Die Todgeweihten. F. John-Ferrer

Die Todgeweihten - F. John-Ferrer


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schweigt. Mit finsterer Miene fährt er in die Ortschaft ein. Sie besteht nur aus einer Handvoll ärmlicher Häuser. Kein Mensch ist zu sehen. Erst als Brandt auf die Hupe drückt, tauchen ein paar Gesichter auf, angstverzerrt.

      Auf Brandts Frage, ob es hier ein Telefon gebe, kommt eine verneinende Antwort. Der schlohweiße Alte, der befragt wurde, schaut entsetzt zum Ortseingang, wo der Bus brennt, und bekreuzigt sich.

      »O mio dio«, murmelt er.

      »Keinen Zweck«, sagt Dengler. »Schauen wir zu, dass wir weiterkommen, sonst haben wir die Jabos noch einmal auf dem Hals.«

      Einsam ist die Straße. Kein Fahrzeug begegnet ihnen. Erst kurz vor der nächsten Ortschaft taucht ein Sanka auf, der nach Ancona fährt.

      Brandt informiert den mitfahrenden Unterarzt.

      »Sie können nicht mehr helfen«, sagt er. »Keiner ist herausgekommen. Benachrichtigen Sie bitte die Kommandantur von Ancona.«

      Sie tauschen noch ein paar Worte. Dann setzt Brandt sich neben Dengler und fährt weiter.

      »Die werden immer frecher«, sagt Dengler zu Brandt. »Möchte wissen, wo unsere großdeutsche Luftwaffe ist? Herr Meyer in Berlin ist wohl wieder auf der Bockjagd!«

      Brandt antwortet nicht; er starrt die Chaussee entlang. Das, was eben passiert ist, passiert mittlerweile überall. Vom der deutschen Luftwaffe ist nicht mehr viel zu sehen. Ist man vielleicht dem großen Ende näher, als man denkt? Wie lange dauert dieser Irrsinn noch? Warum setzt man sein Leben noch einmal aufs Spiel?

      »Sei ehrlich, Jok«, sagt Dengler. »Weißt du überhaupt noch, wie ’ne deutsche Me 109 oder Focke-Wulf aussieht? Ich nicht. Man könnte meinen, es gebe nur noch Tommies und Amis auf der Wiese des lieben Gottes, und uns gehört nur noch ein Stückchen Deutschland, so groß wie das Kornfeld meiner Tante Fini in Dorsten.«

      »Halt endlich den Schnabel!«, belfert Brandt.

      »Zu Befehl, Herr Leutnant«, grinst Dengler, nimmt Haltung an und beginnt mit dem Kopf zu wackeln und zu singen:

      »Deutschland, Deutschland, armes Deutschland,

      langsam kommst du auf den Hund …«

      Es klingt boshaft und traurig zugleich.

      Es ist dunkel geworden. Der kleine Fischerort San Giorgio verrät seine Existenz nur mit ein paar dünnen Lichtstrahlen, die durch verschlossene Fensterläden fallen. In den schmalen Gassen, die vom winzigen Marktplatz zum Hafen hinunterführen, liegt der Geruch von Fisch und geteerten Booten.

      Langsam schiebt sich ein Wagen durch die schmale Straße und hält vor dem kleinen Municipio. Wie ausgestorben ist der enge Platz. Denn gleich ist der Zeitpunkt da, an dem »Pipo«, der Nachtjäger, seinen Kontrollflug längs der Küste abkurvt und liebend gern auf Lichtquellen Bomben wirft oder kurz die Bordwaffen rütteln lässt.

      »He!«, ruft eine Stimme aus dem haltenden Wagen. »Wo ist die Villa Flora?«

      Eine Gestalt tritt näher und gibt halblaut Antwort.

      »Grazie, amigo«, sagt Brandt. Dann schnurrt der staubbedeckte Fiat wieder zum Städtle hinaus, biegt links ab und hoppelt einen schlechten Weg hinan, der schließlich vor einem großen, schmiedeeisernen Tor endet.

      »Wer da?«, ertönt es drinnen, und der abgeblendete Strahl einer Taschenlampe tastet Fahrzeug und Besucher ab.

      »Kommando Seeadler«, erwidert Brandt. »Wir werden erwartet.«

      »Va bene«, ertönt es hinter dem eisernen Zierat. Kreischend öffnet sich ein Torflügel. Zwei Posten bewegen sich im Halbdunkel.

      Brandt winkt Dengler und geht dem Wagen voran auf eine zwischen großen Bäumen liegende Villa zu. Der Putz ist an verschiedenen Stellen schon abgebröckelt, und große, wie riesige schwarze Augen glotzende Flecke haben sich an der Mauer gebildet. Eine ausgetretene Treppe führt zu einem dunklen Portal hinauf, neben dem zwei Lebensbäume in viereckigen Gefäßen stehen. Der Duft von Jasmin weht durch den nächtlichen Garten. Die herabgelassenen Jalousien lassen keinen Lichtschein durch.

