Achtsam scheitern. Christin Henkel
Wochen soll sich mein Leben von Grund auf verändern. Weniger Waste, mehr Meditation. Was die können, kann ich auch. Und obendrein werde ich beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, die Erde zu retten und dabei gut zu duften.
Kurz bevor ich in den Regio einsteige, höre ich meinen abgehetzten Freund Denis laut rufen: »Warte! Ich hab noch was für dich!« Er rennt auf mich zu, und bevor die Türen schließen, drückt er mir eine Tüte voll mit schrumpligem Fallobst in die Hand. »Hier! Für dich! Selbst geerntet. Ganz köstlich«, japst er. Ich sage lieb Danke und küsse ihn auf die Wange. Es liegt mir fern, die Gefühle eines jungen, ambitionierten Biobauern zu verletzen.
Der Zug fährt endlich los, und meine Äpfel und ich freuen uns wie verrückt auf die laute, wuselige Großstadt.
Tipp 1: Wenn dich deine Eso-Hipster-Freunde in ein idyllisches, altes Bauernhaus ins WUNDERWUNDERSCHÖNE Brandenburg einladen – sei schlau! Fahr lieber ins Karwendel.
Tipp 2: Ein einfacher Tipp zur Müllvermeidung im Alltag ist die Verwendung einer hübschen Mehrwegtrinkflasche, die du jederzeit mit Leitungswasser wieder auffüllen kannst. Solltest du diese Trinkflasche einmal im Bus vergessen haben, vor dir liegt noch ein weiter Fußmarsch, es sind 35 Grad im Schatten, und der einzige Kiosk weit und breit hat keine Glasflaschen im Angebot – dann ist der Kauf einer Plastikflasche absolut in Ordnung.
Green Lifestyle früher vs. Green Lifestyle heute
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Die Landschaft zieht an mir vorbei. Ich lasse die Lausitz hinter mir und verbuche den Ausflug auf den posturbanen Hipster-Bauernhof als nette Erfahrung, die man nicht unbedingt wiederholen muss. Es ist mir nach wie vor schleierhaft, wie Leute, nur weil sie jetzt irgendwas mit dreißig sind, plötzlich »Juhu« schreien, wenn irgendwo ein Baum steht, an dem etwas Essbares hängt. Alle sehnen sich nach Ruhe und vielen, vielen Einweckgläsern, die mit unbehandelten Köstlichkeiten aus dem eigenen Bestand befüllt werden wollen. Die Öko-Kiste ist nicht mehr gut genug. Der Inhalt muss aus dem eigenen Garten stammen.
Einige machen auch vor einer hauseigenen Getreidemühle nicht halt, um sich fortan den Gang zum Bäcker zu sparen und obendrein die persönliche Insta-Story mit einem »einfachen« Brötchenrezept und einem fetzigen Dinkel-Bumerang zu füttern. Wer richtig kreativ ist, sucht sich draußen noch ein paar neckische Zweige, drapiert sie in einer schlichten Vase und stellt seinen Kindern Naturfarben aus Zwiebelschalen und roter Beete zur Verfügung, damit sich die kleinen Racker an der Ostereierfront mal so richtig austoben können und den Eltern beim Content über #daseinfacheleben ein bisschen unter die Arme greifen. Zum Dank ernten sie zahlreiche lobende Kommentare von anderen Öko-Neulingen, die auch Kinder und Eier zu Hause haben. Als »ganz fantastische Idee« und »zauberschöne Naturdeko« werden die bräunlichen Dinger dann von der Community betitelt. Maßlos übertrieben, wenn man bedenkt, dass dies die Beschreibung für ein paar völlig unspektakuläre Hühnereier ist. Mich kann man mit dem In-Szene-Setzen von Grundnahrungsmitteln auf jeden Fall nicht hinterm Ofen vorlocken.
Ein Strauch mit Himbeeren, ein Bund frische Petersilie oder ein Kartoffelbeet ist doch nichts Aufregendes, sondern ganz alltäglich. Im Gegensatz zum Großteil der Lifestyle-Umweltschützer wurde ich auch nicht urplötzlich von der Tatsache überrascht, dass wir mit überflüssigen Verpackungsmaterialien den Planeten zumüllen, und mir ist wahrlich nicht neu, dass Upcycling und Tauschgeschäfte eine umweltfreundliche Alternative zur westlichen Konsumgeilheit sind. Diese Grundregeln einer nachhaltigen Lebensweise sind mir seit über dreißig Jahren geläufig. Dafür haben meine Eltern gesorgt.
Es begann 1989. Kaum war die Mauer gefallen, schon versuchten sich Mutti und Vati in der Rettung der Erde. Es gab immer was zu tun: Die Autobahn musste verhindert, die Kröten über die Straße getragen und die Einwegverpackung vermieden werden. Sie waren die allerersten Ökos auf weiter Flur, und die Flur war wirklich verdammt weit, weil wir aus einem klitzekleinen Kaff in Thüringen stammen. Hätte man meinen Oldies ein Handy gegeben, einen Instagram-Kanal eingerichtet und sie in die heutige Zeit gebeamt, wären sie mit Sicherheit Greenfluencer des Jahres geworden. Louisa Dellert und ihre Haarbürste hätten alt ausgesehen. Chapeau vor dieser Weitsicht.
