Skyle. Esther Bertram
ist also das Herz des Dragon«, stellte er fest. Gerade, als Lynx die Tür zum privaten Teil des Dragons öffnete, stand Hakaze plötzlich neben ihr und hielt ihr eine Vase hin.
»Für die Blumen«, sagte sie ausdruckslos, den Blick gesenkt. Wenn Hakaze den Mund öffnete, um zu sprechen, musste Lynx immer wieder ein Schaudern unterdrücken. Die Fähigkeit, sich ihr fast unbemerkt zu nähern, beeindruckte Lynx noch immer.
»Du musst Hakaze sein«, sagte Varg und lächelte das schmale, unscheinbare Mädchen an.
Hakaze zuckte zusammen.
»Keine Angst, ich tu dir nichts.«
Hakazes Mundwinkel wanderten ein wenig nach oben, ehe sie im geschäftigen Küchentreiben verschwand.
Varg lachte und bedeutete Lynx mit einer kleinen Verbeugung, voranzugehen. Schweigend führte sie ihn zwei Stockwerke hinauf in ihre Räume, die gleichzeitig die ungestörtesten Zimmer im Dragon waren. Als sie eintrat, leuchteten die Tintenmagieformeln über den Fensterrahmen und rings um die Tür kurz auf. Sie erkannten ihre Meisterin.
Im Kamin knisterte bereits ein Feuer. Hakaze hatte die beiden Diwane und den niedrigen Tisch davorgeschoben und sogar die Gaslampen an den Wänden entzündet. Wie immer hatte Hakaze bereits vor Lynx gewusst, was sie brauchte. Vielleicht war das Mädchen doch mehr Wisperweib als Mensch.
»Willkommen.« Sie wies auf die Diwane. »Bitte, nimm Platz.«
»Danke.« Varg legte seinen Mantel unzeremoniell über die Armlehne und setzte sich.
Bevor Lynx sich zu ihm gesellen konnte, klopfte es an der Tür. Sakura stand davor und reichte ihr ein Tablett mit zwei Kannen und einem Teller Gebäck.
»So.« Lynx stellte das Tablett auf den niedrigen Tisch vor dem Kamin. »Was für eine Geschichte wolltest du mir erzählen?«
»Wie gesagt, sie ist mit einer Bitte verbunden. Willst du sie trotzdem hören?«
»Natürlich.«
Varg beugte sich vor, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken.
»Kaffee?«, fragte Lynx erstaunt. »Ich wollte doch eigentlich Kräutertee haben.«
»Ich aber nicht. Tut mir leid, ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen. Kaffee ist für mich jetzt genau das Richtige. Deine kleine Sakura kennt mich besser, als ich dachte. Aber falls es dich beruhigt: In der anderen Kanne ist Tee.« Er schenkte Lynx eine Tasse ein und reichte sie ihr.
Sie trank einen Schluck und lehnte sich zurück. »Also, Varg …«
»Mein echter Name ist Wolf. Ich denke, du solltest ihn kennen, bevor ich dir meine Geschichte erzähle.«
»Wolf also.« Sie musterte ihn. »Das passt tatsächlich besser.«
»Findest du?«
»Absolut. Ich bin Lynx.« Wenn Wolf ihr genug vertraute, ihr seinen echten Namen zu nennen, gab es für sie keinen Grund mehr, ihren eigenen geheim zu halten.
»Ich hatte schon gerätselt, wie du wirklich heißt.« Wolf trank einen Schluck Kaffee. »Kajin passt aber genauso gut zu dir.«
»Danke. Ein Bekannter hat mir den Namen irgendwann gegeben und er ist hängengeblieben. Aber du hast von einer Bitte gesprochen. Was für eine Bitte ist das?«
Wolf grinste. »Du kommst gleich zum Kern, das gefällt mir. Ich habe dir erzählt, dass ich ein neues Bauprojekt starte. Dieses Wolkenschiff wird etwas Besonderes werden.« Er griff in seine Manteltasche und zog ein kleines Bündel hervor. »Öffne es, dann weißt du, was ich meine.«
Neugierig nahm Lynx Wolf das Päckchen ab. Als sie es öffnete, fiel ein Tintenfass heraus, das eine tiefschwarze, wirbelnde Flüssigkeit enthielt.
»Schattenblut!« Sie blickte Wolf an. »Wo hast du das her?«
»Ich habe meine Beziehungen. Ich hatte genug Jahrhunderte, um Kontakte zu knüpfen.«
Lynx konnte das leise Wispern des Schattenbluts hören. »War das der Grund, weshalb du im Frühlingsreich warst?«
»Unter anderem«, bestätigte Wolf.
