Skyle. Esther Bertram

Skyle - Esther Bertram


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polterten die Treppe herauf. Gelassen nahm Wolf sich die neueste Zeitung und setzte sich erneut an den Küchentisch. Er schlug sie auf und trank einen Schluck Kaffee. Wenige Augenblicke später wurde seine Wohnungstür aufgebrochen. Gardesoldaten mit schussbereiten Gewehren und grimmigen Gesichtern stürmten herein. Ein Offizier in Uniform folgte ihnen.

      »Durchsucht alle Räume!«, bellte er. »Ich will sie lebend!« Dann erst bemerkte er Wolf. Unwillkürlich nahm der Offizier Haltung an.

      Wolf lehnte sich zurück, Kaffeebecher und Zeitung in der Hand, und sah ihn freundlich an.

      »Kann ich den Herren vielleicht helfen?«

      • 24 •

      Raven hatte es sich auf einem Stuhl im Besprechungszimmer des White Dragon bequem gemacht. Er lauschte dem hitzigen Gespräch zwischen Wolf und der Besitzerin des White Dragon, die auf dem Flur vor der geschlossenen Tür standen. Die Tintenmagiezauber am Türrahmen dämpften ihre Stimmen, aber dank seiner geschärften Sinne konnte Raven trotzdem jedes Wort verstehen. Offensichtlich war Kajin nicht begeistert davon, dass Wolf ihn mit in den Dragon gebracht hatte.

      »Und so einem traust du?«, fragte sie gerade entgeistert. »Warum?«

      »Ganz einfach: Weil er mein bester Freund ist«, war Wolfs Antwort.

      An dieser Stelle blendete Raven ihre Stimmen aus und konzentrierte sich auf die drei Handwerker, die mit am runden Tisch saßen. Raven kannte Wolfs Freunde mit Namen, hatte sie aber noch nie getroffen.

      Rensa saß mit überkreuzten Beinen auf ihrem Stuhl. Sie trug die traditionelle Toga der Antinanco über dem gefiederten Oberkörper, die so geschlungen war, dass ihre Schwingen die größtmögliche Bewegungsfreiheit hatten. Ihr gelber Schnabel schimmerte gefährlich und in ihren Augen blitzte der Schalk.

      Coram hatte sich ihr gegenüber an den runden Tisch gesetzt und trank schweigend seinen Tee. Er war ein Hüne von einem Mann mit einem Kreuz wie ein Nurek und blondem, kurz geschorenem Haar. Seine breite Gestalt ragte wie ein Ungetüm auf, drohend und düster. Auch seine helle Kleidung konnte nichts daran ändern, dass er die Ausstrahlung eines Schwerverbrechers hatte.

      Raven fiel auf, dass sein finsteres Auftreten nur Fassade war. In Wirklichkeit war Coram ein interessierter Mensch. Vielleicht machte ihn genau dieser Umstand gefährlich. Raven schüttelte unwillig den Kopf. Kaum traf er neue Leute, sah er gleich wieder überall Gegner. Chronische Paranoia gehörte zum Headhunter-Dasein.

      Kel hatte sich den Platz gesucht, der am nächsten am Feuer war. Raven konnte das gut verstehen. Schließlich kamen die Rjtak von den südlichen Sommerinseln, wo es sogar im Winter wärmer war als in Autonne Gale im Hochsommer. Der Echsenkrieger mit der blauen Schuppenhaut riss gähnend die Schnauze auf, sodass seine zwei Zahnreihen aufblitzten. Die dunklen Zeichnungen auf seinem Reptilienkörper waren im Feuerschein kaum von seinen Stammestätowierungen zu unterscheiden.

      Alle drei hatten wie Raven Kaffeetassen vor sich stehen und bedienten sich an der Kuchenplatte in der Mitte des Tisches. Kel und Rensa gingen in einer hitzigen Diskussion auf, die Coram aufmerksam verfolgte.

      »Einer der gefährlichsten und tödlichsten Headhunter von ganz Skyle, hm?«, begrüßte Raven Wolf leise, als er zurückkehrte. »Danke für das Kompliment.«

      »Es stimmt doch, oder?«

      Raven erlaubte sich ein überhebliches Lächeln. »Vermutlich.«

      »Ich habe Lynx vor dir gewarnt«, sagte Wolf gedämpft und setzte sich neben Raven.

      »Ich habe es gehört.«

      »Ich bitte dich, Raven: Lass sie in Ruhe«, mahnte Wolf.