Aber leider war die Gesellschaft damals noch nicht sensibilisiert dafür, und Ökö sein auf dem Land war in erster Linie eins: sehr, sehr peinlich! Man dachte sofort an Jesuslatschenträger, die ihre lange, ungepflegte Mähne mit Eidotter waschen und kratzige Pullover tragen. Was soll ich sagen? Diese Beschreibung war zutreffend. T-Shirts mit niedlichen Micky-Maus-Motiven oder der pinkfarbene Badewasserzusatz mit Sprudel sind nur zwei der vielen Kindheitsfreuden, die mir verwehrt blieben. Zwar hatte ich früh verstanden, dass man bewusst mit seiner Umwelt umgehen muss, war täglich im Wald und liebte Tiere und Pflanzen, aber ich hätte eben auch mal gern eine Capri-Sonne getrunken.
Sehnsuchtsvoll blickte ich in den Hofpausen auf das Trinkpäckchen und den Kinder Maxi King des Banknachbarn, während ich in mein leberwurstbeschmiertes Graubrot biss, das immer nach Boskop schmeckte, da es die ersten drei Schulstunden dicht an dicht mit zwei bräunlichen Apfelschnitzen in einer kleinen, muffligen Brotdose verbringen musste. Überhaupt wusste ich nie so recht, ob ich gerade in den Apfel oder ins Brot biss, denn die Leberwurst hatte auch auf dem heimischen Obstsnack ihre Spuren hinterlassen. Es war deprimierend. Wenn alle Kinder glückselig die Schokoladenmilch aus dem Tetrapack schlürften, musste ich den selbst gemachten naturtrüben Apfelsaft (mit Betonung auf trüb) aus einer uralten Trinkflasche süffeln. Niemals verirrte sich eine Bifi oder gar ein Überraschungsei in meinen beigen Lederschulranzen der Marke Waschbär. Mein Flehen nach Naschereien dieser Art wurde stets mit dem Satz »So einen Plastikmüll kaufen wir nicht!« abgelehnt. Da diese Phrase zu Hause als Universalantwort auf quasi alle meine Wünsche erwidert wurde, haben es auch Barbies Traumhaus, der Einkaufspalast von Polly Pocket oder das niedliche Sticker-Album mit den Glitzeraufklebern nie in mein Kinderzimmer hinein geschafft.
Neben dem Plastikmüllargument gab es einen zweiten Evergreen: »Das kann man doch auch selber machen!« Meinen Eltern war es ernst damit. Anstelle zweier anständiger Fußballtore streuten wir Linien aus Sägespänen, Barbies Wohnmobil durfte ich aus Pappkarton nachbauen, und anstatt der obligatorischen Benjamin-Blümchen-Geburtstagstorte bekam ich einen selbst gebackenen Hefezopf mit sieben Bienenwachskerzen oben drauf. Es gab absolut nichts, was nicht selbst hergestellt oder selbst gebastelt werden konnte. Hierbei galt: Alles, was glänzt und glitzert, ist der Feind, Naturtöne sind viel schöner. Leuchtende Farben waren meinen Eltern ein Graus, da diese in der Natur so nicht vorkommen (zumindest nicht in Thüringen). Einmal präsentierte ich ihnen vorwurfsvoll meine Lieblingsseite im Tui-Reisekatalog, auf der Meerwasser in schillerndem Türkisblau abgebildet war. Diese Darstellung wurde von den Oldies als Fake News abgetan, und man verwies mich auf die matschgrüne Plörre der heimischen Werra. Ich blieb skeptisch und schlug vor, den nächsten Familienurlaub in der Karibik zu verbringen, damit wir uns von der Intensität der Farbe selbst überzeugen konnten. Noch heute höre ich meine Eltern laut lachen. Natürlich fuhren wir an die Mecklenburgische Seenplatte, so wie jedes Jahr. Dort gab es einen urigen Zeltplatz, und mein Vater hatte obendrein einen Forschungsauftrag, der irgendetwas mit Fledermäusen zu tun hatte. Verdammt spannend für eine Siebenjährige, die Prinzessin werden will. Wie gern hätte ich damals über die modernen Möglichkeiten der Bildbearbeitung verfügt, um meinen Sommerurlaub in der Postproduktion etwas aufzupeppen. Mit den deutschen Tümpeln konnte ich meinen Mitschülern wenig imponieren. Diese verbrachten ihre Ferien längst in Italien oder Griechenland, während wir mit der Bummelbahn durch den Osten tuckerten. Dafür hätte es die Wende wirklich nicht gebraucht.
Meinen Schulkameraden war inzwischen aufgefallen, dass es bei uns »etwas anders« zuging. Kopfschüttelnd rümpften die Glitzermädchen ihre Nase, wenn ich auf Anraten meiner Mutter mal wieder etwas selbst Gemachtes aus Naturmaterialien in den Unterricht mitbrachte. Eines Nachmittags geschah etwas sehr Schönes. Ein Glitzermädchen wollte nach der Schule mit zu mir nach Hause zum Spielen kommen. Das war in der Woche, als alle anderen Kinder die Windpocken hatten. Es lief richtig gut. Wir inspizierten den Garten, und meine neue Freundin interessierte sich brennend für die Frösche in unserem Teich. Sie wollte unbedingt einen küssen, weil sie den restlichen Nachmittag lieber mit einem Prinzen als mit mir verbracht hätte, aber blöderweise schrie sie jedes Mal laut auf, wenn ich einen