Der neue Sonnenwinkel Box 9 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Box 9 – Familienroman - Michaela Dornberg


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nicht widerstehen, Roberta konnte es nicht. Also rief sie den Kommissar an und hatte Glück, ihn sogar direkt zu erreichen, was bei einem Beamten der Mordkommission nicht immer der Fall war. Die mussten nicht nur neue Morde aufklären, doch auch in arbeitsintensiver Kleinarbeit alte Verbrechen aufklären.

      Und Henry Fangmann konnte sich in eine Sache verbeißen wie ein Terrier in die Wade eines Menschen, den er nicht mochte. Das wusste sie von Inge Auerbach, die mit dem Kommissar in Verbindung stand. Und von der wusste sie auch, dass Fangman sich außerhalb seines Jobs um gestrauchelte, straffällig gewordene junge Menschen kümmerte, um sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Und er hatte Inge auch ermuntert, sich einzubringen, was sie auch tat.

      Mit diesem Hintergrundwissen konnte Roberta natürlich auch ganz ehrlich sein.

      Sie erzählte dem aufmerksam zuhörenden Henry Fangmann von Pia und dass sie das Mädchen ins Doktorhaus holen wollten.

      »Das ist großartig, Frau Doktor Steinfeld«, rief er sofort geradezu begeistert. »Wenn noch mehr Menschen eine solche Einstellung hätten, dann kämen viele der Jugendlichen von der Straße und bekämen vor allem eine Chance, in der Gesellschaft, die sie verlassen haben, wieder anzukommen.«

      Es tat Roberta jetzt leid, dass sie seinen Enthusiasmus bremsen musste.

      »Tja, Herr Fangmann, das Problem ist nur, dass das Mädchen verschwunden ist.«

      Nach diesen Worten erzählte sie dem Kommissar, was sie von Alma erfahren hatte.

      »Wir sind nun ein wenig ratlos, und auch wenn es nicht zu Ihrem Aufgabenbereich gehört, Herr Fangman …, könnten Sie sich bei Ihren Kollegen mal umhören?«

      Er wollte noch einmal wissen, wo genau Pia sich aufgehalten hatte, Roberta gab den Telefonhörer weiter an Alma, damit die es ihm genau erklären konnte. Nachdem das geschehen war, reichte sie den Hörer an Roberta zurück, die bedankte sich schließlich nach ein paar Worten beim Kommissar, legte auf.

      Sie hatten zwar noch nichts erreicht, doch es war einiges in Bewegung geraten, und der Sonnenwinkel war nicht so groß, um nicht doch etwas von den Zwischenfällen mitbekommen zu haben, die sich hier ereignet hatten. Wahrscheinlich hatte man es gerade deswegen mitbekommen, weil zum Glück hier nicht viel Kriminelles geschah. In einer Großstadt, in der an jeder Ecke etwas passierte, war man abgebrühter, ging schnell nach den ersten Augenblicken der Betroffenheit zur Tagesordnung über.

      »Und wann wird er sich kümmern?«, wollte Alma wissen.

      »Herr Fangmann hat es versprochen, und ich denke, er wird sich auch daran halten. Nur drängen dürfen wir ihn nicht. Er hat in erster Linie Kapitalverbrechen aufzuklären, und zum Glück müssen wir darüber nicht reden. Alma, ich bin ganz überzeugt davon, dass man Pia finden wird, und vermutlich wird es für ihr Verschwinden eine ganz einfache Erklärung geben.«

      Alma blickte die Frau Doktor an. Glaubte sie das wirklich, oder sagte sie es nur, um sie zu trösten?

      Roberta war wirklich keine Gedankenleserin, doch sie spürte förmlich, was sich da gerade in Alma abspielte.

      Sie versuchte alles, Alma zu beruhigen. Doch gerade, als sie Alma sagen wollte, dass sie in der Praxis an ihrem Schreibtisch noch etwas tun wollte, rief Henry Fangmann an. Er hatte sich wirklich sofort bemüht, und das war ihm hoch anzurechnen. Doch was er zu sagen hatte, das klang nicht gut, und Roberta blickte ganz besorgt Alma an und überlegte insgeheim, wie sie ihr beibringen sollte, was sie da gerade erfahren hatte.

      Die ahnte bereits, dass es nichts Gutes war und bekam fast schon so etwas wie eine Schnappatmung. Vielleicht war das jetzt übertrieben, schließlich war Pia nicht ihr eigenes Kind. Aber es gab Situationen im Leben, da war man einfach nur emotional berührt, und das war unabhängig von einem Verwandtschaftsgrad.

      Alma starrte ihre Chefin an wie ein hypnotisiertes Kaninchen.

      Warum hörte die so lange zu?

      Warum nickte sie jetzt?

      Und warum erwähnte sie jetzt ihren Namen, dachte Alma verwundert, und was sollte sie besonders gut können?

