Die Todgeweihten. F. John-Ferrer

Die Todgeweihten - F. John-Ferrer


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dich bitte um, Jochen.«

      »Ja.«

      Die Hände halten sich noch immer fest. Die beiden Männer schauen sich in die Augen.

      »Soll ich jemand benachrichtigen, falls dir etwas zustößt?«, fragt der Oberstleutnant.

      »Ich habe nur Mutter. Du musst dir selbst einen Text ausdenken, Walter.«

      Boltz lässt Brandts Hand los.

      »Du wirst es schaffen«, sagt er und klopft dem Leutnant auf die Schulter. »Grüße Lorenzoni von mir.«

      Sie gehen zur Tür. Dort bleibt Boltz noch einmal stehen. »Ich bin stolz auf dich, Jochen. Es käme mir sauer an, wenn du …« Boltz gibt sich einen Ruck. »Mach’s gut, mein Junge, und komm mir heil zurück.«

      Brandt klappt die Hacken zusammen und steht stramm.

      »Leutnant Brandt meldet sich ab.«

      »Ich wünsche euch alles Gute und viel Erfolg.«

      Oberstleutnant Boltz lässt Brandt hinaus und schließt die Tür. Drüben am Schreibtisch verstummt das Stakkato der Maschine. Fräulein Emmy schaut auf und kommt um den Schreibtisch herum.

      »Sie gehen schon wieder, Herr Leutnant?«

      »Ja. Ich muss mich wieder einmal von Ihnen verabschieden, Emmy.«

      »Wohin denn diesmal?«

      »Zur Abwechslung mal nach Bari.« Er reicht ihr die Hand. »Ich werde Ihnen eine Ansichtskarte schreiben, Emmy.«

      »Oh …«, macht sie erschrocken, »nach Bari. So weit wieder.«

      »Drücken Sie mir die Daumen«, sagt er.

      Sie nickt, und ihre blassblauen Augen schauen etwas verstört zu ihm auf.

      »Dann … dann viel Glück, Herr Leutnant.«

      »Das könnten wir brauchen.«

      Er drückt ihre Hand, streichelt ihr rasch über das Haar und verlässt die Halle mit schnellen Schritten.

      Emmy steht noch eine Weile da und schaut der entschwundenen Gestalt nach; dann seufzt sie leise und kehrt wieder hinter ihre Schreibmaschine zurück. Aber es dauert einige Zeit, ehe Fräulein Emmy den Brief nach Berlin weitertippt; denn sie muss daran denken, dass Leutnant Brandt weit ins feindliche Hinterland gehen wird und dass von dort nur wenige zurückkehren. Dieser Gedanke treibt dem Mädchen einen feuchten Schimmer in die Augen.

      Zehn Minuten später brummt im Schlosshof ein alter Fiat-Wagen und schaukelt mit zwei Männern in Zivil durch das alte Burgtor. Die Posten stehen stramm und grüßen. Gleich darauf verschwindet der Wagen in einer dichten Staubwolke.

      Brandt und Feldwebel Dengler – letzterer ein untersetzter, breitschultriger Kerl mit einer kräftigen Nase, von der sich eine Narbe zum linken Mundwinkel hinabzieht, und dem Gesicht eines jovialen Viehhändlers – tragen Zivilkleider und führen nur wenig Gepäck bei sich. Als einziges militärisches Kleidungsstück tragen sie unter den abgewetzten Jacken das Militärhemd mit dem tausendjährigen Raubvogel auf der Brustseite, sowie Ausweis und Erkennungsmarke. Die 08 steckt im Armhalfter unter der linken Achsel.

      Franz Dengler stammt aus Dortmund und gilt als ausgezeichneter Funker und kaltschnäuziger Draufgänger. Brandt schätzt ihn sehr und hat mit ihm schon mehrere Einsätze erlebt. Sie duzen sich.

      »Verdammt gutes Wetter für die Jabos!«, ruft Dengler in den Lärm des Motors. »Wir müssen höllisch aufpassen, Jok!«

      Der Wagen rollt jetzt eine schnurgerade Straßenstrecke entlang, zu deren beiden Seiten sich Olivenhaine mit Pfirsichplantagen ablösen. Rechter Hand wellt sich das Hügelland und geht weiter drüben in höheres Bergland über. Links liegt das Meer und badet sich im eitlen Sonnenschein, leicht rollend und den Strand beleckend.

      »Wer macht noch alles mit?«, fragt Dengler, während die Tachonadel um die Zahl 100 herumzittert.

