Die Todgeweihten. F. John-Ferrer

Die Todgeweihten - F. John-Ferrer


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auf die Antwort.

      »Sie kommen nicht weiter«, sagt Brandt. »Bei Formia geht es wild zu, und Monte Cassino hält sich noch.«

      »Viele Hunde sind des Hasen Tod«, orakelt der Gefreite und schnauzt zu dem Haufen Arbeiter hinüber: »Tempo! He! Tempo presto! Macht weiter, Amigos!«

      Brandt hat seinen Rundgang beendet. Als er ins Wachlokal zurückkehrt, sagt ihm Unteroffizier Müller, dass vom Castell Mare angerufen worden sei. Brandt lässt sich von der Vermittlung verbinden. Gleich darauf meldet sich die Stimme des Chefs.

      »Hier Seeadler zwo, Brandt«, antwortet der Leutnant. »Ich sollte anrufen. Was gibt’s?«

      »Bitte, komm sofort zu mir«, erwidert die andere Stimme. »Witt soll den Kram weitermachen. Pack deine Klamotten, Jochen, denn du kommst fürs Erste nicht zurück.«

      Brandt pfeift leise durch die Zähne. »Es liegt was an, wie?«

      »Das sage ich dir, wenn du hier bist.«

      »Gut. Ich bin in einer halben Stunde drüben. Bis dann also. Ende.«

      Brandt legt auf und reibt sich mit der flachen Hand die Stirn. Es hängt also wieder eine Kuh in der Luft! Soll man sich darüber freuen? Mal sehen, was der gute Boltz zu sagen hat.

      Oberstleutnant Boltz und der um etliche Jahre jüngere Brandt arbeiten schon über zwei Jahre zusammen. Brandt ist Boltz’ Stellvertreter. Außer Dienst duzen sie sich, wie überhaupt in einer so kleinen Gemeinschaft ein anderer Umgangston herrscht als bei einer regulären Militäreinheit. Das Leben bei den Einzelkommandos unterscheidet sich wesentlich von den Umgangsgepflogenheiten bei anderen Einheiten: Der Nimbus des Ranghöheren fehlt. Man schätzt den Charakter und die Tapferkeit eines jeden Mannes und erhebt ihn, gleich welchen Dienstgrad er einnimmt, zum Kameraden und Freund.

      Die Härte des Einsatzes bestimmt das Verhältnis zueinander und nicht zuletzt auch die traurige Tatsache, dass die meisten der durch eine harte Ausbildungszeit gegangenen Kämpfer bei einem ihrer hochriskanten Einsätze ums Leben kommen. Sie werden als anonyme Tote oder standrechtlich Erschossene aus der Liste gestrichen und machen einer anderen Nummer Platz, der aller Voraussicht nach das gleiche Schicksal beschieden ist. Das Sterben dieser Männer geschieht in aller Stille, wird ohne Ehrensalve zur Kenntnis genommen. Man gedenkt ihrer, indem eine gestrichene Nummer kein zweites Mal vergeben wird.

      Leutnant Jochen Brandt, 24 Jahre alt, wortkarg geworden, verschlossen und schon längst von heftigen Zweifeln befallen an der Sache, der er dient, verlässt das Wachlokal. Das kleine Zimmer im Marinekommando ist rasch erreicht. Feldwebel Witt liegt auf dem Feldbett und schnarcht, noch angekleidet, die Beine auf das untere Bettgestell gelegt.

      »He, du!«

      »Was’n los?«, grunzt der untersetzte, sonnverbrannte Kollege und fährt erschrocken hoch.

      »Ich muss weg. Du übernimmst den Laden hier. Falls etwas passiert, Nachrichten von unseren Mittelsmännern eintreffen, oder sonst was Wichtiges vorliegt, erreichst du mich im Castell Mare.«

      Brandt hat bereits mit dem Packen des Seesacks begonnen und stopft die wenigen Klamotten in das Gepäckstück.

      Witt reibt sich mit beiden Händen das Gesicht. Er hat noch gar nicht begriffen.

      »Geht’s los?«, fragt er.

      »Möglich. Der Alte hat es eilig gemacht.«

      »Dann ist bestimmt was los«, grunzt Witt. »Schickt er dir den Wagen rüber?«

      »Nein. Ich nehme unser Krad. Vielleicht liegt auch nichts vor, und ich bin morgen wieder zurück.«

      »Wenn er dich ins Castell ruft, sind bestimmt ein paar Neuigkeiten eingetroffen.«

      Brandt knallt die Spindtür zu und reicht Witt die Hand: »Mach’s gut, Ernst.«

      »Du auch. Und lass mich bloß nicht hier kleben, wenn was los sein sollte!«

      »Du hörst von mir!«

      Brandt wirft den Seesack über die Schulter und geht. Fünf Minuten später knattert die schwere Beiwagen-Maschine durch die Straßen von Ancona. Man sieht nur wenige Menschen. Die meisten Bewohner haben sich wegen der zunehmenden Bombenangriffe in die Campagna zurückgezogen. Räumtrupps sind dabei, Trümmer zu beseitigen. Am Stadtrand wird Brandt zweimal angehalten und muss sich ausweisen.

