Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe. N.R. Walker

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Zwei

      Patrick Carney

      Hadley Cove war eine kleine, bodenständige Stadt am südwestlichsten Ende von Kangaroo Island, Südaustralien. Entlegen und schroff. Der Wind aus der Antarktis war selbst an guten Tagen stürmisch. An schlechten konnte er einen in zwei Hälften schneiden. Es waren diese Winde, die die Küstenlinie geformt und im Verlauf von Äonen aus dem Felsen geschnitten hatten, sodass der größte Teil der Küste in diesem Bereich der Insel so gut wie unzugänglich war.

      Die Insel selbst maß nur hundertfünfzig Kilometer von Osten nach Westen und kaum sechzig von Norden nach Süden. Die Fähre von Adelaide zur Ostseite der Insel war fünfundvierzig Minuten unterwegs, die Fahrt nach Hadley dauerte dann noch einmal knapp zwei Stunden. Touristen nahmen selten diesen Weg, sondern zogen die Ost- oder Nordküste mit ihren herrlichen Stränden und idyllischen Städtchen vor, die dank des Tourismus florierten. Und so gefiel es uns.

      Mit einer Bevölkerung von dreiundsechzig Einwohnern überlebte Hadley – wie wir es nannten – gerade mal, von Aufblühen konnte nicht die Rede sein. Doch die Einheimischen, die die Einsamkeit suchten und ihre Privatsphäre genossen, hielten es am Leben. Die meisten waren in Rente, Pensionäre oder selbstständig. Einige arbeiteten oder gingen im dreißig Kilometer entfernten Vivonne Bay zur Schule.

      In Hadley brüstete man sich damit, einen kleinen Laden zu besitzen, der sowohl als Postamt als auch als Schnapsladen fungierte, einen Imbiss, in dem es ziemlich gute Fish and Chips gab, eine Tagesmutter, die auch als Friseurin arbeitete, einen abgehalfterten Campingplatz und eine mit einem Mann besetzte Polizeiwache.

      Oh, und einen Leuchtturm.

      Um den ich mich kümmerte.

      Der Leuchtturm von Hadley Cove stand seit 1821 stolz auf seinem Platz und war 1981 auf elektrischen Betrieb umgestellt worden. Einhundertsechzig Jahre lang hatte es einen Leuchtturmwärter gegeben. Er hatte dafür gesorgt, dass es die Schiffe sicher durch die Great Australian Bight schafften, eine Bucht, die berüchtigt dafür war, aus mehr Felsen als Wasser zu bestehen. Doch nun gab es nur noch mich. Jemanden, der den Leuchtturm erhielt, sicherstellte, dass alles richtig funktionierte, sich um das umliegende Gelände kümmerte und ab und zu den Fremdenführer gab, sollte jemand lange genug bleiben, um darum zu bitten.

      Die meisten Leute stiegen nach oben, drehten eine Runde, sahen hinaus aufs Meer, machten Fotos und verschwanden wieder. Für Touristen war Hadley nur ein Boxenstopp.

      Was der Grund war, warum ein Fremder in der Stadt nicht unbemerkt blieb.

      Ich war auf meinem Montagmorgenspaziergang zum Laden, um meine Post zu holen und eine Zeitung zu kaufen, als ich die ansässige Postbeamtin, Ladenbesitzerin und Ausnahme-Barista im leisen Gespräch mit Collin vorfand. Oder Sergeant O'Hare, wie er sonst bekannt war.

      »Guten Morgen, Patrick«, begrüßte Penny mich strahlend. »Wie war dein Wochenende?«

      »Gut so weit«, antwortete ich lächelnd. Ich mochte Penny. Eine mollige Frau in ihren Fünfzigern mit kurzem, grauem Haar und einem Hang zum Plaudern.

      Collin nickte mir zu. »Patrick.«

      »Collin.« Ich schielte in die Richtung, in die sie blickten, oder viel mehr zu demjenigen, den sie ansahen. Draußen war die Silhouette eines Mannes in Jeans und einem blauen Parka zu erkennen. Er hatte die Kapuze aufgesetzt und lehnte am Geländer, von dem aus man aufs Meer schauen konnte. Es war windig und kalt; wenig überraschend, da es Winter war. Selbst im Spätwinter war es hier immer noch kalt. Der Mann hielt mit beiden Händen einen Kaffeebecher und nippte daran.

