Historisches Lernen mit schriftlichen Quellen. Wolfgang Buchberger
stand.
Salzburg, am 4.3.2020
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1 Vgl. Meyer-Hamme 2018, 78.
2 Vgl. Greiner et al. 2019.
3 Greiner 2019.
4 Günther-Arndt 2014, 26.
5 Vgl. Bergmann 1985, 236–240.
„Wenn man einmal von der Erkenntnis der ‚Konstruktion, Perspektivität und Narrativität‘ getrunken hat, kann man nicht zurück. Denn man kann keine ‚richtige Geschichte‘ ohne Perspektivenwechsel, Konstruktionsprinzipien und Deutungsmuster mehr beibringen.“6 (Bodo von Borries)
I. Einleitung
I.1 Vom Anspruch, historisch denken zu lernen
Mit neuen, konstruktivistischen Ansätzen in der Geschichtswissenschaft vollzieht sich spätestens seit den 1970er-Jahren ein Wechsel im Geschichtsunterricht, in dem die Erzählung durch die Lehrperson zusehends ihren Status als Grundform schulischer Geschichtsvermittlung einbüßt und das didaktisch-methodische Paradigma der Quellenorientierung in den Vordergrund tritt.7 Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, welche jedoch erst ab der Jahrtausendwende in Österreich verstärkt rezipiert wird.
Neben der Quellennutzung rückt entlang der Entwicklung der fachspezifischen Kompetenzorientierung das reflektierte und selbstreflexive Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler in den Brennpunkt des Geschichtsunterrichts. Das Motto lautet dabei „Geschichte denken, statt Geschichte auswendig zu lernen“8. Dem liegt ein dem gemäßigten Konstruktivismus zuzuordnendes narrativistisches Geschichtsverständnis zugrunde, das grundsätzlich zwischen der abgeschlossenen Vergangenheit und ihrer Re-Konstruktion durch historische Narrationen, z. B. fachwissenschaftliche Publikationen, aber auch Dokumentarfilme, unterscheidet.9 An die Stelle der reinen Aneignung von vorhandenem historischen Gegenstands- und Erkenntniswissens oder der bloßen Reproduktion von vorhandenen Erzählungen über die Vergangenheit tritt also die Grundlegung und Ausdifferenzierung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften des historischen Denkens, um sich kritisch mit Fragen über die Vergangenheit, mit der Re-Konstruktion von Vergangenheit durch historische Quellen, der De-Konstruktion von Darstellungen der Vergangenheit, mit inhalts- und theoriebezogenen Begriffen, Konzepten, Prinzipien, Kategorien und mit Orientierungsmöglichkeiten für die Gegenwart und Zukunft zu beschäftigen.10
Auszug aus dem Lehrplan für „Sachunterricht“ der Primarstufe:
„Im Sachunterricht sind Lernprozesse so zu organisieren, dass Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Kenntnisse, Einsichten und Einstellungen grundgelegt werden. (…) Die Kinder lernen dabei schrittweise, sich Informationen zu beschaffen, zu interpretieren und kritisch zu bewerten.“ Im Abschnitt „Erfahrungs- und Lernbereich Zeit“ der Grundstufe II heißt es u. a.: „Erste Einsichten für Veränderungen durch fachspezifische Arbeitstechniken gewinnen“ durch „Begegnung mit Zeitzeugen; anderen Quellen der Vergangenheit“. (BGBl. II Nr. 402/2010)
Auszug aus dem Lehrplan für die Sekundarstufe I:
„Der Unterricht in Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung ist so zu gestalten, dass es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht wird, historische und politische Kompetenzen zu erwerben. Dabei sind folgende Kompetenzbereiche zu berücksichtigen“. Erwähnt werden hier im folgenden Abschnitt die „Historische Fragekompetenz“, die „Historische Methodenkompetenz“, die „Historische Methodenkompetenz“ und die „Historische Orientierungskompetenz“. (BGBl. II Nr. 290/2008)
Auszug aus dem Lehrplan für die Sekundarstufe II:
„Historisches und politisches Lernen soll mehr sein als eine rein intellektuelle Aneignung von Sach- und Fachwissen“. (BGBl. II Nr. 277/2004)
Auszug aus der Prüfungsordnung für die Reifeprüfung in allgemeinbildenden höheren Schulen:
„Im Rahmen der mündlichen Teilprüfung ist jeder Prüfungskandidatin und jedem Prüfungskandidaten im gewählten Themenbereich eine kompetenzorientierte Aufgabenstellung, welche in voneinander unabhängige Aufgaben mit Anforderungen in den Bereichen der Reproduktions- und Transferleistungen sowie der Reflexion und Problemlösung gegliedert sein kann, schriftlich vorzulegen.“ (BGBl. II Nr. 174/2012)
Auszug aus der ministeriellen Handreichung zur kompetenzorientierten Reifeprüfung:
„Für die neue kompetenzorientierte mündliche Reifeprüfung sind die historischen und politischen Kompetenzen, die speziell für das Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung erarbeitet wurden, von größter Bedeutung.“ Und weiter: „Da sich kompetenzorientierte Aufgabenstellungen auf ein fachspezifisches Kompetenzmodell beziehen sollten, greift die vorliegende Handreichung auf die gesetzlich normierten historischen und politischen Kompetenzen zurück, die im Unterstufenlehrplan der AHS von 2008 verordnet wurden.“ (BMUKK 2011)
Abb. 1: Curriculare Hinweise auf einen reflektierten und reflexiven Umgang mit Vergangenheit und Geschichte in allen Schulstufen
Dieser fachspezifisch kompetenzorientierte Zugang ist in Österreich seit 2008 im Lehrplan für die Sekundarstufe I verankert11 und für die Sekundarstufe II zumindest seit 2011 – vier Jahre vor der ersten kompetenzorientierten mündlichen Reifeprüfung aus „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ im Sommersemester 2015 – grundlegend geworden, da die Reifeprüfungsverordnung ebenfalls einen derartigen Zugang erwartet. Es finden sich auch bereits in der Primarstufe im Lehrplan für „Sachunterricht“ Hinweise auf einen reflektierten und reflexiven Umgang mit Vergangenheit und Geschichte.12
Zudem wird der kompetenzorientierte Ansatz in den mittlerweile neu verordneten Lehrplänen für die Sekundarstufen I und II noch stärker akzentuiert. Seit 2016 gilt in Österreich ein neuer Lehrplan für den Unterrichtsgegenstand „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ in der Sekundarstufe I, in welchem die Aspekte fachspezifischer Kompetenzorientierung noch deutlicher ausformuliert sind, da historische und politische Teilkompetenzen in einzelnen Modulen explizit ausgewiesen werden und zusammen mit sogenannten „thematischen Konkretisierungen“ behandelt werden müssen. Im Modul 3 der 6. Schulstufe zum Thema „Mittelalter“, in dem sich drei sogenannte Kompetenzkonkretisierungen (i. e. Teil- bzw. Einzelkompetenzen) und drei „Thematische Konkretisierungen“ finden, könnte beispielsweise die „Kompetenzkonkretisierung“ „Schriftliche und bildliche Quellen beschreiben, analysieren und interpretieren“ mit der Angabe „Lebensweisen in Stadt und Land, wirtschaftlicher und technischer Wandel re-konstruieren“ aus der „Thematischen Konkretisierung“ des Moduls kombiniert werden.13
Gleiches gilt für den seit 2016 verordneten semestrierten14