Achtsam scheitern. Christin Henkel

Achtsam scheitern - Christin Henkel


Скачать книгу
dabeigehabt hatte, die ausschließlich mit Kosmetika gefüllt war.

      Während ich ihr zuhörte und mir dabei ihre glanzlose Frise besah, kam mir der Gedanke, dass Conditioner kein überflüssiges, sondern vielmehr ein dringend notweniges Produkt war. Aber in Berlin hatte man es mit dem glänzenden Fell noch nie so ernst genommen, da war ich einfach zu sehr München, was die Mähne anging. Jetzt war das Kinderzimmer an der Reihe. Hier standen zwei Bettchen für die Zwillinge, eine schlichte Wickelkommode und ein riesiger Sessel mit einer schicken Stehlampe daneben.

      »Meine Lieben, das ist meine Stillecke«, erklärte Mona stolz, als ich mich testweise in den Lehnstuhl fläzte.

      »Echt gemütlich hier. Ich stille die Babys gern auch mal, wenn ich zu Besuch bin«, witzelte ich. Mona und das Avocado-Weibchen schüttelten den Kopf. Ach ja, humorfreie Zone – schon wieder vergessen.

      »Wo habt ihr die coole Lampe her? Die hätte ich auch gern«, wollte ich wissen, und meine Freundin schickte mir einen Link über WhatsApp.

      Wir bestaunten noch die hübsche Dachterrasse und gesellten uns anschließend wieder zu DJ »Bisschen älter« ins Wohnzimmer.

      »Rotwein?«, fragte Manuel und drückte mir ein Glas in die Hand. Viel lieber hätte ich den Aldi-Hugo getrunken, aber ich wollte kein weiteres Mal unangenehm auffallen. Die Gespräche um mich herum drehten sich um Geburtsvorbereitungskurse, Bonding und dänische Immobilienmakler. In Kombination mit den einschläfernden Beats des alternden Discjockeys eine fatale Mischung. Es war mit Abstand die langweiligste Party, die ich je besucht hatte.

      Ich tippte eine SMS an Denis: »Hey! Wo bleibst du? Nur schwangere Paare hier. Mir ist laaangweilig!«

      Keine Antwort. Na toll. Zur Zeitüberbrückung checkte ich den Link, den mir Mona gesendet hatte. Vielleicht verhalf mir dieser überflüssige Ausflug in die Hauptstadt wenigstens zu einer hübschen, neuen Beleuchtung. Foscarini Stehlampe – Kaufpreis: 2814 €.

      Ungläubig zoomte ich ran. Da stand es nun ganz groß. Ich hatte mich nicht verlesen. Meine Freunde hatten sich für knapp 3000 Euro eine Kinderzimmerlampe gekauft. Im Kopf addierte ich den monetären Wert all meiner Möbel, die ich bisher besaß, zusammen, ohne am Ende auf den Betrag des Designerstücks zu kommen. Mussten die beiden etwa deshalb an ihren Kosmetikprodukten sparen? Hatte Mona darum kein eigenes Shampoo mehr? Fragen über Fragen. Ich beschloss, mich mit der Vintage-Leuchte vom Dachboden meiner Oma zu begnügen und weiterhin in Haut- und Haarpflege zu investieren.

      Endlich erreichte mich Denis’ Antwort:

      »Ach meine Süße, ich wäre so gern bei euch, aber heute ist Neumond und ich werde einiges einpflanzen, damit hier bald alles sprießt …«

      »Ist das sexuell gemeint?«, hakte ich nach. Das konnte doch unmöglich sein Ernst sein. Als Antwort kamen nur drei Fragezeichen zurück und wenig später die obligatorische »Ihr müsst mich uuunbedingt besuchen kommen, es ist traumhaft hier!«-Aufforderung. Der Abend war offiziell gelaufen.

      Mona setzte sich neben mich und streichelte mir aufmunternd den Rücken.

      »Na, meine Liebe? Was beschäftigt dich? Du grübelst die ganze Zeit vor dich hin.«

      »Hier sieht es ganz anders aus, als ich erwartet hatte. So, als wäre das überhaupt nicht eure Wohnung.«

      »Naja, wir sind bald zu viert, da war es wirklich an der Zeit, etwas zu verändern. Wir haben den alten Ballast abgeworfen und fühlen uns jetzt viel wohler.«

      »Aber ihr hattet doch so coole Sachen. Der blaue Küchentisch oder die hübsche Kommode vom Sperrmüll und deine Palme und so. Wo ist das alles?«

      »Wir haben achtsam Tschüss gesagt und uns von den alten Dingen gelöst. Ordnung machen ist unheimlich befreiend. Du solltest das auch ausprobieren!«

      Sie verschwand und tauchte kurze Zeit später mit einem Buch wieder auf:

      Marie Kondo: Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert.

      »Das kannst du dir borgen, meine Liebe. Danach bist du ein ganz neuer Mensch.«

      »Danke«, sagte ich, nippte brav an meinem Rotweinglas und verbrachte noch ein, zwei Stunden mit Höflichkeits-Smalltalk über frühkindliche Entwicklung und plastikfreies Einkaufen. An diesem Abend vermisste ich meine Zwanziger so sehr, dass ich am liebsten laut geheult hätte.

