Historisches Lernen mit schriftlichen Quellen. Wolfgang Buchberger
kann beispielhaft die 9. Schulstufe herangezogen werden, in der die zu behandelnde Teilkompetenz „Die unumgängliche Perspektivität und Intention von historischen Quellen feststellen“ mit der thematischen Verknüpfung „Ausbreitung von Kultur, Religion und Herrschaftsgebieten in europäischen und außereuropäischen Machtzentren sowie damit verbundenen Vernetzungen und Wechselwirkungen“ bearbeitet werden könnte, wobei dem Lehrplan entsprechend die thematische Eingrenzung für diese Schulstufe, „Von der griechisch-römischen Antike bis zum Ende des Mittelalters unter Berücksichtigung von Gegenwartsphänomenen“, zu berücksichtigen ist.15
Doch wie genau ist es um die domänenspezifische Kompetenzorientierung in Österreichs Schulbüchern nach deren Implementierung in den normativen Vorgaben (Lehrplan 2008/Maturaleitfaden 2011) bestellt? Dazu gibt es bisher nur punktuelle empirische Einblicke,16 weshalb sich das in diesem Beitrag vorgestellte Promotionsprojekt dieser Frage annimmt. Verständlicherweise kann dies auch in der vorliegenden Arbeit nur in Teilaspekten geschehen, weswegen schriftliche Quellen und deren Einsatz im Geschichtsschulbuch untersucht werden.17 Die Einschränkung auf diese Quellenart begründet sich zum einen auf der zentralen Bedeutung von schriftlichen Quellen „für jede Beschäftigung mit Geschichte“,18 zum anderen darauf, dass eine Ausweitung der Untersuchung den Rahmen dieses Projekts und die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen überstiegen hätte. Zum Begriff „Einsatz“ muss erläuternd hinzugefügt werden, dass nicht der tatsächliche Einsatz im Unterricht in Form von Unterrichtsbeobachtungen untersucht wird, sondern die entlang der Analyse von schriftlichen Quellen und Aufgaben im Schulbuch herausgearbeiteten bzw. in den konkreten Formulierungen der Arbeitsaufgaben zu den schriftlichen Quellen grundgelegten Möglichkeiten von Schulbüchern, fachspezifische Kompetenzen anzubahnen. Letztlich handelt es sich beim Begriff „Einsatz“ also um die durch die Schulbuchautor*innen grundgelegte bzw. angeregte Verwendung schriftlicher Quellen im Schulgeschichtsbuch, welche sich anhand bestimmter Untersuchungsdimensionen und -kategorien beschreiben, analysieren und interpretieren lässt.19
„Wenn die auf Lernen und Lehren bezogene Strukturierung untersucht werden soll, kommt den Arbeitsaufträgen eine besondere Bedeutung zu. Das Grundproblem, dessen man sich bewusst sein muss, ist, dass Schulbuchanalysen nicht erheben können, wie im Geschichtsunterricht mit den Büchern gearbeitet wird, sondern nur, welche Möglichkeiten im Buch liegen.“20
I.2 Gliederung der Arbeit
Zunächst wird in Kapitel II neben den Forschungsfragen der vorliegenden Untersuchung der Forschungsstand zu Textquellen in Schulbüchern bzw. im Geschichtsunterricht dargelegt. Dabei werden die Relevanz der Studie begründet, indem der Stellenwert von Geschichtsschulbüchern für historische Lehr-Lern-Prozesse kurz umrissen wird, die Besonderheiten der Untersuchung verdeutlicht und wesentliche Vorarbeiten beschrieben.
Das III. Kapitel widmet sich der Frage, was genau unter „historischem Lernen“ verstanden wird, und legt die damit einhergehenden normativen Gesichtspunkte offen. Der Begriff „Geschichtsbewusstsein“ sowie das theoretische Modell historischen Denkens spielen dabei ebenso eine wesentliche Rolle wie das Kompetenzmodell der Gruppe FUER Geschichtsbewusstsein. Auch wird den Fragen nachgegangen, welche Besonderheiten es beim frühen historischen Lernen in der Primarstufe zu beachten gilt, wie mit Textquellen im Speziellen historisch gelernt werden kann und welche normativen geschichtsdidaktischen Forderungen in Form von Qualitätskriterien an Geschichtsschulbücher als Medien historischen Lernens gestellt werden.
