Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe. N.R. Walker
verlieren, bevor die Flammen mich erreichten. Vielleicht würde mir auch erst der Rauch den Rest geben.
Es war schließlich nicht so, als würde mich irgendjemand ernstlich vermissen. Anton würde mehr um seinen verlorenen Weinkeller mit französischen und gealterten Barossa-Weinen trauern als um mich. Er würde seine Rolle als trauernder Liebhaber und Politiker spielen, der mich für eine Woche der Ruhe und Kreativität auf seinen Ruhesitz in den Bergen gebracht hatte, wie er es so oft tat. Niemand kannte den wahren Grund, warum er mich herbrachte. Niemand kam unangekündigt hier vorbei, um mich grün und blau geschlagen vorzufinden… Oh ja, er würde seine Rolle als trauernder Politiker bestens spielen. Er würde Mitleid einheimsen, natürlich auch die Versicherung für sein Haus, und seine politische Karriere würde durch die Decke gehen. Die Wähler liebten dramatische Geschichten…
Dann brach etwas in meinem Kopf. Es war, als würde eine Eisdecke endlich schmelzen, sich ausdehnen, sich bewegen. Die Angst zerfiel zu etwas anderem. Eine gespenstische, kalte Ruhe überkam mich. Es gab da etwas, von dem mir mein Großvater einmal erzählt hatte…
Zwangsevakuierungen bedeuteten, dass das Feuer nicht unter Kontrolle war. Und in diesen Wäldern hieß das, dass es alles in Grund und Boden brennen würde. Das wiederum bedeutete, dass man angesichts der enormen Hitze wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde, etwaige Leichen zu identifizieren.
Ich wusste das noch von den heftigen Buschbränden meiner Kindheit, die ich erschüttert gemeinsam mit meinem Großvater verfolgt hatte. Manchmal konnten sie die menschlichen Überreste überhaupt nicht mehr erkennen. Selbst zahnärztliche Aufzeichnungen waren keine große Hilfe gegen die Macht eines tobenden Buschbrands.
Von daher konnte Anton nur annehmen, dass ich es nicht rausgeschafft hatte.
Ich hatte kein Auto. Ich war allein hier. Ich hatte keine Chance zu entkommen, so viel stimmte. Die Polizei würde es für unwahrscheinlich halten, dass ich fliehen konnte. Es wäre alles sehr tragisch…
Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Hoffnung in meiner Brust auf und zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich lebendig. Ich band meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, stopfte ein paar Klamotten in einen Rucksack und in die Tasche voller Lebensmittel, die nach wie vor unberührt auf dem Küchentresen stand. Ich packte so viele Flaschen Wasser wie möglich dazu und zog mir ungeachtet der sommerlichen Hitze Jeans und ein langärmeliges T-Shirt an. Ich holte meine Wanderstiefel aus der hintersten Ecke des Schranks und nahm mein Handy vom Nachttisch. Der Akku war beinahe leer. Es wurden weder verpasste Anrufe noch Nachrichten angezeigt. Bestimmt wusste Anton von dem Feuer. Ganz sicher.
Dann überkam mich ein eisiger Gedanke. Was, wenn Anton in wenigen Sekunden draußen vorfahren würde, um mich abzuholen?
Oh Gott. Mir lief wirklich die Zeit davon. Der Gedanke, dass er auftauchen könnte, war schlimmer als das sich nähernde Feuer.
Bemüht, nicht in Panik zu geraten, wählte ich seine Nummer. Er meldete sich nach dem vierten Klingeln. »Ethan«, sagte er glatt. Es klang, als wäre er in seinem Büro.
Erleichterung überfiel mich. »Hier brennt es«, sagte ich flach. »Zwangsevakuierung. Ich muss aufbrechen.«
Er hatte mir einmal gedroht, dass er mich finden würde, sollte ich je versuchen zu verschwinden. Dass es mir leidtun würde…
»Ethan, ich hatte Meetings«, begann er mit einer seiner zahlreichen Entschuldigungen. »Ich habe gerade erst die Nachrichten gesehen. Das Feuer hat die Richtung gewechselt. Du solltest gehen. Bring dich in Sicherheit. Ich werde dich abholen. Wenn du…«
»Ich hasse dich. Ich hasse dich.« Ich klang kalt und ruhig und war überrascht, dass meine Stimme nicht zitterte. Ich wollte ihm das schon seit Jahren sagen. »Ich hasse dich für alles, was du mir angetan hast. Für das, wozu du mich gemacht hast. Ich war stark, bevor ich dich getroffen habe.« Ich konnte nicht einmal weinen, ich hatte keine Tränen übrig. »Und das Schlimmste von allem ist, dass ich es hasse, dass ich dich gelassen habe.«
Schweigen.
