Skyle. Esther Bertram
es geschafft hast, die Werftleitung dazu zu bringen, diesen Auftrag anzunehmen, aber der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig.«
»Ich habe ihnen gesagt, dass ich die Vorarbeiterposition einnehmen würde«, antwortete Wolf. »Das hat sie überzeugt.« In Wirklichkeit war es vor allem die großzügige Entlohnung gewesen, die dieser Auftrag versprach. »Außerdem will ich, dass dieses Schiff bis zum Ende des Winters fertiggestellt wird. Und du weißt, dass wir hier um jeden Auftrag kämpfen sollten.«
Jacques seufzte abermals. »Das ist mir bewusst!«, knurrte er. »Aber diese Pläne … Das ist ein Mordsaufwand für so ein kleines Schiff!«
»Das stimmt, aber ich denke nicht, dass wir viele unserer Schiffsbauer benötigen werden. Ich habe noch ein paar zusätzliche Leute an der Hand. Die Werftleitung ist einverstanden.«
Jacques sah ihn misstrauisch an. »Du willst Externe dazuholen? Bist du dir sicher?«
»Warum nicht? Ich weiß, dass wir neben den beiden Handelsschiffen für die Rousseau-Familie noch eine ganze Menge Reparaturaufträge haben. Ohne zusätzliche Arbeiter können wir dieses Schiff nicht bauen, wenn wir bei den anderen Aufträgen keine Abstriche machen wollen.«
»In Ordnung, du hast recht. Wir können den Auftrag wirklich gut brauchen.« Er blickte wieder auf die Pläne und strich sich grübelnd über den Vollbart. »Diese Zeichnungen erinnern mich an die legendären Blaupausen der Wonder.« Wolf sah ihn verblüfft an. Die Wonder mochte ein legendäres Piratenschiff sein, aber er hatte bisher noch niemanden außerhalb des Teams getroffen, der ihre Baupläne kannte.
»Der Mann, mit dem ich meine Lehrjahre verbracht habe, hat bei ihrem Bau mitgeholfen«, fuhr Jacques fort. »Coram und ich waren damals beste Freunde. Als wir uns viele Jahre später wiedergetroffen haben, hat er mir einen Teil der Pläne gezeigt.«
»Ach, du kennst Coram?« Wie klein die Welt doch war. »Ich wollte ihn fragen, ob er bei diesem Projekt dabei sein kann. Wenn ihr Glück habt, seht ihr euch bald wieder.«
»Ist Coram einer der Externen, von denen du gesprochen hast?«
Wolf nickte. »Die anderen sind genauso gut«, versprach er.
»Du warst beim Bau der Wonder dabei«, sagte Jacques. Das war eine Feststellung, keine Frage.
»War ich«, bestätigte Wolf. Er sah keinen Grund, es abzustreiten. Er brauchte Jacques' Unterstützung bei diesem Auftrag. Wenn der Vorarbeiter eins und eins zusammenzählte, würde er auch erkennen, dass Wolf die Pläne der Wonder entworfen hatte.
»Die Wonder ist ein Traum! Sie ist nicht weniger ein Kunstwerk«, schwärmte Jacques, ohne das Grinsen auf Wolfs Gesicht zu bemerken. »Aber dieser Auftrag, dieses Schiff«, sagte er eindringlich und wedelte mit den Bauplänen, »ich glaube, es hat das Potenzial, die Wonder in ihrer Herrlichkeit noch zu überbieten.«
»Würdest du mithelfen?«, fragte Wolf.
Jacques sah ihn überrascht an. »Beim Bau?« Wolf konnte die Begeisterung auf Jacques' Gesicht sehen, aber er überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete. Wolf schätzte es, dass er sich nicht Hals über Kopf in den Auftrag stürzte, sondern sich Zeit nahm, darüber nachzudenken. »Ich nehme an, die anderen Aufträge können auch ohne meine Hilfe erledigt werden. Und ehrlich gesagt: So ein großzügiger Lohn kommt mir gerade recht, bevor ich ins Frühlingsreich gehe. Meine Familie wäre jedenfalls dankbar. Ich habe es den anderen noch nicht gesagt, aber ich werde im Frühling auf die königlichen Werften von Humming Waters wechseln. Dieser Winter wird mein letzter hier sein. Ich hatte gehofft, du könntest meine Stelle als Vorarbeiter übernehmen, Varg. Die Werft braucht junge, geniale Köpfe wie dich.«
Wolf lachte leise. »Tut mir leid, aber ich habe selbst nicht die Absicht, länger als bis zum Frühling hierzubleiben. Es wird Zeit, dass ich Autonne Gale den Rücken kehre.«
Jacques musterte Wolf eine Zeit lang. Mit Sicherheit ahnte Jacques, dass Wolf kein gewöhnlicher Mensch war. Sie arbeiteten schon seit Jahren zusammen, und manche Dinge konnte ein Drache auf Dauer nicht verbergen. Spätestens jetzt, wo Jacques wusste, dass Wolf die Wonder mitgebaut hatte, musste ihm alles andere auch klar sein.
