Skyle. Esther Bertram

Skyle - Esther Bertram


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und streifte ihre Stiefel ab. »Entweder Andor und Heron kommen selbst her, oder Scarab muss zu uns kommen.«

      Trond betrachtete nachdenklich das Tablett mit Essen. »Glaubst du wirklich, die Drachenkaiserin wird die Winterrebellen unterstützen?«

      »Kommt darauf an, wie sich die politische Lage entwickelt. Aber ich hoffe es. Wir können ihre Unterstützung gut gebrauchen.«

      • 23 •

      Die Straßen von Autonne Gale waren spiegelglatt und Eisblumen wuchsen an den Fensterscheiben. Zuvor hatte es noch heftig geregnet, und nach dem plötzlichen Kälteeinbruch war die regennasse Stadt in einen Eispanzer gehüllt. Es war bitterkalt.

      Wolf stand am Fenster seiner Wohnung und blickte hinaus. Es war beinahe Mittwinter. Zu dieser Zeit war es stets dunkel und kalt. Dies war in vielerlei Hinsicht eine Zeit der Entbehrungen, doch er hatte den Eindruck, dass es dieses Mal besonders schlimm war. Die Bürger zitterten bereits vor den gefürchteten Steuererhöhungen der Frühlingskönigin, die in den nächsten Wochen auf sie zukommen würden. In diesem Jahr hatte es das Herbstreich schwer getroffen.

      Wolf sah zu seinem Reißbrett hinüber. Die halb fertigen Baupläne erinnerten ihn an einen ganzen Stoß anderer Pläne, die es nun endlich fertigzustellen galt. Er überlegte, wie viel Zeit ihm noch blieb, bevor er die Metallteile im Tiegel abholen konnte. Glücklicherweise war vor ein paar Tagen endlich das Holz angekommen, das er geordert hatte. Das Handelsschiff mit der kostbaren Ladung hatte es gerade noch in den Hafen geschafft, ehe der Schneefall eingesetzt hatte.

      Die Glocken des alten Tuchhallenturms läuteten das Ende des Markttags ein. Sie verrieten Wolf, dass er wieder einmal vergessen hatte, eine ordentliche Mahlzeit zu sich zu nehmen. Plötzlich merkte er, wie hungrig er eigentlich war. In der Küche warf er einen wenig hoffnungsvollen Blick in seinen leeren Vorratsschrank. Vorerst würde er sich mit einem Kaffee begnügen müssen. Er nahm die Kaffeedose und suchte zwischen Zeichenutensilien und Geschirr auf dem Küchentisch nach einem Löffel. Schließlich gab er auf und schüttete den Kaffee ohne abzumessen in den Filter, bevor er die Gasflamme des Sieders entzündete. Gebannt beobachtete er, wie das Wasser im unteren Glaskolben zu sprudeln begann und sich im dünnen Glasrohr nach oben durch den Filter drückte. Er war immer wieder fasziniert von der Einfachheit des Vorgangs und dem ausgeklügelten System des gläsernen Sieders. Langsam füllte sich die Kugel über dem Filter. Wolf atmete tief ein. Nichts ging über einen guten, frischen Kaffee.

      Er hatte gerade den Schrank in der Hoffnung geöffnet, dort vielleicht einen sauberen Becher zu finden, als es klopfte. Verwundert ging er, um die Tür zu öffnen. Im dämmrigen Licht des Treppenaufgangs stand Raven, der eine in einen Kapuzenumhang gehüllte Gestalt in Wolfs Wohnung schob.

      »Mach die Tür zu!«, knurrte Raven zur Begrüßung. Wolf folgte der Aufforderung.

      Mürrisch wischte sich Raven die Schneeflocken vom schwarzen Mantel und schüttelte seine Kapuze aus. »Scheißwetter!«, fluchte er. »Kel war schwerer zu finden als ein Buschschwein im Dschungel!«

      Wolf umarmte Raven freundschaftlich. »Gut, dass du ihn trotzdem gefunden hast.« Seine Augen leuchteten auf, als sie Ravens begegneten. Dann wandte er sich seinem zweiten Gast zu. »Kel. Schön, dich wiederzusehen.«

      Kel schlug die Kapuze zurück. Zum Vorschein kam die lange, geschuppte Echsenschnauze eines Rjtak.

      »Wolf!« Er umarmte ihn herzlich.

      Wolf trat einen Schritt zurück, um seinen ehemaligen Lehrling zu betrachten. Sie hatten sich viel zu lange nicht gesehen. Kels Schuppenfarbe war wegen der Kälte draußen blasser als sonst, sodass seine schwarzen Stammestätowierungen deutlich zum Vorschein traten. Davon abgesehen sah der Rjtak genauso aus, wie Wolf ihn in Erinnerung hatte. Es würde eine Freude werden, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten. Er klopfte Kel freundschaftlich auf die Schulter, dann kehrte er in die Küche zurück. »Werft eure Mäntel einfach da irgendwo hin. Ich habe gerade Kaffee gemacht. Wollt ihr auch eine Tasse?«

      »Ich denke nicht, dass Kaffee eine gute Idee ist«, sagte Kel skeptisch und stieg über Wolfs Sachen.