»Du willst also, dass ich dir beim Bau mit Tintenmagie helfe.«
»Nicht nur beim Bau. Ich möchte, dass du das Schiff mit permanenten Zaubern belegst.«
Mit Schattenblut wäre das, anders als mit gewöhnlicher Tinte, kein Problem, aber … »Das kostet eine Menge Zeit.«
»Und eine Menge Magie, ich weiß. Aber ich bin eine echte Niete in Tintenmagie.« Er überlegte. »Eigentlich in jeder Magie, außer meiner eigenen. Ich habe noch nicht einmal die Grundprüfung der Magie bestanden.«
Lynx sah ihn ungläubig an. »Wie bitte?« So etwas hatte sie noch nie gehört.
»Ich sagte doch, dass ich wirklich schlecht in Fremdmagie bin.«
»Aber warum kommst du dann zu mir?«, fragte Lynx.
Wolfs Miene war ernst. »Meinst du wirklich, ich hätte die Zauber rings um den Dragon nicht bemerkt? Die Bannkreise, die Schwellenzauber – die übrigens ziemlich beeindruckend sind. Ich habe schon lange nicht mehr eine solche Magie gespürt.«
Lynx runzelte irritiert die Stirn. Sie wirkte ihre Bannkreise immer so, dass die Zauber nicht zufällig aufgespürt werden konnten. »Das sollte eigentlich unmöglich sein.«
Wolf zuckte mit den Schultern. »Ich bin darin ausgebildet, Magielinien zu spüren.«
Das war eine Information, die Lynx erst einmal verarbeiten musste. Sie betrachtete das Tintenfass, das sie auf den niedrigen Tisch gestellt hatte, und atmete tief durch.
»Echt?« Sie schüttelte den Kopf. »Wie bist du bloß an dieses Zeug gekommen? Und wozu?«
»Das werde ich dir erzählen. Aber erst einmal muss ich wissen, ob du bereit bist, mir zu helfen.« Da war es, das ewige Misstrauen. Es war eine schlechte Angewohnheit, die jedes Wesen annahm, das länger als zwei Jahrhunderte lebte. Oder wollte er ihr eine Wahl lassen? Ihre Entscheidung war längst gefallen. Lynx setzte ihr Verhandlungsgesicht auf.
»Warum sollte ich dazu bereit sein?«
»Weil ich dich gut bezahlen würde.«
»Ich bin die Besitzerin des White Dragon. Meinst du wirklich, ich hätte dein Geld nötig?«
»Vermutlich nicht. Aber es wäre mal etwas Neues, oder? Oder hast du schon mal ein Wolkenschiff mit Tintenmagiezaubern belegt?«
»Nein. Ein Wolkenschiff noch nie.« Und genau dieser Umstand machte Lynx neugierig. Vermutlich wusste Wolf das ganz genau. Das Wolkenschiff interessierte sie, ebenso wie der Drache mit den stahlgrauen Augen. »Okay. Erzähl mir von diesem Schiff und davon, weshalb du so was«, sie wies auf das Tintenfass mit dem Schattenblut, »in deiner Manteltasche herumträgst.«
Wolf nickte erfreut. »Mit Vergnügen!«
• 20 •
Eine leichte Brise ließ die Seidenvorhänge vor den Fenstern tanzen. Hawk saß mit untergeschlagenem Bein auf dem Sitzkissen und täuschte Interesse an dem Bericht des Boten vor. Senatorin Suhas Blick war berechnend, während sie dem Boten lauschte. Senatorin Fatimas Finger trommelten auf ihr Knie und Hawk konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Die Aufmerksamkeit der beiden war so auf den Boten konzentriert, dass Hawk es sich erlaubte, seine Gedanken wandern zu lassen. Er wusste ohnehin, was der Bote zu berichten hatte. Schließlich war er es gewesen, der die Nachricht ursprünglich formuliert und über Umwege Leute finanziert hatte, den Boten zu senden. Hawk hatte gehofft, dass die Nachricht rechtzeitig zum Besuch der Senatorinnen auf Hawks Anwesen eintraf, und er hatte richtig kalkuliert.
Es kam häufiger vor, dass die Senatorinnen des Sommerrats ihn auf seinem Landsitz besuchten, meist unter dem Vorwand, seinen Rat zu brauchen, wenn sie in Wahrheit die Sammlung seiner Gärten bewundern wollten.