Ich holte tief Luft. »Ich werde dem Feuer direkt in die Arme laufen, weil du mich hier allein zurückgelassen hast. Mein Blut klebt an deinen Händen.«
Ich legte auf und überraschte mich selbst, indem ich lächelte, obwohl ich schreien und nach etwas schlagen wollte.
Ich kann es schaffen.
Ich holte so tief Luft, wie meine Lungen es zuließen, und schüttelte jeden verbliebenen Zweifel ab. Ich konnte es schaffen. Ich nahm meinen Rucksack, doch etwas neben dem Herd fiel mir ins Auge. Ein Hydrant und eine Löschdecke.
Ich schnappte mir die folierte Decke und gerade, als ich die Tür erreicht hatte, sah ich es. Mein Teleskop. Es handelte sich um ein altes Broadhurst and Clarkson-Teleskop im Lederkoffer, das meinem Großvater gehört hatte. Ich konnte es unmöglich zurücklassen. Es war das Einzige, was ich noch von dem Mann hatte, der mich großgezogen hatte, und das Einzige in meinem Leben, das irgendeinen Wert besaß. Ich scherte mich um nichts von dem, was ich zurücklassen musste, aber das Teleskop würde ich mitnehmen. Falls ich es raus schaffte.
Mit einem letzten Blick in die Runde verabschiedete ich mich von dem Leben, das ich kannte, und rannte aus der Tür.
Die Wand aus schwarzem Rauch im Osten war riesig, wogte und war näher als noch vor fünf Minuten. Ich folgte der Zufahrt, die sich abgeschieden südlich der Feuerschneise entlangzog und von hohen Eukalyptusbäumen gesäumt wurde. Das ganze Gebiet war dicht bewaldet. Dieser Teil der Welt war für den Film Snowy River berühmt, aber auch dafür, dass erfahrene Wanderer sich verliefen und ums Leben kamen, selbst wenn sie Ausrüstung bei sich gehabt hatten.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf verließ ich die Straße und stolperte ins Unterholz.
Nachdem ich weit genug vorgedrungen war, nahm ich sämtliches Bargeld aus meiner Brieftasche, ließ meinen Führerschein und meine Kreditkarten zurück und stopfte mir die wenigen Fünfzig-Dollar-Scheine in die Tasche. Ich warf die Brieftasche und mein Handy zu Boden und wickelte sie in die Feuerdecke. Wenn alles gut ging, würden sie beim Durchkämmen des verkohlten Landes darauf stoßen und annehmen, dass ich tot war. Obendrein nahm ich meine Armbanduhr ab – ein Geschenk von Anton, nachdem er einmal mehr die Beherrschung verloren hatte – und warf sie neben die Decke.
Und das war's.
Das war alles, was ich tun konnte. Wenn ich hier lebend rauskam, würde ich nicht länger ich sein. Unabhängig davon, ob ich überlebte oder nicht, würde Ethan Hosking hier heute sterben. So Gott wollte, würde ich ein neues Leben erhalten.
Ich hatte keine Zeit zu verschwenden. Schweigend verabschiedete ich mich von allem, was ich je gekannt hatte, und statt zur Straße zurückzulaufen, wandte ich mich nach Südwesten, fort vom Feuer, aber tiefer in den Wald hinein. Ich sorgte dafür, dass ich die Feuerschneise zu meiner Linken immer im Blick hatte. Ein paar Allradfahrzeuge und Feuerwehrzüge rauschten vorbei, doch ich blieb außer Sicht. Wenn das hier funktionieren sollte, musste ich mich unsichtbar machen.
Ich zog immer weiter nach Süden. Ich blieb nie stehen. Das Unterholz war trocken und tot. Der letzte Regen war viel zu lange her und es stellte reinen Zündstoff für das kommende Feuer dar. Selbst für den Frühsommer war das kein gutes Zeichen. Und mit dem Feuer, das sich mir schnell von hinten näherte, setzte endlich die Panik ein.
Ich wollte nicht sterben.
Also rannte ich. Durch die glühende Hitze, mit einem Wall aus Feuer in meinem Rücken, zwischen Büschen und Bäumen. Selbst als es dunkel wurde, lief ich weiter. Ich hatte keine Zeit herumzujammern, weil ich mir an den Bäumen Kratzer zuzog oder wegen meines blauen Auges oder weil mein Kiefer immer noch schmerzte. Ich angelte ein paar Reiscracker und eine Flasche aus meinem Rucksack, aber ich setzte mich kein einziges Mal hin. Ich konnte es mir nicht leisten.
Dies war meine einzige Chance.
Ich kletterte über Felsen, rutschte Uferdämme hinunter, in Büsche hinein und um Bäume herum. Ich zerkratzte und verschrammte mich von Kopf bis Fuß.
Ich wusste nicht, wie weit ich gekommen war oder wie lange