Skyle. Esther Bertram
heranwinkte, folgten sie der Einladung, ohne zu zögern. Ehe sie sich versahen, war eine laute Feier im Gange.
Fly war überrascht, als jemand die kleine Kristallglocke in der Eingangshalle der Salzgrotten schlug und damit das Zeichen zum Aufbruch gab. Die Zeit war wie im Fluge vergangen. Sie erhob sich wehmütig, denn sie hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht wie an diesem Abend. In der Ferne ertönte die Glocke ein weiteres Mal. Ihr Klang schwebte wie ein Signal aus einer anderen Welt durch die Grotte. Fly lauschte, bis der letzte Glockenschlag verklungen war.
Juuba knuffte sie in die Seite, als sie die Loge verließen. »Der Typ aus dem Winterreich, der mit den kurzen braunen Haaren, starrt dir die ganze Zeit hinterher!«
Fly wusste, wen Juuba meinte. Der junge Mann war ihr mit seinen intelligenten Kommentaren bereits aufgefallen. »Lass ihn«, sagte sie. Sie würde ihn ein wenig zappeln lassen.
Juuba lachte. »Du bist ein Biest!«
»Er darf sich ruhig ein bisschen anstrengen.« Ein drittes Mal ertönte die Kristallglocke. »Die Königin wird sich gleich auf den Weg machen. Wir sollten sie nicht warten lassen.«
Juuba grinste. »Ganz, wie du willst.«
• 22 •
Sonnenlicht durchflutete die Räume des alten Herrenhauses im Süden des Herbstreiches. Der Wald ringsum hatte bereits vor langer Zeit die weitläufigen Gartenanlagen und die Seitenflügel des halb verfallenen Gemäuers zurückerobert. Kleine Bäume wuchsen aus den Fensteröffnungen, deren Scheiben zersplittert am Fuße des Steinhauses lagen. Ranken bildeten verschlungene Muster auf ihrem Weg ins Innere. Zwischen den Steinplatten im Eingangsbereich und auf der Terrasse hatte sich Gras angesiedelt und Moos wuchs auf den roten Tonziegeln, die einst mit dem Dachgebälk ins obere Stockwerk eingebrochen waren. Die Pracht des alten Herrenhauses war schon lange Vergangenheit.
Die beiden Menschen näherten sich vorsichtig der Ruine. Immer wieder blickten sie sich um, prüften, ob niemand ihnen gefolgt war. Dies waren gefährliche Zeiten.
Der Wind fuhr Ida durch das lange gelbbraune Haar und bauschte Tronds dunkelroten Umhang auf. Er trug den vertrauten Geruch des Nordwinters mit sich, obwohl diese Region des Herbstreiches stets vom Schnee verschont blieb.
Plötzlich erstarrten die beiden. Wie auf ein geheimes Kommando zogen sie ihre Waffen. Ida spannte ihren Langbogen aus schwarzem Holz, während Trond zwei Krummdolche aus den Scheiden zog. Kaum hatten sie sich kampfbereit gemacht, als sie auch schon von einem halben Dutzend hell gewandeter Gestalten umzingelt wurden. Sie trugen lange Stoffbahnen um den Kopf, die ihre Haare und den Großteil ihrer Gesichter verbargen. Die verschiedenen ungewöhnlichen Augenfarben konnten sie allerdings nicht verstecken. Das hier waren Drachen, keine Menschen. Heron hatte richtig gelegen.
Ida und Trond ließen ihre Waffen sinken.
»Wir kommen mit friedlichen Absichten!«, rief Trond.
Eine der Gestalten trat vor. Ihre goldgelben Raubtieraugen blitzten. »Was wollt ihr?« Die Stimme verriet, dass es eine Frau war.
»Wir sind Mitglieder der Winterrebellen. Andor, der Prinz des Winterreichs schickt uns. Wir möchten mit der Drachenkaiserin Scarab sprechen.«
»Die Kaiserin spricht nicht mit Unterhändlern«, sagte die Frau mit den Raubtieraugen. »Der Prinz sollte es besser wissen, als zwei seiner Gefolgsleute zu schicken!«
Ida trat vor. »Der Prinz weiß darum, aber die derzeitige Situation erlaubt es ihm nicht, die Winterinseln zu verlassen. Er bittet trotzdem um eine Audienz bei der Drachenkaiserin, auch wenn er nicht persönlich zugegen sein kann.«
Die Drachin schüttelte den Kopf. »Es werden keine Ausnahmen gemacht.«
Ida verzog das Gesicht. Sie hatten befürchtet, dass so etwas geschehen würde.