      Auf der Rückfahrt im ICE las ich in dem Schmöker, den mir Mona geliehen hatte. Würde sich nach einer magischen Aufräumaktion etwa auch mein Leben verändern? Und wenn ja, dann zum Positiven? Ich hoffte, dass dem Buch ein Zauberstab beiliegen würde, denn aufräumen zählte nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Bisher war ich ein Fan der gepflegten Unordnung. Die ein oder andere »schlimme Ecke« meiner Wohnung bereitete mir große Freude, weil es dort längst vergessene Schätze zu entdecken gab. Mit glänzenden Augen erinnerte ich mich an einen Spontanfund, bei dem es sich um meine ersten Inlineskates aus dem Jahr 1995 handelte. Ich hatte eigentlich nach einem Pürierstab gefahndet und war bei der Suche auf meine alten Rollschuhe gestoßen. Das Küchengerät ist bis heute verschollen. Dafür drehe ich regelmäßig meine Runden im Englischen Garten und erfreue mich der warmen Abendsonne und des Lebens. Alles richtig gemacht.

      Marie Kondo weiß im Gegensatz zu mir immer ganz genau, wo ihr Pürierstab zu finden ist, und die ollen Inliner hätte sie längst aussortiert, nachdem sie ihnen wertschätzend für die gemeinsame Zeit gedankt und sich würdevoll verabschiedet hätte. Sie glaubt, dass ein erfülltes, geordnetes Innenleben immer mit einer Ordnung im Äußeren einhergeht. Darum wird bei ihr auf 224 Seiten ausgemistet, sortiert und gefaltet, was das Zeug hält, ganz ohne spontane Rollschuhrunde.

      Bei meiner Internet-Recherche ging mir auf, dass ich die letzte Person sein musste, die dem Ordnungswahn noch nicht verfallen war. YouTube war voll von Videos, in denen junge und mittelalte Menschen ihre Buden nach Kondos Methode entrümpelten. Wer zu doof war, seinen Kleiderschrank in Eigenregie auf Vordermann zu bringen, konnte sich dafür sogar einen Coach engagieren. Wahnsinn! Es gab tatsächlich Leute, die gegen Bezahlung beim Ordnungmachen halfen. Als ich diese Perlen unter den Tutorials ansah, stellte sich mir die immer gleiche Frage: Warum zur Hölle war Aufräumen plötzlich cool? Und warum so drastisch? Hätte es in Monas und Manus beispielhaftem Fall nicht gereicht, die neunhundert Pfandflaschen wegzubringen, die alten, geliebten Möbel hübsch in Szene zu setzen und einmal feucht durchzuwischen? Musste es gleich der totale Neustart sein?

      Dann stieß ich auf einen Clip der Königin Kondo persönlich, und urplötzlich war es um mich geschehen. Die bildschöne Japanerin mit der umwerfend sympathischen Art erklärte, wie sie ihren Kleiderschrank organisierte, und ich fand, dass dies eines der interessantesten Videos war, das ich je gesehen hatte. Der Hype hatte mich gepackt. Ich wollte nur noch eins: aufräumen, aufräumen, aufräumen! Und zwar alles. Während ich in Gedanken Pläne für mein neues, minimalistisches Leben schmiedete, setzte ich meine Recherche fort. Jetzt war ich endgültig baff. Die Autorin war Jahrgang 1984, genau wie ich. Sie war sogar nur zwei Tage älter. Warum bloß sah sie zwanzig Jahre jünger aus als meine nicht mehr ganz so taufrische Wenigkeit? Kriegt man vom vielen Aufräumen etwa auch schöne Haut? Magic ­Cleaning fürs Gesicht? Das war noch ein Grund mehr, direkt nach meiner Ankunft mit dem Entrümpeln zu beginnen.

      Stunden später erreichte ich meine Wohnung. Der ICE hatte mal wieder einige Überraschungen in Sachen Signalstörung bereitgehalten. Als ich die Tür öffnete, schämte ich mich ein bisschen. Hier sah es gar nicht kondoesk aus. Im Flur stapelten sich die Anziehsachen auf einem undefinierbaren Haufen, der Fußboden war flächendeckend mit Orchesternoten bedeckt, auf dem Klavier stand eine angebrochene Flasche Hugo, und mein Lieblingsbikini hing über dem Mikrofonständer. Ich ließ das Stillleben eine kurze Zeit auf mich wirken und spürte, wie ein wohlig warmes Daheimgefühl in mir aufstieg. Es war unordentlich, aber immerhin sauber. Ich bahnte mir einen Weg zum Piano, gönnte mir einen großen Schluck Aldi-Sprudel, der auch ohne Kohlensäure exzellent schmeckte, und spielte drauf los. Bei den leidenschaftlichen Passagen schaukelte der baumelnde Bikini sanft hin und her. Strand-Feeling in den eigenen vier Wänden – es war verdammt schön in meinem geliebten Zuhause. Ich fand mein Chaos voll in Ordnung. Das


Скачать книгу