      »Kaffee ist immer eine gute Idee«, gab Wolf zurück, während er drei Becher abwusch. »Bitteschön!«, sagte er, als er sie auf den Tisch stellte und seine Zeichenutensilien mit einer Armbewegung auf den Boden fegte. Raven sah zur Wohnungstür und wechselte einen Blick mit Kel, ehe er sich setzte.

      »Was hast du so getrieben, Kel?«, wollte Wolf wissen.

      »Ich habe es mir im südlichen Herbstreich bequem gemacht und Schiffe abgewrackt.«

      »Davon habe ich gehört. Du hast dir einen ziemlichen Namen gemacht.«

      Kel lachte heiser. »Ja, ich nehme an, der Zerleger ist ein weiteres Schreckgespenst der Wolkenmeere geworden.« Er wirkte sehr zufrieden.

      »Ich bin froh, dass Raven dich gefunden hat.«

      Ravens Antwort beschränkte sich auf ein unwilliges Knurren.

      »Ich hatte echt keine Ahnung, wo du steckst.«

      Kel schmunzelte. »Unser letztes Treffen liegt inzwischen auch fast zehn Jahre zurück. Es wäre mir allerdings lieber gewesen, wenn du jemanden geschickt hättest, der weniger brutal vorgeht als Raven.«

      Raven starrte teilnahmslos aus dem Fenster, als hätte er Kel nicht gehört. Wolf fiel erst jetzt auf, dass der hochgewachsene Echsenmann einen weißen Verband um den Schuppenkopf trug.

      »Ich hatte Raven eigentlich darum gebeten, dich mir unversehrt zu bringen«, meinte Wolf entschuldigend.

      Kel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kein Problem.«

      »Nicht meine Schuld«, kommentierte Raven.

      »Ich weiß um deine Kunst des Versteckspielens, Kel.« Wolf trank einen Schluck Kaffee. »Ich weiß nicht, ob dich jemand anderes als Raven gefunden hätte.«

      Kel wiegte den Kopf. »Das stimmt vermutlich. Mit dem Geld, das wir für die Wonder bekommen haben, bin ich abgetaucht. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, um seine Spuren zu verwischen.«

      Wolf klopfte Raven anerkennend auf die Schulter. »Gute Arbeit, Raven. Ihr seid genau zur rechten Zeit gekommen. Für dieses Projekt habe ich das alte Team zusammengetrommelt«, sagte er zu Kel gewandt. »Rensa und Coram sind auch vor zwei Tagen angekommen. Sturmerprobte Hände schaffen mehr.«

      »Rensa? Die alte Schachtel lebt immer noch?« Kel lachte wieder. »Sieht aus, als würdest du wieder mal etwas Großes planen, Meister.«

      Wolf rieb sich verlegen über den Nasenrücken. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht Meister nennen! Du bist vor mehr als sechzig Jahren bei mir in der Lehre gewesen!«

      Kel sah ihn neugierig an. »Sag lieber, was hast du vor?«

      In diesem Augenblick wurden in der Gasse vor dem Küchenfenster Stimmen laut. Stiefel dröhnten auf dem Kopfsteinpflaster, Befehle wurden gebrüllt. Wolf sah verwundert hoch. Kel fluchte und sprang auf. Raven befand sich bereits auf halbem Wege zum Flur.

      »Gibt es einen Hinterausgang?« Er warf sich seinen Mantel über.

      Wolf bejahte. »Durch das Fenster im Bad.«

      »Vielen Dank!«, rief Kel Wolf zu und verschwand hinter Raven im Nachbarraum.

      Wolf stand auf und schlenderte ihnen hinterher. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sah Kel dabei zu, wie er über die Badewanne kletterte. »Wir treffen uns in einer Stunde im White Dragon. Fragt die Besitzerin nach Coram und Rensa. Sie weiß Bescheid.«

      Raven hockte bereits auf dem Fensterbrett. »Alles klar, den White Dragon kenne ich. Ich würde jetzt sagen: Tut mir leid wegen der Unannehmlichkeiten, aber eigentlich …« Er zuckte mit den Achseln.

      Wolf grinste zurück. »Verschwinde, elender Unruhestifter!«

      Raven schwang sich aufs Dach, Kel folgte. Wolf schloss das Fenster hinter ihnen. Zurück in der Küche räumte er die beiden Becher weg und versetzte den Raum in seinen


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