liebste, ich möchte über die Vergangenheit nicht reden. Du und Amelie, ihr seid mein Leben, mit euch bin ich glücklich, und mit euch genieße ich jede Sekunde.«

      Um nichts sagen zu müssen, trank Astrid schnell etwas, stopfte sich etwas von dem Kuchen in den Mund.

      Sie zweifelte seine Worte nicht an, doch die Bilder …, wie passten die dazu?

      Jetzt …

      Warum versuchte sie nicht, auf die unausgesprochenen Fragen eine Antwort zu finden?

      Weil sie feige war!

      Sie hatte Angst, Fragen könnten ihre auf Sand gebaute scheinbar heile Welt zerstören. Und auf Sand gebaut musste es doch sein, denn sonst hätte sie keine Angst vor seiner Antwort. So geisterte es weiter in ihrem Kopf herum. Wer war die Frau mit dem Mädchen? Und wer war die Frau mit dem kleinen Jungen? Was bedeuteten diese Personen ihm? Und warum versteckte er die Fotos?

      Von selbst hüpften sie nicht in einen Aktenordner, und war es nicht ein Zeichen, dass ausgerechnet dieser Ordner heruntergefallen war, damit sie diese Fotos sehen sollte?

      Astrid holte tief Luft.

      »Oskar, ich habe …«

      Sie brach ihren Satz ab, weil in diesem Augenblick Amelie ins Zimmer gestürmt kam, mit zwei Puppen unter dem Arm.

      »Papi, meine Klara und meine Lilli wollen dich auch begrüßen, denen hast du nämlich auch sooo gefehlt.«

      Oskar beugte sich zu den Puppen hinunter: »Hallo, Klara, hallo Lilli. Ich hoffe ja, dass ihr auf meine kleine Amelie gut aufgepasst habt, während ich weg war, oder? Ich möchte nämlich, dass es meinem Herzenskind immer gut geht, weil ich es so sehr liebe.«

      Er warf Astrid einen Blick zu, die wie versteinert und ein wenig verunsichert auf ihren Stuhl saß.

      »Und die Mama von Amelie, die liebe ich auch über alles, bitte, liebe Puppen, passt auch auf die auf, die Amelie und ihre Mama, die sind nämlich meine Welt, und ohne die kann und will ich nicht leben.«

      Amelie war entzückt, sie kletterte ihrem Papi auf den Schoß, umarmte ihn liebevoll, schmiegte sich an ihn.

      Es war ein zu Herzen gehendes Bild, an dem man sich nicht sattsehen konnte, Astrid hatte ihn mit der Wahrheit konfrontieren wollen, doch vielleicht war es ein Zeichen, dass genau in diesem Augenblick Amelie hereingekommen war.

      Wenn nun mit den Fotos etwas nicht stimmte.

      Wenn Oskar ihr etwas verheimlichte.

      Sie wollte ihre Welt behalten, sie wollte Oskar, den sie über alles liebte. Manchmal war es besser, nichts zu sagen, und wenn es doch etwas gab?

      Am liebsten hätte Astrid sich jetzt die Ohren zugehalten.

      Sie wollte es nicht wissen, und die andere Stimme, die ihr etwas einflüstern wollte, die sollte verstummen …

      *

      Rosmarie Rückert wäre ja am liebsten zu Roberta in die Praxis gegangen, um ihr von ihren Sorgen wegen Heinz zu berichten, doch sie wusste, was die alles zu tun hatte, und dass Frau Dr. Müller sie nur ein wenig entlastete. Und bei ihr stand keine Untersuchung an, und zum Glück erfreute sie sich derzeit allerbester Gesundheit. Und so sollte


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