      »Haben Sie Ihre Uniform verscheppert?«, fragt ein Leutnant vom Marinekommando, als er Brandt den Ausweis zurückreicht.

      Brandt deutet auf den Seesack. »Dort drinnen. Soll ich sie auspacken?«

      »Nicht notwendig. Der Ausweis genügt.« Der Leutnant grüßt.

      Brandt gibt Gas, und die Maschine macht einen Satz nach vorn.

      Das Castell, in dem Oberstleutnant Boltz seinen Schreibtisch aufgestellt hat, liegt knapp zwanzig Kilometer hinter Ancona, an einem Berghang, zu dem ein staubiger Weg hinaufführt. Dunkle Zypressen trauern um das alte Gemäuer, das an der Ostseite steil zur Straße abfällt und von graugrünen Olivenhainen abgelöst wird. Man hat von dort oben einen wunderbaren Blick über das Meer. Aber das hier einquartierte Kommando hat anderes zu tun, als sich an der idyllischjen Küstenlandschaft zu ergötzen, deren romantische Stille nur allzu oft von Gefechtslärm zerrissen wird.

      Vor dem Burgtor stehen zwei Posten mit Maschinenpistolen bewaffnet. Brandt hält kurz an und ruft in das Brummen der Maschine: »Ich bin’s, Wendlinger!«

      »Ach, der Herr Leutnant!« Wendlinger grüßt zackig und tritt zur Seite.

      Staubbedeckt und eilig rennt Brandt in das efeuumsponnnene Gebäude, über eine Treppe hinauf und stürmt in sein Zimmer. Das Umziehen ist rasch getan. Die Uniform ist etwas zerknautscht; man sieht jetzt die vielen Auszeichnungen am Tuch: EK I, Deutsches Kreuz in Gold, Nahkampfspange und etliches mehr. Brandt hängt sich auch die italienische Auszeichnung um den Hals, denn es kann sein, dass fremder Besuch da ist, dem man vorgestellt wird. Außerdem weiß Brandt, dass es der Alte lieber hat, wenn man in Uniform kommt.

      In der weiträumigen Schlosshalle, beobachtet von einer Anzahl aristokratischer Hochmutsgesichter, belauert von zwei aufgestellten Ritterrüstungen und vom antiken Hauch des Hauses umfächelt, hat Fräulein Emmy Schreiner aus Magdeburg ihren Vorzimmerplatz zugewiesen bekommen.

      Das weizenblonde Mädchen mit den etwas farblos wirkenden Augen arbeitete schon seit Jahr und Tag im Amt Ha der deutschen Abwehrorganisation. Oberstleutnant Boltz sorgt immer dafür, dass bei dem oftmaligen Stellungswechsel seines Amtssitzes auch Fräulein Emmy Schreiner mit eingepackt wird. Denn sie ist eine routinierte Arbeitskraft, die Boltz nicht mehr missen kann.

      Das Mädchen weiß bereits, wer gekommen ist. Ein rascher Blick aus dem hohen Bogenfenster hat sie davon überzeugt, dass Leutnant Brandt sehr rasch dem Ruf des Chefs Folge geleistet hat – ein Grund, um in aller Eile das Lippenrot aufzufrischen und das germanisch einfach geordnete Blondhaar glattzustreichen.

      Da kommt er auch schon herein.

      »Tach, Emmy«, grüßt er.

      »Heil Hitler, Herr Leutnant«, erwidert sie als linientreue Parteigenossin. »Der Herr Oberstleutnant erwartet Sie schon.«

      »Wie geht’s?«, fragt er und lächelt ein bisschen. »Spukt es schon in Ihrem Salon, oder dulden die Herren dort …« – Brandt wirft einen Blick auf die hochmütigen Gesichter im schweren Goldrahmen – »die Zwangseinquartierung?«

      Emmys roter Mund verzieht sich zu einem Lächeln. »Ich habe noch nichts bemerkt, Herr Leutnant.«

      »Mäuse auch nicht?«

      »Mäuse?« Die hellblauen Augen weiten sich erschrocken. »Nein. Gott sei Dank nicht!«

      Rechts drüben geht eine hohe Flügeltür auf.

      »Ah, da bist du ja schon, Jochen! Komm herein!«

      Oberstleutnant Boltz winkt und klopft Brand freundschaftlich auf die Schulter, als er in das antik ausgestattete Zimmer tritt.

      »Alles


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