      »Zwei Neue. Ein Fähnrich und einer vom SD.«

      »Seit wann steckt der SD seine Nase in unsere Angelegenheiten?«

      Dengler wirft einen Seitenblick auf Brandt und sieht dessen Schulterzucken. »Was ist das für ein Herr?«

      »Soll in Russland gewesen sein und das Ritterkreuz haben. Der Chef erzählte etwas von ›Frühstück beim Führer‹ und ›Nase hoch tragen‹.« Brandt grinst herüber. »So was kann uns nicht imponieren, wie?«

      »Wir haben auch schon mit feinen Leuten gefrühstückt«, sagt Dengler. »Denk nur daran, als wir …«

      »Achtung!«, brüllt Brandt plötzlich und deutet nach links. »Jabos!«

      Dengler tritt wild auf die Bremse. Der Wagen schleudert. Die Pneus radieren auf dem Asphalt. Dengler flucht wie ein kanadischer Holzfäller, als er den Fiat in den Straßengraben schaukelt und aus dem windschief hängenden Vehikel springt. Keine Sekunde zu früh.

      Die Jabos sind da. Die erste Maschine hüpft über die Chaussee hinweg, legt sich auf die Seite, kurvt über dem Meer ein und kommt zurück. Eine dünne Rauchfahne weht hinter ihr her. Jetzt dröhnt die zweite und sofort hinterher die dritte Maschine heran.

      Haben die Briten den Wagen gesehen? Er hängt im Straßengraben unter einem alten Olivenbaum. Die beiden Insassen liegen etwas davon entfernt und pressen sich in den Graben hinein.

      Jetzt dröhnt der erste Jabo heran; er fliegt die Chaussee entlang, hinter ihm her die beiden anderen. Weg sind sie. Aber jetzt … Es kracht ein paarmal, scharf und kurz. Fast gleichzeitig hört man das Knattern der Bordwaffen.

      Brandt und Dengler heben den Kopf, robben zum Grabenrand hoch und schauen nach vorn. Etwa drei Kilometer entfernt, vielleicht auch etwas näher, liegt eine Ortschaft. Dort blitzt es und kracht es. Rauch steigt auf, Flammen …

      »Diese Hunde«, sagt Dengler, »dort vorne haben sie was fertig gemacht.«

      Die Jabos kreisen über dem Dorf. Fliegen noch zweimal an. Die Bordkanonen knattern. Schwärzlicher Rauch kennzeichnet die Stelle, wo irgendetwas zusammengeschossen wurde. Ein Haus? Ein deutsches Militärfahrzeug?

      »Komm«, sagt Brandt und springt auf.

      Brandt schwingt sich in den Wagen, startet, ruckt an, karrt den Fiat endlich aus dem Graben und jagt auf die Rauchwolke zu.

      Die Jabos sind abgeflogen. Am Ortseingang brennt ein Omnibus. Lichterloh steht er in Flammen. Eine lebendige Fackel stürzt heran, fällt nieder und wälzt sich auf der Straße.

      Mit wildem Ruck hält Brandt den Wagen an und springt heraus. Dengler hinterher. Ein Bild des Grauens bietet sich ihnen. Der Omnibus ist mit Marinesoldaten besetzt. Niemandem ist es gelungen, aus dem zerschossenen und brennenden Wrack herauszukommen. Man sieht das große Fahrzeug kaum. Beißend dicker und rußender Rauch hüllt alles ein. Ein Glutgürtel liegt um das Fahrzeug und verhindert jede Hilfeleistung. Im fressenden Rot sieht man ein paar Gestalten in den Fenstervierecken hängen, tot, verbrannt, ehe sie herauskonnten. Etwas weiter vorne liegt eine Gestalt auf der Straße, die Arme weit von sich gestreckt, das Gesicht auf die Erde gedrückt. Der Fahrer. Tot. Erschossen.

      »Hier gibt es nichts mehr zu helfen«, sagt Dengler. »Alles hin.«

      Das Omnibuswrack verschmort mit hässlichem Geräusch. Kein Hilferuf mehr, kein Jammerschrei. Die Jabos haben ganze Arbeit geleistet. Niemand ist dem Tod entkommen. Die Flammen verzehren die Reste von dem, was einmal Menschen waren.

      Brandt und Dengler können hier nicht helfen. Nur die beiden Toten, der eine verbrannt, der andere von einem Dutzend Kugeln getroffen, werden beiseitegeräumt und in den Straßengraben gelegt. Die Hitze ist unerträglich.

      Brandt und Dengler laufen wieder zum Wagen zurück. Brandt setzt sich hinter das Steuer und taxiert den schmalen Raum zwischen dem brennenden Wrack und dem Straßengraben, gibt entschlossen Gas und jagt den Fiat durch den Wall sengender Hitze.

      Sie kommen durch,


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