      »Du hast es doch selbst gesagt, oder? Ich bin niemand, der schnell lockerlässt.«

      Wolf runzelte verärgert die Stirn, doch Rensa mischte sich ein, ehe er eine Antwort geben konnte. »Wolf! Verrat uns endlich, warum wir hier sind!«, dröhnte sie. »Ich kann mir schönere Orte vorstellen als Autonne Gale mitten im Winter.«

      »Allerdings!«, rief Kel und nieste. »Du weißt, wie sehr ich Schnee hasse. Bei diesen Temperaturen stehe ich kurz vor der Kältestarre!«

      »Das, mein lieber Freund, werden wir hoffentlich zu vermeiden wissen«, stellte Wolf fest. »Ich habe einen Auftrag, der uns ziemlich ins Schwitzen bringen könnte.«

      »Nun rück schon mit den Details raus!«, beschwerte sich Rensa und raschelte ungeduldig mit den Federn.

      Wolf zog eine lange lederne Kartenrolle hinter seinem Stuhl hervor. Er öffnete sie und legte einen Stapel Zeichnungen auf den Tisch. »Ich will ein Schiff mit euch bauen, nach diesen Plänen.«

      »Ein Schiff also.« Rensa verengte die Augen, als sie die Linien und Anweisungen genauer betrachtete. »Nein, nicht irgendein Schiff«, verbesserte sie sich. »Ein Schiff, das Wolf konstruiert hat. Die Zeichnungen sind doch von dir, oder?«

      »Ja«, bestätigte Wolf.

      Kel schnappte sich eines der Papiere. »Ich hätte es wissen müssen.«

      Coram nickte stumm.

      Rensa blickte in die Runde. »Das letzte Schiff, das wir zusammen gebaut haben, war die Wonder vor fast zehn Jahren, oder?«

      »Die Wonder? Das legendäre Piratenschiff der Storm Riders unter dem Kommando von Roxanne LeClaire?« Raven erinnerte sich an die beeindruckende Frau.

      »Du kennst die Kapitänin?«, fragte Rensa überrascht.

      »Kennen wäre zu viel. Es war eher eine … flüchtige Bekanntschaft.«

      »Raven hier liebt flüchtige Bekanntschaften«, bemerkte Wolf.

      »Die Pläne sind nicht fertig«, stellte Coram fest.

      Wolf schüttelte den Kopf. »Was ihr hier seht«, fing er an, doch Kel unterbrach ihn.

      »Ich glaube, wir alle wissen, was wir hier sehen«, sagte er und wechselte einen Blick mit Rensa und Coram. »Das sind die Pläne, an denen du seit Jahrzehnten arbeitest. Du hast mit der Planung angefangen, als ich noch bei dir in der Lehre war. Diese Konstruktionspläne beinhalten alles, was die Schiffsbaukunst in Skyle jemals hervorgebracht hat. Das hier sind die Zeichnungen eines Genies!«

      »Aber sie sind unvollständig«, stellte Rensa scharf fest.

      »Ich weiß«, beschwichtigte Wolf. »Aber die Pläne sind so weit fertig, dass wir mit dem Bau beginnen können.«

      Kel verschränkte die Arme vor der Brust. »Du weißt doch, Wolf: kein Schiff ohne vollständige Konstruktionspläne.«

      »Er hat recht«, murmelte Rensa. »Das können wir unmöglich umsetzen. Wolf, das ist Wahnsinn.«

      »Noch nicht«, bemerkte Raven. Genie und Wahnsinn lagen bei Wolf so eng beieinander, dass es oft schwerfiel, sie auseinanderzuhalten. Wie Raven seinen Freund kannte, war in diesen Plänen eine gehörige Portion von beidem.

      »Das hast du damals bei der Wonder auch gesagt, Rensa. Wir haben sie trotzdem gebaut.«

      Alle wandten sich Coram zu. Offenbar sagte er nur, was ihm wirklich wichtig schien. Raven gefiel der Mann immer besser.

      Coram tippte auf die Zeichnung. »Ich glaube, ich weiß, was an dieser Stelle fehlt.«

      »Ich dachte mir schon, dass ihr noch einige Ideen zur Verbesserung der Pläne habt«, sagte Wolf. »Deshalb wollte ich sie vorher mit euch durchsprechen.«

      Die Tür öffnete sich und die Besitzerin des White Dragon trat ein. Raven erinnerte sich daran, dass Wolf die Drachin Lynx genannt hatte. Er versuchte, unauffällig ihren Geruch zu erhaschen. Er war ebenso betörend wie ihr Körper. Wenn er darüber nachdachte, hatte er ihn schon bei seinen vorangegangenen Besuchen im Dragon in der Nase gehabt. Das Gebäude und die Umgebung waren getränkt davon. Sie musste schon eine ganze Weile hier leben.

      Lynx setzte sich zu Rensa. »Sakura bringt gleich das Essen.«

      »Gut«,


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