      Ich musste gar nicht erst nachfragen, da Penny mich schnell ins Bild setzte. »Ein junger Kerl. Ist am Samstag in die Stadt gekommen. Ist auf dem Campingplatz untergekommen und sucht Arbeit.«

      Ich runzelte nachdenklich die Stirn. »Falls er in den Wohnwagen nicht zuerst erfriert.«

      Penny nickte ernst. »Scheint ein netter, junger Kerl zu sein.«

      Collin seufzte. »Sollte ihn wohl fragen, wie lange er bleiben will.«

      Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Jemanden zu fragen, wie lange er bleiben wollte, war im Normalfall eine Aufforderung, weiterzuziehen. »Wie heißt er?«

      Penny zuckte die Schultern. »Hab nicht daran gedacht zu fragen.«

      »Vielleicht ist er ja Handwerker oder so«, bemerkte ich. »Gott weiß, dass wir einen Elektriker oder Klempner brauchen könnten.«

      Penny lächelte mir liebevoll zu. »Du hältst immer nach dem Guten in den Menschen Ausschau, was, Patrick?«

      Ich zuckte die Schultern und Collin sah mürrisch drein. Ich ignorierte ihn und warf Penny ein Lächeln zu. »Ich versuch's.«

      »Dein üblicher Kaffee heute Morgen, Schatz?«, fragte sie.

      Ich kam jeden Morgen aus demselben Grund bei ihr vorbei, aber an jedem Morgen in den vergangenen sechs Jahren hatte sie mich gefragt, ob ich einen Kaffee wollte, und jeden Morgen fügte ich hinzu: »Und die Zeitung bitte.«

      Wie ein Uhrwerk.

      Collin trat beiseite und ich bot ihm endlich ein kleines Lächeln an. »Diese Woche soll sich eine Kaltfront nähern. Von Süden mit bis zu achtzig Sachen direkt vom Pol.«

      Collin nickte. »Ja, die Wetterwarnung kam heute Morgen rein.«

      Und das war das Interessanteste, was Collin und ich an Unterhaltung zustande brachten. Nachdem ich hergezogen war und jeder erfahren hatte, dass ich schwul bin, hatte er mich wissen lassen, dass er vielleicht Interesse an mir hätte. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nicht zur Verfügung stehe. Das war vor sechs Jahren, sogar noch vor Scott… Dann, nach Scott, hing er ein bisschen in meiner Nähe herum, fragte nie offen, aber das musste er auch nicht. Der Zeitpunkt war so was von falsch und abgesehen davon, dass wir vermutlich die einzigen beiden schwulen Männer auf dieser Seite der Insel waren, hatten wir nichts gemeinsam. Collin war ein anständiger Mann, aber er und ich würden nie mehr als Freunde sein.

      Penny legte die Zeitung mit der Vorderseite nach oben auf den Tresen. Die Titelstory der Adelaide Times drehte sich um die Energiekrise, aber die zweite Schlagzeile unten auf der Seite lautete: Trauer und leere Särge. Canberra Buschbrand Exklusiv.

      Penny tippte mit dem Finger darauf. »Kann man glauben, dass das schon sechs Monate her ist?« Sie stellte meinen Kaffee auf den Tresen. »Wohin ist die Zeit nur verschwunden?«

      Sechs Monate. Wow. Ich seufzte. »Scheint erst gestern gewesen zu sein.«

      Ich überflog den ersten Absatz des Artikels. Der Politiker Anton Gianoli wurde zum Tod seines Freundes interviewt. Das Schlimmste war die Ungewissheit. Ein leerer Sarg fühlte sich nicht nach einem Abschied an.

      Ich schluckte schwer. Nein, nein, tat es nicht.

      Mit einem tiefen Atemzug faltete ich die Zeitung und klemmte sie mir unter den Arm, während ich von meinem Kaffee trank.

      »Frag mich, was er für eine Geschichte zu erzählen hat«, sagte Penny.

      Mir wurde bewusst, dass sie wieder damit beschäftigt waren, den Kerl zu beobachten, der auf der anderen Straßenseite stand und aufs Meer blickte.

      »Ich bin mir sicher, dass es nichts Gutes ist, was es auch sein mag«, murmelte Collin.

      »Nicht jeder ist ein schlechter Mensch«, merkte ich an.

      Penny runzelte die Stirn und nickte. »Stimmt. Aber jeder, der nach Hadley zieht, läuft vor etwas davon.«

      Ihre Bemerkung hing schwer und kalt in der Luft. Es war etwas Wahres dran.

      Collin warf mir einen Seitenblick zu, als wollte er etwas sagen, doch ich kam ihm rasch zuvor. »Tja, ich sehe euch morgen«, sagte ich und ging zur Tür. Nur, dass ich nicht um die Ecke bog, um mich vor dem Wind in Sicherheit zu bringen und auf den Heimweg zu machen. Ich blieb stehen, betrachtete die einsame Gestalt, die nach wie vor aufs Meer sah, und mit einem tiefen Atemzug und in der Gewissheit, nichts zu verlieren zu haben, überquerte ich die Straße und ging auf ihn zu.


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