»Tja, da kann man wohl nichts machen«, sagte Jacques schließlich. »Du bist schon ein komischer Vogel, Varg.«
»Das kann schon sein. Hilfst du mir auch, unser Team zusammenzustellen?«
Jacques nickte zögernd. »Sicher. Wenn du mir verrätst, wen du als Externe eingeplant hast.«
»Sie sind alle Experten auf ihren Gebieten. Sie werden unsere Leute hier hervorragend ergänzen.«
»Wenn sie alle so gut sind wie Coram, habe ich daran keine Zweifel.« Jacques zupfte sich gedankenverloren am Vollbart. »Ich glaube, ich weiß schon, wen ich ins Team holen möchte.«
Wolf nickte lächelnd. »Ich bin gespannt auf deine Vorschläge.«
• 16 •
Ein Sturm zog auf. Schwarze und schwefelgelbe Wolken sammelten sich zu einem gewaltigen Gebirge, das alle Augenblicke von zuckenden weißen Blitzen erhellt wurde.
Die Kapitänin der Storm Riders behielt mit besorgter Miene den Horizont im Südosten im Auge. Die Wonder machte gute Fahrt und sie hatte ihrer Besatzung bereits die nötigen Befehle gegeben, um gegen die Sturmfront gewappnet zu sein.
Sie hatten in den vergangenen Wochen bereits eisigen Fallwinden und tückischen Strömungen, Himmelsschlangen und lokalen Gewitterstürmen getrotzt. Ihre Mannschaft bestand aus Menschen und Moosvolk, einer Handvoll Antinanco, drei Rjtak und einer Moena. Inzwischen konnte LeClaire es sich leisten, nur die Besten der Besten für den Dienst an Bord der Wonder auszuwählen. Die Wonder war eines der wenigen Wolkenschiffe in Skyle, die die Wolkenmeere relativ unbehelligt kreuzen konnten. Und dieser Sturm war nichts gegen das, was sie schon bewältigt hatten.
Trotzdem beunruhigte er sie. Sie befanden sich auf halber Strecke zwischen den Winter- und den Frühlingsinseln. Hier waren Stürme zu keiner Jahreszeit ungewöhnlich. Doch diese Wolken … Die obere Schicht des Wolkengebirges zerfaserte im Blau des Himmels, schlug kleine Wellen und Wirbel. Sie veränderte sich beständig, schnell und unaufhaltsam. LeClaire kniff die Augen zusammen. Irgendetwas war da.
Wind peitschte über das Deck. Er trug den beißenden Geruch von frischem Blut und Eisen in sich. Kapitänin LeClaire zog ihr Fernrohr hervor und richtete es auf die Sturmfront. In den wirbelnden Schleiern der Wolken wurden graue und schwarze Leiber sichtbar. Sie nahm das Fernrohr wieder herunter.
Hollister, ihr erster Maat, lehnte sich an die Reling. »Schicksalswinde, was, Käpt'n?«
Die Kapitänin nickte. Die jagenden Wesen zwischen den Wolken gingen ihr nicht aus dem Kopf. In ihrer langen Zeit als Himmelsseglerin und Wolkenpiratin hatte sie so etwas erst einmal gesehen. »Das sind Sturmspiele, Hollister. Sie jagen.«
Hollister spuckte aus. »Hoffen wir, dass sich keines ihrer Opfer an Bord unserer Wonder befindet.« Er spielte damit auf eine alte Legende an, nach der die Meute der Sturmspiele in ihrer immerwährenden Himmelsjagd die Seelen der Meuterer und Fahnenflüchtigen von den Schiffen holte.
LeClaire schüttelte den Kopf. Sie hatte genug Wundersames und Gefährliches gesehen, um eine gehörige Portion Aberglaube in sich zu tragen, aber um diese Himmelswesen machte sie sich keine Sorgen. »Die Wonder ist ein stolzes Schiff. Hier an Bord muss sich niemand vor den Sturmspielen fürchten.« Damit entließ sie ihren ersten Maat. Hollister tippte kurz an seine Schirmmütze, drehte sich um und bellte einige kurze Befehle.
LeClaire wandte sich wieder der Jagd der Sturmspiele zu. Inzwischen hörte man auch ihr Kläffen und Knurren, unheimliche, widerhallende Laute, die an das Geschrei von Wildgänsen und Donnergrollen erinnerten. Ein solches Schauspiel konnte man wahrhaftig nur selten bewundern.
Die Wonder war auf dem Unteren Wolkenmeer unterwegs, auf dem Weg nach Moon Bay im Norden des Frühlingsreiches. Es gab nicht viele Himmelssegler, die die hier vorherrschenden Gefahren auf sich nahmen. Das hier war kein Ort für Jungspunde und Grünschnäbel. Zahllose Schiffe hatten hier ihr frühes Grab