      Brandt wartet, bis Dengler ausgestiegen und heraufgekommen ist.

      »In Gottes Namen«, lässt Dengler sich vernehmen. »Klopf an, Fremder, und erbitte dir ein Nachtquartier.«

      Brandt sucht einen Glockenzug oder Klingelknopf, findet aber nichts dergleichen und pocht hart an die Tür.

      Drinnen nähern sich rasche Schritte. Ein Riegel knackt. Die Tür wird aufgemacht. Eine halblaute Stimme fragt: »Prego?«

      »Leutnant Brandt und Feldwebel Dengler vom Kommando Seeadler.«

      »Ich krieg die Krätze!«, ertönt eine freudige Stimme. »Jok! Alter Seeräuber!«

      »Mensch, Amadeo!«

      Zwei alte Kämpfer haben sich wiedergetroffen und umarmen sich mit südlichem Temperament. Leutnant Amadeo Massimo ist Froschmann bei der »Decima«. Der kleine, drahtige Medizinstudent aus Padua freut sich aufrichtig. In der Diele sitzen noch ein paar Bekannte Brandts: Leutnant Marzi, mit dem Brandt in Neapel war. Dann Carlo Berton, der Sergente. Die anderen drei sind fremde Gesichter. Man hat Karten gespielt. Eine abgeschirmte Lampe ist tief über den Tisch gezogen, auf dem volle Aschenbecher, Gläser und eine Zweiliterflasche Chianti stehen. Die Männer sind noch jung und tragen dunkle Pullover mit Rollkragen.

      Das Wiedersehen zwischen den Freunden ist herzlich. Dengler, ebenfalls im Kreise der Froschmänner bekannt, schenkt sich gleich ein Glas Wein ein und toastet: »Kameraden, darauf muss ich mir den Gaumen anfeuchten! Salute! Jetzt macht mir der Jokus in Bari erst richtig Spaß!«

      Die anderen drei Froschmänner schauen noch ein bisschen reserviert drein, tauen aber sogleich auf, als Amadeo kurz Auskunft über das Kameradschaftsverhältnis gibt.

      »Willkommen«, sagen sie dann. »Setzt euch. Wir freuen uns.«

      »O mama mia!« Leutnant Amadeo Massimo kann es noch immer nicht glauben, dass Brandt, der in Freundeskreisen kurz »Jok« genannt wird, den Einsatz mitmachen soll. »Ich dachte, du wärst auf Urlaub oder sonstwo.«

      »Keine Zeit dazu, Amigo. Wo ist der Colonello? Ich muss mich bei ihm melden.« Brandt gibt Dengler einen Wink. Dann fragt er Amadeo: »Müssen wir uns umziehen, oder können wir in unserem Räuberzivil vorstellig werden?«

      »So wie ihr seid«, sagt Amadeo. »Kommt, ich führ euch hinauf.«

      Die drei gehen in den ersten Stock.

      Colonello Enrico Lorenzoni sitzt in einem sorgfältig abgedunkelten Zimmer und studiert mit der Vergrößerungslupe ein paar gelungene Luftaufnahmen von Bari.

      Es klopft.

      »Avanti!«, sagt der Offizier, ohne aufzublicken.

      Schritte kommen herein. Hacken klappen zusammen. Brandts Stimme schnarrt eine militärische Meldung herunter.

      Lorenzoni legt das Vergrößerungsglas beiseite, klemmt Daumen und Zeigefinger in die Augenhöhlen, schaut dann rasch auf und mustert die beiden.

      Er ist alt geworden, geht es Brandt durch den Kopf. Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er noch keine so tiefen Falten um den Mund.

      Das dunkle, wie Leder wirkende Gesicht des italienischen Obersten lächelt freundlich. Er kommt mit ausgestreckter Hand auf Brandt zu. »Ich freue mich, Sottotenente. Willkommen bei uns.« Er wendet sich an Dengler, der wie eine Eins steht. »Und Sie auch, Mareschiallo. Hatten Sie eine gute Reise?«

      »Danke«, antwortet Brandt und erzählt kurz von dem Vorfall auf der Straße nach San Giorgio.

      Das Lächeln verschwindet aus dem streng geschnittenen Offiziersgesicht. Lorenzoni nickt, bedeutet mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Amadeo rückt zwei Stühle vor den Schreibtisch und tritt dann wieder in den Hintergrund.

      Die drei Männer warten, bis der Oberst Platz genommen hat.

      »Sie können rauchen«, sagt er und reicht Brandt


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