Skyle. Esther Bertram

Skyle - Esther Bertram


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Sie hatte ihn in die Mitte ihrer Macht vorgelassen, nicht umgekehrt. Fly wusste plötzlich, dass die Königin dieses politische Machtspiel verloren hatte. Unwillkürlich knirschte sie mit den Zähnen.

      »Ich danke Euch für ein äußerst erhellendes Gespräch«, sagte Viper höflich.

      Die Frühlingskönigin nickte und gab einem ihrer Leibdiener ein Zeichen. Der Diener öffnete die Flügeltür des Audienzsaals und die beiden Drachinnen, die Viper am Morgen bei seiner Ankunft begleitet hatten, traten ein, gefolgt von Ministern und Beratern der Königin.

      Der Drachenkaiser dankte der Königin und verabschiedete sich förmlich. Fly schauderte leicht, als Viper an ihr vorüberging und sein Geruch sie einhüllte. Alles in ihr schrie danach, auf dem Absatz kehrtzumachen, doch sie hielt die Luft an und bewahrte Haltung.

      Die Königin wandte sich an sie. »Fly, sei so gut und geleite unsere Gäste nach draußen. Ich wünsche, dass sie wohlbehalten nach Hause zurückkehren können.«

      Fly salutierte knapp. Sie hatte verstanden, dass die Königin Viper aus dem Palast geführt wissen wollte. Sie traute den Drachen ebenso wenig wie Fly.

      Fly verbeugte sich tief vor Viper und seinen Begleiterinnen. »Wenn Ihr mir folgen mögt …«

      • 18 •

      Der anhaltende Regen tauchte die Landschaft in graue Schleier. Raven kochte. Seit Ewigkeiten, so schien es ihm, durchkämmte er die südlichen Herbstinseln auf der Suche nach dem Zerleger. Er verspürte nicht übel Lust, dem Rjtak, wenn er ihn erst einmal gefunden hatte, den Hals umzudrehen. Seine Beute war ihm immer einen Schritt voraus. Es war ein gefährliches Spiel, das sie spielten. Doch Raven war kein Kind mehr, und auch Kel trieb schon so lange sein Unwesen, dass er an die sechzig Lebensjahre heranreichen musste.

      Raven wusste immerhin, dass er auf der richtigen Spur war. In Gedanken versunken stapfte er durch den regennassen Wald auf einer der Inseln, einem Tipp folgend, den ihm ein Dorfbewohner gegeben hatte. Angeblich hielt sich seit Tagen eine merkwürdige Gestalt in einer verlassenen Köhlerhütte auf. Raven hatte wenig Hoffnung, dass es tatsächlich der Zerleger war, aber auch diesem Hinweis musste er nachgehen.

      Raven starrte grimmig vor sich hin. Oh, Wolf würde ihn für diese Jagd entschädigen müssen, so viel stand fest, und zwar mit weit mehr Geld, als er ihm versprochen hatte!

      Stetig rauschte der Regen auf ihn herunter. Die letzten Blätter raschelten, als der Wind durch sie hindurchfuhr. Die schlanken Gestalten der Sciuri huschten an den Baumstämmen auf und ab oder glitten mit weiten Sprüngen von Baumkrone zu Baumkrone. Ihr grünes Fell glänzte vom Regen und ihre keckernden Schreie hallten im Wald wider. In der Ferne riefen Wildgänse. Eine Horde Buschschweine mit rostgelbem Fell und weißen Pinselohren suchte unter dem Laub nach den letzten Früchten des Waldes. Irgendwo über den Baumwipfeln schrie ein Schelladler. Das Unterholz war erfüllt vom Rascheln und Wispern kleiner Lebewesen. Der ganze Wald strotzte nur so vor Leben.

      Am Rand der gesuchten Lichtung blieb Raven stehen. Es war genau, wie der Mann im Dorf gesagt hatte: Dort im Schatten der Felsen stand die windschiefe Köhlerhütte. Ringsum ragten drohend die Bäume in der Dämmerung auf.

      Witternd hob Raven den Kopf. Er roch einen Rjtak unter den Schichten der Walddüfte, doch die Spur war kalt und mindestens zwei Tage alt. Raven fluchte leise. Wieder eine Sackgasse. Aber vielleicht fand er ja in der Hütte einen Hinweis darauf, wohin der Zerleger gegangen war.

      Er trat auf die Lichtung. Ein weiteres Mal witterte Raven, nahm alle Spuren in sich auf und fügte in seinem Kopf ein Duftbild der Lichtung zusammen, das sich wie ein Schleier über das Bild legte, welches seine Augen ihm lieferten. Kels Spur war jetzt ganz deutlich zu erkennen. Sie führte auf der anderen Seite der Lichtung zwischen den Felsen hindurch und verschwand im Wald.

      Ein Rascheln ließ ihn herumfahren.

      Noch bevor die Gestalt hinter ihm ihre Klingen gezogen hatte, wirbelte Raven herum und zückte seine Pistolen.