      Ihre Gedanken drehten sich immer schneller wie ein Karussell, das Fahrt aufgenommen hatte.

      Endlich beendete die Frau Doktor das Gespräch, Alma hing wie gebannt an ihren Lippen. »Und was hat er gesagt?«, erkundigte sie sich mit vor Erregung heiser klingender Stimme.

      Und dann kam eine Erklärung, die niemand in Betracht gezogen hätte.

      Man hatte Pia von ihrem Platz vertrieben!

      Ein Parkwächter hatte alles, was nicht in der Verordnung für die Benutzung des Parks stand, entfernt.

      Und dazu gehörte auch Pia, vielleicht ganz besonders die, weil man nicht wollte, dass der Park, was ganz schnell mal der Fall sein konnte, besiedelt wurde von Leuten, die man dann so schnell nicht wieder wegbekommen würde.

      »Und wo ist sie jetzt?«, erkundigte Alma sich angstvoll, diese Erklärung hätte sie eigentlich beruhigen sollen, doch sie war weit davon entfernt.

      Roberta zuckte die Achseln.

      »Das weiß niemand, für das Ordnungsamt ist nur wichtig, dass der Park gesäubert ist, und man wird künftig darauf achten, dass sich da niemand mehr niederlässt.« Schon wollte Alma ganz enttäuscht eine Bemerkung machen, als Roberta das verhinderte, indem sie fortfuhr: »Herr Fangmann will uns helfen, Pia zu finden, hilfreich wäre für ihn, ein Bild von ihr zu haben. Sie können doch eines zeichnen, nicht wahr, Alma, und das werde ich ihm dann faxen oder mailen.«

      Und ob Alma das konnte, sie sprang auf, wollte den Raum verlassen, um Papier und Stifte in ihrer Wohnung zu holen, doch Roberta hinderte sie daran.

      »Ich habe alles hier, Alma«, sie stand auf, holte aus einer Schublade Papier und Stifte, und dann sah sie ganz fasziniert zu, wie der Stift nur so über das Papier flog und nach und nach das Gesicht eines jungen Mädchens entstand, eines gut aussehenden jungen Mädchens mit kurzen strubbeligen Haaren und großen Augen, die fragend in die Welt blickten So also sah Pia aus, dachte Roberta, als Alma ihr das Blatt reichte. Es war unglaublich, was Alma da in kurzer Zeit geschaffen hatte, und wieder einmal wurde Roberta bewusst, was für eine Künstlerin Alma doch war. Aber sie hatte kein schlechtes Gewissen mehr wie anfangs, als das Talent hervorgetreten war. Sie hatte Alma nicht aufgehalten, im Gegenteil, sie hatte sie ermuntert. Und dieses Talent nur zum Vergnügen nutzen zu wollen, war Almas Entscheidung gewesen. Jetzt allerdings war es ein Segen. Sie rief Henry Fangmann an, und der bat sie, ihm ein Fax zu schicken, dann nannte er die Nummer, und er versprach erneut, sich umgehend zu kümmern. Roberta bedankte sich, sie verabschiedeten sich voneinander, sie schickte das Fax.

      »So, Alma, und jetzt können wir wirklich nichts mehr tun«, sagte Roberta, »und Sie machen sich bitte keine Gedanken mehr, wenn jemand Pia finden kann, dann ist es die Polizei, und es wird für die dank Ihrer Zeichnung leicht sein. Es ist wirklich großartig, wie sie Pia gezeichnet haben. Ich kenne sie ja nicht, doch jetzt kann ich sie mir genau vorstellen.«

      Alma wurde rot vor lauter Verlegenheit, und das nahm sie zum Anlass, sich jetzt zu trollen. Gut, es war alles ganz anders verlaufen als gedacht, doch jetzt war sie erst einmal froh, dass sie sich nichts Schlimmes mehr vorstellen musste, obwohl es schon schlimm genug war, einfach verjagt zu werden. Doch dazu hatte, wer immer es auch gewesen war, das Recht.

      Roberta blieb allein zurück, und insgeheim atmete auch die auf. Es hätte wirklich alles mögliche passiert sein können. Aber jetzt, da Pia nicht gekommen war, musste sie sich an die Arbeit machen, denn es blieb immer viel unerledigt zurück. ­Außerdem wollte sie sich noch einmal ausführlich mit der Akte eines Blutdruckpatienten beschäftigen, den sie in Verdacht hatte, es mit der Einnahme seiner Tabletten nicht ganz genau zu nehmen.

      *

      Claire war mit ihren Krankenbesuchen durch, und es freute sie sehr, dass Robertas Patientin mit ihrer Arbeit zufrieden gewesen war. Das konnte man nicht als Selbstverständlichkeit voraussetzen, denn Roberta wurde von ihren Patientinnen und Patienten geradezu vergöttert, jetzt erwartete man eigentlich nur noch, dass sie über Wasser gehen konnte. Claire neidete


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