Anschließend werden in Kapitel IV Textquellen und der Umgang mit ihnen im historischen Lernen in den Mittelpunkt gerückt. Nach einer Definition, was genau unter Textquellen verstanden wird, und welche Gattungen unterschieden werden können, werden geschichtstheoretische und geschichtsdidaktische Hintergründe von Quellenarbeit beleuchtet. Fokussiert wird dabei u. a. auf die historische Methode, ihre didaktische Wendung im Geschichtsunterricht sowie Chancen und Herausforderungen im schulischen Umgang mit Textquellen. Auch hier widmet sich ein darauf folgender Abschnitt dem frühen historischen Lernen, indem geschichtsdidaktische Forderungen der letzten 40 Jahre und die Herausforderungen ihrer Umsetzung im Unterrichtsgegenstand „Sachunterricht“ beschrieben werden. Ein zentraler Baustein dieser Arbeit ist der Abschnitt IV.3 „Wie mit schriftlichen Quellen umgehen?“, in welchem auf Auswahlkriterien, standardisierte Fragen bzw. Modelle zur Interpretation, unterschiedliche Aspekte der Quelleninterpretation und einen schematisierten Ablauf von Interpretationsprozessen mit ihrer Zuordnung zu fachspezifischen Anforderungsbereichen der Reproduktion, des Transfers und der Reflexion eingegangen wird.
Kapitel V zielt über die normativen Vorgaben der geschichtsdidaktischen Diskussion zum historischen Lernen hinaus auf die normativen Vorgaben in den österreichischen Curricula und den ministeriellen Richtlinien, die als verbindliche Grundlage für die Zulassung der Geschichtsschulbücher zu betrachten sind und daher für die vorliegende Untersuchung Relevanz besitzen. In allen Verordnungen und Richtlinien lassen sich deutliche Vorgaben hinsichtlich wesentlicher Elemente historischen Lernens finden, wie sich in der (impliziten) Thematisierung des theoretischen Modells historischen Denkens, der fachspezifischen Kompetenzorientierung und Quellenarbeit zeigt.
Das VI. Kapitel dieser Arbeit widmet sich den für die vorliegende Untersuchung aus geschichtsdidaktischer Theoriebildung und Forschung sowie normativen Grundlagen abgeleiteten Analysedimensionen und -kategorien zum historischen Lernen mit Textquellen in Schulbüchern. Nachdem Genese und grundlegende Merkmale von Geschichtsschulbüchern im Allgemeinen bzw. kombinierten Lehrund Arbeitsbüchern im Besonderen sowie Charakteristika geschichtsdidaktischer Schulbuchforschung erläutert wurden, wird das methodische Vorgehen der kategorialen Schulbuchanalyse des vorliegenden Forschungsprojektes von der Erstellung des Untersuchungsinstrumentes, über die Untersuchung bis hin zur Interpretation der Ergebnisse dargestellt. Im daran anschließenden Abschnitt werden die Untersuchungskategorien der Analysedimensionen „Buch“, „Quelle“ und „Aufgabe“ definiert, jeweils Ankerbeispiele angeführt sowie Codierregeln beschrieben und damit offengelegt. Den Gütekriterien empirischer Forschung wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung darüber hinaus damit entsprochen, dass laufende Re-Tests in der Erhebungsphase in Form von Investigator-Triangulationen an ausgewählten Materialbestandteilen durchgeführt sowie eine Intercoderreliabilitätsüberprüfung der meisten Kategorien durch einen weiteren Geschichtsdidaktiker an einem Teil des Untersuchungskorpus vorgenommen wurden. Das methodische Vorgehen der Intercoderreliabilitätsüberprüfung und die Intercoderrealiabilitätswerte werden in einem dafür vorgesehenen Abschnitt erläutert und offengelegt, bevor im letzten Abschnitt des Kapitels das Thema fachspezifische Lernprogression erörtert und Möglichkeiten zur Messung lernprogressiver Elemente in Schulbüchern bzw. ein Modell zur Feststellung von möglichen für fachspezifische Lernprogression förderliche Elementen vorgestellt wird.
Im vorletzten VII. Kapitel der Arbeit werden die Untersuchungsergebnisse zu allen Analysekategorien aus der Primarstufe, der Sekundarstufe I und II und die Ergebnisse im Längsschnitt und Vergleich präsentiert. Dabei wird in der Auswertung neben einer Zusammenfassung der erhobenen Daten auf besondere Ausprägungen und auf besonders häufig vorzufindende Ausprägungen eingegangen. Die Ergebnisse zur Forschungsfrage hinsichtlich der fachspezifischen Lernprogression werden im letzten Abschnitt des Kapitels VII.4 beschrieben.
Kapitel VIII, das letzte Kapitel, beleuchtet zuerst die Limitationen der vorliegenden Untersuchung, bevor