Skyle. Esther Bertram

Skyle - Esther Bertram


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die letzte vor den Winterstürmen sein.«

      »Das bedeutet, die Königin wird uns mehr Aufmerksamkeit schenken können«, bemerkte Resul.

      Hawk hatte dasselbe gedacht.

      »Aber erst nach der Sturmpause«, warf Arzu ein.

      »Das heißt nicht, dass ihre Planungen bis dahin ruhen«, gab Hawk zu bedenken. Wie er die Königin kannte, hatte sie mehr als einen Trumpf im Ärmel. Sie mussten auf der Hut sein.

      »Der Winterkönig hält sich nach wie vor zurück«, schloss die Frau ihren Bericht. Hawk war nicht überrascht. Der Winterkönig war der Frühlingskönigin und der Marine militärisch unterlegen, selbst wenn sich die Wintergarde mit den Rebellen zusammenschloss. Er konnte allerdings nicht abschätzen, wie lange die Situation im Norden noch so bleiben würde, bevor sie endgültig eskalierte. Er hoffte, dass die Winterrebellen weiterhin dem Ansturm der Marine standhielten. So bestand die Chance, dass sich Crimson Flower mit den Winterrebellen verbünden konnte, falls sie irgendwann gegen die Frühlingskönigin ziehen sollten. Aber das lag noch in weiter Ferne. Der Sommerrat war ihr dringlichstes Problem und erstes Ziel.

      »Wie steht es mit den Wasservorräten im Osten?«, erkundigte Hawk sich ernst.

      »Auf Cormorant Island kümmert sich Drachenkaiser Viper um Nachschub. Auf dem Kontinent sieht es schlecht aus. Loroch und Zwyn sind fast komplett trocken«, antwortete Hadi, einer ihrer stärksten Kämpfer, der Resul auf allen Reisen begleitete.

      »Loroch und Zwyn?« Das waren zwei der größten Siedlungen im Osten des Kontinents. Hawk seufzte. Schlechte Nachrichten. Sie mussten so schnell wie möglich handeln. »Wie weit sind die Planungen für die Wassertransporte?«, fragte er Resul.

      »Die erste Sandschlitten-Karawane ist bereits auf dem Weg.«

      »Sehr gut.«

      »Was macht der Rat?«, fragte Resul im Gegenzug.

      »Ich bin seit einigen Wochen nicht mehr in Phoenix gewesen, aber beim letzten Mal konnten sie sich noch nicht einmal darüber einig werden, ob sie überhaupt etwas gegen uns unternehmen wollen. Die Truppen werden wie immer zum Winter in Phoenix und Port Gallowsway zusammengezogen. Es gibt ein paar vielversprechende Neulinge, die inzwischen mit dem Training angefangen haben dürften.«

      »Meinst du, wir können von ihnen welche rekrutieren?« Hadi dachte wie immer voraus.

      »Wenn wir es geschickt anstellen, ja. Aber wir sollten noch ein paar Wochen warten.« Hawk blickte in die Runde. »Sobald ich in Phoenix ankomme, werde ich einen Bericht über die Hafenstädte an der Westküste abliefern, in dem ich davon erzähle, dass alle Sklaven unschädlich gemacht wurden. Der Spähtrupp, der bei mir war, wird diesen Bericht bestätigen, weil sie glauben, dass sie genau das gesehen haben. Seht zu, dass ihr die Sklaven so schnell wie möglich vom Kontinent wegbringt.«

      Arzu tauschte einen Blick mit Kuni. »Wir werden uns darum kümmern.«

      »Wir haben die Sklaven aus den Transporten im Süden in die Stammesgebiete gebracht. Die Rjtak sind einverstanden, sie bis zum Frühling aufzunehmen«, fügte Hadi hinzu.

      »Ich weiß, ich bin bereits verständigt worden«, sagte Hawk. »Das Wichtigste ist jetzt, dass wir uns auf den Sommerrat konzentrieren und dabei der Frühlingskönigin aus dem Weg gehen. Wir müssen hoffen, dass die Winterrebellen sie noch bis zu den Winterstürmen beschäftigen.«

      »Was sagen unsere Gruppen an der Westküste?«, fragte Hadi.

      Hawk dachte an seine letzten Treffen. »Sie sind bereit. Wir werden den Sommerrat dieses Jahr während der Winterstürme stürzen können.«

      Hadi nickte zufrieden. Auf Arzus entstelltes Gesicht stahl sich ein Lächeln.

      »Im Hinblick auf die Pläne sehe ich übrigens noch eine Reihe von Problemen«, sagte Resul.

      Hawk machte es sich auf seinem Stuhl bequem. »Also gut. Lass hören.« Es würde ein langer Nachmittag werden.