»Aber …«, setzte Trond neben ihr an, doch sie legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Lass gut sein. Du hast sie gehört.« Ida verbeugte sich vor der Drachin. »Vielen Dank für Eure Zeit. Entschuldigt die Störung.«
Die Haltung der Raubtierfrau entspannte sich und sie hob die Hand, um die Stoffbahn abzuwickeln, die ihre Haare verdeckte. Ein kurzer feuerroter Haarschopf kam zum Vorschein. Sie lächelte die beiden Rebellen an.
»Das Gesetz der Gastfreundschaft gebietet es uns, euch ein Nachtquartier und Verpflegung anzubieten.«
Erleichterung durchströmte Ida. Wenn sie nicht sofort wieder weggeschickt wurden, fanden sie eventuell doch noch eine Möglichkeit, Scarab ihr Anliegen vorzutragen. Sie war nicht gewillt, die Hoffnung so schnell aufzugeben. »Habt vielen Dank. Es war ein langer Weg, wir nehmen das Angebot gerne an.«
Die Rothaarige gab den anderen vermummten Gestalten ein Zeichen. So lautlos, wie sie gekommen waren, verschwanden sie wieder. Sie blieb im Eingang des Herrenhauses stehen und wartete, bis Ida und Trond zu ihr aufgeschlossen hatten. Dann betrat sie die Ruine.
»Mein Name ist Cougar«, sagte sie und ging voran. »Ich bin die oberste Befehlshaberin in der Leibwache der Kaiserin. Ich möchte euch in ihrem Namen willkommen heißen, auch wenn eure Reise vergebens war.«
»Schön, dich kennenzulernen, Cougar. Ich bin Ida und das hier ist mein Gefährte Trond. Wir sind Mitglieder in den Rebellentruppen des Winterprinzen und gehören zu seinem Beraterstab.«
»Ich weiß«, sagte Cougar über die Schulter.
Ida senkte den Kopf. »Wir dachten uns, dass ihr informiert seid.«
»Wissen ist Macht, besonders in solch unruhigen Zeiten wie diesen«, entgegnete Cougar.
Sie berührte die nächste Steinwand, die daraufhin lautlos verschwand und einen Gang offenbarte. Ida wechselte einen schnellen Blick mit Trond. Sie bekamen nicht oft den Einsatz von Magie zu sehen. Die menschlichen Mitglieder der Winterrebellen verfügten nicht über sie, und Heron und Marmoset zeigten ihre Kräfte selten.
»Nach euch.« Cougar machte eine auffordernde Geste zum Durchgang, aus dem Fackelschein fiel.
Zögernd gingen sie weiter. Cougar folgte ihnen und verschloss den Zugang hinter sich, ehe sie sich an ihnen vorbeischob und sie durch weitere Gänge und über eine Treppe hinab zu einer Holztür führte. Dort angelangt, drehte sie sich zu den Rebellen um. Offenbar würden sie nicht näher als bis hier an die Drachenkaiserin herankommen.
»Dies ist euer Quartier für die kommende Nacht.«
»Habt Dank für eure Gastfreundschaft.« Wieder verbeugte sich Ida vor der Frau mit den Raubtieraugen.
Cougar winkte ab. »Keine Ursache. Ruht euch aus. Wenn ihr etwas braucht, scheut euch nicht, Bescheid zu sagen.« Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber doch noch einmal um. »Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für euch tun konnte.«
»Nicht zu ändern«, antwortete Ida verständnisvoll. »Bestellt der Kaiserin unseren ergebensten Dank und die besten Wünsche.«
»Werde ich. Bis morgen früh.« Damit drehte sie sich um und verschwand im nächsten Gang. Das Letzte, was Ida und Trond von ihr sahen, waren ihre feuerroten Haare, die im Licht der Öllampen glänzten.
»Und jetzt?«, fragte Trond.
»Jetzt machen wir das Beste draus und holen Schlaf nach«, meinte Ida und öffnete die Tür. Im kleinen Kamin brannte ein Feuer, und ein Tablett mit Speisen stand auf dem Tisch.
»Sie wussten, dass wir kommen«, stellte Trond kopfschüttelnd fest und setzte sich auf eines der Betten.
»Überrascht dich das tatsächlich? Heron hatte so etwas doch schon vermutet.«
»Nein.« Trond seufzte. »Aber ich hatte mir mehr erhofft.«
»Vielleicht bekommen wir morgen noch eine Chance«, tröstete Ida ihn halbherzig. Nachdem Hound als Nördlicher Drachenkaiser abgelehnt hatte, den Winterrebellen zu helfen, brauchten sie Scarabs Unterstützung dringender denn je.
»Was erzählen