Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe. N.R. Walker

Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe - N.R. Walker


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Er lag nicht weit entfernt. Nichts in Hadley Cove war weit weg. Ich fiel neben ihm in Schritt und er betrachtete kopfschüttelnd meine Hände. »Die Handschuhe werden dich nicht warmhalten, wenn du sie nur festhältst.«

      Ich lachte leise und zog sie an, mir wurde sofort wärmer. »Danke noch mal dafür.«

      »Kein Problem. Wie gesagt, sie lagen nur herum. Ich habe auch noch eine alte Mütze, die du auch haben kannst. Ehrlich gesagt habe ich um die zehn. Mrs. Stretzki – sie wohnt in der Portside Street – hat mir einen ganzen Haufen gestrickt, weil ich ein paar kaputte Rohre für sie repariert habe.« Er schob die Hände in die Manteltaschen. »Viele Leute hier betreiben eine Art Tauschhandel. Ich habe mal umsonst die Haare geschnitten bekommen, weil ich Reifen gewechselt habe. Und die Hollies, die den lautesten Hahn der Welt halten, tauschen Eier gegen Fisch. Oder Brot oder was auch immer. Anfangs fand ich das skurril, aber so läuft es hier eben.«

      »Der alte Frank lässt mich umsonst bei sich wohnen, solange ich für ihn Reparaturen vornehme«, gab ich zu.

      »Siehst du? Du bist schon fast ein Einheimischer.« Wir hatten inzwischen den Imbiss erreicht und Patrick hielt mir die Tür auf. Eine Glocke über dem Türrahmen kündigte unsere Ankunft an und der Duft nach frittiertem Essen und Öl sorgte dafür, dass sich mein Magen verkrampfte.

      Oder es lag an Patricks Lächeln.

      Ich stellte mich vor den Tresen und sah auf zur Tafel mit der Speisekarte und Patrick gesellte sich neben mich. Er war nur ein paar Zentimeter größer als ich, aber deutlich kräftiger und breiter gebaut, wenn auch nicht auf bedrohliche Weise. Eher wie eine Säule der Kraft. Er schwieg einen Moment, dann fragte er: »Wonach ist dir zumute? Der gegrillte Fisch und die Pommes sind sehr zu empfehlen.«

      Urgs. Es war nicht so, als könnte ich viel bestellen. Er bezahlte, also wäre das unhöflich. »Ehm, was auch immer. Mir ist alles recht. Der gegrillte Fisch klingt super.«

      »Oh, hallo, Patrick«, sagte das Mädchen hinter dem Tresen. Sie war klein und kräftig, hatte ein weiches Gesicht mit Pausbacken, einen silbernen Stecker in der Nase und eine pinke Strähne in ihren ansonsten schwarzen, locker aufgesteckten Haaren. Sie warf einen kurzen Blick in meine Richtung, bevor sie wieder Patrick ansah. »Was kann ich euch bringen?«

      Er hielt zwei Finger hoch. »Das Übliche mal zwei, danke, Cassy.« Er sah sich zu mir um, dann wieder zu ihr. »Wir essen hier, wenn das in Ordnung ist? Draußen ist es heute ein bisschen frisch.«

      »Na klar«, erwiderte sie.

      Ich rutschte auf eine Bank für zwei. Sie unterhielten sich eine Weile über das Wetter und über jemanden namens Davey, der einen Bus besaß, was offenbar ein Insider war, da Cassy die Augen verdrehte und Patrick lachte. Es war recht offensichtlich, dass Patrick ein sympathischer Mann war, und ich vermutete, wenn man in einer so kleinen Stadt lebte, wusste jeder über jeden Bescheid. Entweder mochten einen alle oder es gingen einem alle aus dem Weg und ich fragte mich, zu welcher Sorte ich gehören würde.

      Sicher zu denen, denen man aus dem Weg ging.

      Das war nichts Schlechtes. So sehr ich mir Freunde wünschte und mich nach Gesprächen oder einfach Gesellschaft sehnte, konnte ich nicht.

      Es war schließlich nicht so, als befände ich mich in einem Zeugenschutzprogramm, in dem mir eine neue Identität zusammen mit passenden Papieren und Hintergrundgeschichte zugeteilt worden war, sollte jemand neugierig werden.

      Ich hatte nichts. Keine Krankenversicherungskarte, keine Steuernummer, keine Bankkonten. Keine Geschichte.

      Himmel, ich hatte nicht einmal ein Telefon.

      Das kam mir verrückt vor, denn vor weniger als einem Jahr hatte ich praktisch daran geklebt. Soziale Medien, Nachrichten, SMS. Aber Anton hatte sich größtenteils darum gekümmert und mich von meinen Freunden, meiner Arbeit, meinen Träumen isoliert. Also war es nicht allzu schwer gewesen, das Handy aufzugeben. Tatsächlich war es anfangs ein Segen gewesen.