      Reglos verharrten die Opponenten. Die Dunkelheit machte es schwer, zwischen Körper und Schatten zu unterscheiden.

      »Bist du der Black Sniper?«, kam die volltönende Stimme des Mannes aus der Dunkelheit.

      Diesen Namen hatte er schon lange nicht mehr gehört. Als Antwort hob Raven seine Pistolen.

      Dann brach der Mond zwischen den Wolken hervor. Sein Silberlicht ließ die Klingen in der Hand des Mannes glänzen. Er war hochgewachsen und muskulös, mit weißem Haar und dunkler Haut. Kaum war der Mond wieder hinter einer Wolke verschwunden, griff der Fremde an. Raven wich ihm mühelos aus.

      Sein Angreifer sprang zurück und warf eine Klinge. Raven duckte sich überrascht. Der Mann hatte mit dem Sichelmesser genau auf seine Kehle gezielt – er wollte ihn töten! Rasselnd kehrte die Sichelklinge in die Hand des Fremden zurück. Sie war, ebenso wie ihr Gegenstück, an einer schwarzen Metallkette befestigt. Der Mann konnte die Klingen sowohl werfen als auch im Nahkampf einsetzen. Und er wusste sich gut zu verbergen. Raven hatte ihn nicht bemerkt, bevor er sich zu erkennen gegeben hatte.

      Anerkennend hob Raven die Augenbrauen. »Außergewöhnliche Waffen für einen außergewöhnlichen Kämpfer. Wer bist du?«

      Der Fremde starrte ihn hasserfüllt an. »Ich bin Rhino. Und ich bin gekommen, um dich zu töten.«

      Das tiefe Rubinrot in Ravens Augen wurde augenblicklich heller, als sie auf Rhinos hellroten, stechenden Blick reagierten.

      »Tatsächlich?«, fragte Raven kalt. Demonstrativ hob er eine seiner Pistolen. Das kalte Metall fühlte sich wie eine Liebkosung auf seiner Haut an. Ohne Vorwarnung schoss er.

      Rhino duckte sich unter den leuchtenden Loumegeschossen weg und startete einen neuen Angriff. Seine Klingen durchschnitten die Luft.

      Raven wich zur Seite aus und feuerte zurück. Minutenlang waren sie sich beinahe ebenbürtig. Es war wie ein Tanz, der aus Angreifen und Ducken bestand, aus Vorstoßen und Zurückziehen. Es war ein Tanz des Todes.

      Ravens schlanke, durchtrainierte Gestalt tänzelte über den unebenen Boden der Lichtung, während Rhino sichtlich an Geschwindigkeit verlor und schwerer atmete. Er mochte ein Drache sein, doch er konnte mit Raven nicht mithalten. Außerdem hatte er einen Streifschuss an der Schläfe abbekommen, sodass ihm immer wieder Blut in die Augen rann und ihm die Sicht raubte. Schließlich ließ der weißhaarige Fremde einen Moment seine Deckung sinken. Schon tauchte Raven wie ein schwarzer Schatten vor ihm auf. Er setzte seine Pistolenläufe auf Rhinos Brust.

      »Ich hasse dich!«, zischte Rhino, ohne zurückzuweichen.

      Raven lächelte kalt. »Und welchen Grund habe ich dir gegeben, mich zu hassen?«, fragte er.

      Rhino starrte ihn ungläubig an. »Soll das ein Scherz sein?«, schrie er. Er stieß mit seinen Sichelmessern nach Raven. Der sprang zurück, ohne die Läufe seiner Pistolen hochzunehmen. Sie zielten noch immer auf das Brustbein des Drachen. »Du hast sie umgebracht! Du hast sie alle umgebracht! Verdammt! Du bist der Black Sniper! Ich habe jahrelang nach dir gesucht, du verfluchter Bastard! Sie sind alle tot. Du hast sie auf dem Gewissen, elender Verräter! Ich bringe dich um!«

      »Wen habe ich getötet?«

      Rhino war außer sich vor Wut. »Meine Familie, du verfluchter Hurensohn! Racoon! Du hast meine Schwester und ihre ganze Familie getötet!« Der Schmerz schien Rhino zu überwältigen. »Du hast nicht einmal ihren Partner verschont, obwohl er nicht bei ihnen war, als du sie umgebracht hast! Du hast sie gejagt und zu Tode gehetzt! Sie waren Alchemisten, sie haben nichts getan! Wie kannst du das vergessen? Sie waren Drachen, verstehst du, Drachen! Wie kannst du so gleichgültig sein?«

      Mit der Kraft der Verzweiflung bäumte Rhino sich auf und hieb mit seinen Sichelmessern nach Raven. Mit reglosem Gesicht feuerte Raven zweimal. Er traf Rhino ins rechte Schlüsselbein und in den linken Oberschenkel. Der weißhaarige Drache stürzte zu Boden, nur um sich sofort wieder aufzurappeln.

      »Du verdammter Überläufer! Warum hilfst du ihnen, uns auszurotten? Warum?« Er schwankte. Blut strömte aus seinen Wunden.


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