      • 13 •

      Stimmengewirr und Gelächter drangen aus dem Schankraum in die Küche, wo Lynx mit routinierten Handgriffen das Essen zubereitete. Der White Dragon war wie immer bis auf den letzten Platz besetzt und Mitsu hatte heute frei. Ferry hatte sie kurz zuvor abgeholt. Heute Abend hatte er endlich den Mut aufgebracht, mit ihr auszugehen. Er hatte mit einer weißen Pfeffernelke, einem hochroten Kopf und einem etwas dümmlichen Grinsen auf sie gewartet. Lynx konnte sich nicht daran erinnern, Mitsu jemals so glücklich gesehen zu haben.

      Sie dachte an die Nachricht, die Ferry außerdem für sie dabeigehabt hatte. Varg hatte sie geschickt, zusammen mit einem Strauß Feuerlilien. Varg, der merkwürdige, geheimnisvolle Varg, der in der letzten Zeit so oft bei ihr im White Dragon gewesen war. Jetzt war er schon seit über einer Woche nicht mehr aufgetaucht, und heute brachte Ferry Vargs Entschuldigung, dass er in nächster Zeit nicht kommen würde. Was er wohl trieb? Lynx machte sich ein wenig Sorgen. Sie erinnerte sich nicht, wann sie das letzte Mal so viel Kontakt zu einem anderen Drachen gehabt hatte. Varg hatte recht, es gab nicht mehr viele von ihnen. Nicht seit Beginn der Drachenjagden vor achthundert Jahren, noch vor ihrer Geburt. Drachen waren nie besonders zahlreich gewesen, wenn man den Legenden Glauben schenken durfte.

      »Kajin!«

      Sakuras Stimme riss sie aus ihren Grübeleien. Das Mädchen kam durch die Schwingtür zum Schankraum, die Arme voll mit dreckigem Geschirr. »Wir müssen die Bestände für die obere Bar aufstocken!«, rief sie Lynx über die Schulter zu.

      »Ich kümmere mich darum. Hakaze?«

      Hakaze tauchte lautlos neben Lynx auf, blass und unscheinbar wie immer.

      »Lass dir von Sakura sagen, was fehlt. Und sieh nach, was wir noch in den Vorratskammern haben.«

      Hakaze nickte und verschwand so still, wie sie gekommen war.

      Lynx wandte sich wieder den Töpfen und Pfannen zu. Um sie herum wirbelten die Mädchen, rührten in Töpfen, bereiteten Zutaten vor, wuschen ab, machten Teller zurecht, brachten Tabletts mit Speisen in den Gastraum und kehrten mit noch mehr dreckigem Geschirr zurück. Emsiges Geklapper, helle Stimmen und Gelächter erfüllten die Küche, zusammen mit den Gerüchen der Speisen und leichtem Schweißdunst. Lynx fühlte sich inmitten dieser Betriebsamkeit wohl. Sie liebte es, mit den Mädchen in der Küche zu arbeiten, genauso wie sie es liebte, draußen bei ihren Gästen hinterm Tresen zu stehen. Der White Dragon war ihr Ruhepol, ihre Oase in Autonne Gale, dieser Stadt voll altem Glanz und Verfall.

      Vor einigen Tagen hatte es das erste Mal geschneit. Der Schnee war zwar nicht liegengeblieben, aber er hatte klar gemacht, dass der Winter endgültig Einzug gehalten hatte. Nicht mehr lange, dachte Lynx sorgenvoll, und Schnee und Winterstürme würden die Hauptstadt des Herbstreiches wieder in ihre eisigen Fänge nehmen. Die Winter auf den Herbstinseln waren stets hart und lang, wenn auch nicht so extrem wie auf den Winterinseln hoch im Norden. Doch dieses Mal würden sie Probleme bekommen. Die ohnehin schon karge Ernte war bei der anhaltenden Feuchtigkeit verfault, die Wälder, in denen sonst gejagt wurde, waren versumpft. Bis vor knapp einer Woche hatten sich starke Winde und sintflutartige Regenfälle abgewechselt, und jetzt kam auch noch der Schnee.

      Besorgt dachte Lynx an die zu Neige gehenden Vorräte in der Stadt. Das Wetter hatte dafür gesorgt, dass die Schiffe der großen Handelsflotten erst spät oder gar nicht eingetroffen waren, und so waren die meisten Getreidelieferungen von den Frühlingsinseln im Osten ausgeblieben. Noch konnten sie das Fehlen des Getreides mit Nussmehl ausgleichen, das aus Früchten der Wälder des Herbstreiches gewonnen wurde. Doch schon jetzt waren Getreide und Mehl fast ihr Gewicht in Cœurs wert. Lynx hatte ausreichende Rücklagen, um über den Winter zu kommen, aber danach würde es schwierig werden. Für die meisten anderen Einwohner von Gale sah es anders aus, vor allem, da die alljährlichen Steuererhöhungen um Mittwinter noch bevorstanden. Sie waren abhängiger denn je von den Launen der Frühlingskönigin, die jedes Jahr die Steuern in neue Höhen trieb. Die Königin war nicht das offizielle Oberhaupt des Herbstreiches, aber der Herbstkönig war nichts weiter als eine Marionette in ihrem Kabinett – sie ordnete


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