      »Aubrey«, sagte Patrick. Er stand neben dem Getränkekühlschrank und angesichts seines Tonfalls und seines Gesichtsausdrucks fragte ich mich, wie oft er bereits meinen Namen gesagt hatte. »Cola oder Sprite?«

      »Ehm, Cola. Danke.«

      Moment mal. Woher kannte er meinen Namen?

      Patrick setzte sich mir gegenüber und reichte mir eine Flasche Cola. »Du warst meilenweit entfernt.«

      »Ja, tut mir leid.« Ich zog meine neuen Handschuhe aus und öffnete die Flasche, um nervös daran zu nippen. »Ehm, woher weißt du meinen Namen?«

      »Frank hat ihn mir gesagt. Keine Sorge. Morgen kennt jeder in der Stadt deinen Namen. So funktioniert der Buschfunk von Hadley. Frank wird um vier in den Laden gehen, um sich seine zwei Flaschen Bier zu kaufen, und er wird es Penny sagen, und Penny, na ja, sie wird ihn jedem verraten.«

      »Oh, verstehe.« Ich schnaubte. »Ist jeder in der Stadt so berechenbar?«

      Patrick lachte auf. »Oh ja. Einmal ist der Regierung der Strom für die Zeitrechnung ausgefallen und sie sind hierhergekommen, um ihre Uhren neu zu stellen.« Er zwinkerte. »Frank holt sein Bier um Punkt vier. Collin O'Hare, der örtliche Polizeibeamte, beginnt mit seinem Fünfkilometerlauf genau um halb sechs Uhr morgens und kommt um fünf Uhr zweiundvierzig am Leuchtturm vorbei.« Dann seufzte er. »Nicht, dass ich groß reden dürfte. Ich hole mir jedem Morgen um Viertel nach acht meinen Kaffee im Laden. Ich schätze, wir sind alle Gewohnheitstiere.«

      Ich drehte die Colaflasche um hundertachtzig Grad. »Oh ja, den Polizisten habe ich gestern kennengelernt.«

      Patrick lächelte mir leicht zu. »Er ist ein netter Kerl. Er liebt nur seine Spielregeln und möchte, dass seine Stadt genauso bleibt, wie sie ist. Hat er dich gefragt, was du hier machst und wie lange du zu bleiben gedenkst?«

      »Ja, quasi.«

      Patrick hob wegwerfend die Hand. »Ignorier ihn. Bei mir hat er dasselbe gemacht, als ich hergekommen bin, aber er ist in Ordnung.«

      »Ist er ein Freund von dir?«

      Er rutschte auf seinem Platz umher. »Irgendwie. Nicht so richtig. Ist kompliziert.«

      Genau in dem Moment brachte Cassy uns zwei Lieferkartons, in denen jeweils ein Berg an Essen war. »Hier, Jungs«, sagte sie. Jungs? Sie war jünger als ich und rund zwanzig Jahre jünger als Patrick. Sie hielt inne und musterte mich mit offener Anerkennung, dann lächelte sie. »Und du bist…?«

      »Öh, Aubrey«, antwortete ich.

      »Tja, nett dich kennenzulernen, Aubrey. Ich bin Cassy.« Sie stand lächelnd da, bis es peinlich wurde.

      »Danke, Cassy«, sagte Patrick und glücklicherweise verstand sie den Hinweis und ließ uns allein. »Tut mir leid. Es kommen nicht oft Neue her.«

      »Ich merk's schon«, sagte ich lächelnd. Er starrte mich an. Der Blick seiner blauen Augen drang ein bisschen weiter in mich vor, als ich erlauben sollte. Es lag etwas in ihnen. Etwas Vertrautes und Warmes.

      Auf der Suche nach einer Ablenkung nahm ich die Plastikgabel und stach in das weiße Fischfilet, das beinahe von selbst zerfiel. Der Duft war unglaublich und ich konnte nicht anders, als beim ersten Happen aufzustöhnen. »Oh mein Gott, der ist so gut.«

      Patrick starrte mich an. Seine Gabel hielt auf halbem Weg zu seinem Mund inne, bevor er errötete und sich ein wenig wand und ein paarmal blinzelte, bevor er weiteraß. »Ja. Ist er wirklich.«

      Okay, ich hatte vielleicht ein bisschen lauter aufgestöhnt, als ich gedacht hatte, aber ich konnte nicht anders. Gott, es war so lange her, dass ich richtiges Essen gegessen hatte. Nicht nur einen Becher billiger Nudeln oder Brot oder schwarzen Tee.

      Patrick warf mir immer wieder Blicke zu, während er sein Mittagessen vertilgte, und wenn zuvor so etwas wie Interesse in seinem Blick gelegen hatte, dann wurde es bald von etwas ersetzt, das nach Mitleid aussah. Als würde er jemanden beobachten, der nicht oft zum Essen kam.

      Ich legte langsam meine Gabel beiseite und bot ihm ein Lächeln an.


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