Skyle. Esther Bertram

Skyle - Esther Bertram


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die man sich von Sturmspielen, Silbertrabern, Windphantomen und den anderen düsteren Gestalten erzählte, die die Himmel von Skyle bevölkerten. Geschichten von Wiedergängern und geisterhaften Kriegsschiffen kamen ihr in den Sinn, von verfluchten Schätzen und mächtigen Waffen, versunken im Wolkenmeer. Unwillkürlich spitzte sie die Ohren, lauschte auf die unhörbaren Schläge einer fernen Glocke. Als ihr bewusst wurde, was sie tat, schürzte sie die Lippen und schüttelte den Kopf. Sie war kein kleines, verängstigtes Mädchen mehr, sondern Wolkenpiratin und seit bald einem Jahrzehnt Kapitänin eines eigenen Schiffes.

      Entschlossen wandte sie sich vom Anblick der Sturmwolken ab und stapfte zum Oberdeck hinüber. Sie bedeutete ihrer Steuerfrau, dass sie sie ablösen wollte, und übernahm das Steuer. Beherzt hielt sie auf die dunklen Wolken zu. Sie hatten nichts zu befürchten.

      • 17 •

      In der Morgendämmerung waren die Schatten in den Bogengängen tiefer als gewöhnlich. Die Mauern des Palastes verschwanden im hellen Grau des Nebels. Fly stand in Paradeuniform unter einer Arkade, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Zwei Soldaten flankierten sie. Über dem kleinen, von Wandelgängen umgebenen Innenhof kreisten drei gewaltige Schatten. Fly durchzuckte beim Anblick der Drachen ein vertrauter Schmerz, doch sie bewahrte Haltung.

      Mit mächtigen Flügelschlägen setzten die drei Drachen zur Landung an. Kaum hatten ihre Krallen den Marmorboden berührt, ließ sich Fly auf die Knie sinken. Die Soldaten folgten ihrem Beispiel. Sie neigten die Köpfe. Fly erhaschte dennoch einen Blick auf den mittleren Drachen, dessen Ankunft sie erwartet hatte. Er war kleiner als die anderen beiden und silberweiß, mit dünner, durchscheinender Schuppenhaut, die auf dem Rücken und am Kopf grün schimmerte. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, bis statt der Drachen ein Mann und zwei Frauen auf dem Hof standen. Fly hielt den Blick starr auf die Marmorplatten gerichtet und versuchte, sich nicht an der Nacktheit der Neuankömmlinge zu stören. Verdammte Drachen!

      Als sie den Kopf nach einer Weile wieder hob, waren die drei in weite Roben gekleidet. Sie machten einen Schritt auf Fly und ihre Begleiter zu. Fly erhob sich geschmeidig.

      »Drachenkaiser Viper«, begrüßte sie den Mann mit dem silbernen Haar und senkte abermals den Kopf. »Wir haben Euch erwartet.«

      ****

      Die Strahlen der Mittagssonnen fielen durch die breiten Fenster. Staubkörner tanzten in den Säulen aus Licht. Die flachen, langgestreckten Trainingshallen waren um diese Tageszeit gut besucht.

      Die meisten, die hier trainierten, waren Soldaten. Wie immer fanden sich auch junge Adelige, die gegeneinander fochten oder ihre Leibdiener Schaukämpfe austragen ließen, flankiert von Trauben junger Damen in ausladenden Röcken, die den wenig reiferen Männern aus den Adelshäusern fächernd und kichernd hinterherliefen. Der schwere Stoff ihrer Kleider schleifte raschelnd über den Boden und die Absatzstiefel knallten auf den hellen Holzbohlen. Fly warf den jungen Leuten einen entnervten Blick zu. Warum mussten sie sich ausgerechnet hier treffen? Konnten sie sich nicht einen besseren Ort für ihre Flirts suchen?

      »Fly! Fokus!«, bellte ihr Schwertmeister. Juubas Dolchklingen zischten nur eine Handbreit vor ihrem Gesicht durch die Luft. Blitzschnell sprang Fly zurück und hieb nach ihrer Gegnerin. Juuba wich aus, doch Fly riss im letzten Moment ihren Dolch hoch und durchtrennte das rote Seidenband, das ihre Freundin am Oberarm trug. Sofort hob Juuba ihre Dolche in Paradestellung und trat einen Schritt zurück. Das Band segelte zu Boden und blieb als kleines Stoffhäufchen auf den Bohlen liegen. Damit hatte Fly das Ziel der heutigen Trainingseinheit erreicht.

      Juuba verzog enttäuscht das Gesicht. Fly steckte ihre Dolche weg. Sie hatte sich in der vergangenen Stunde zurückgehalten, um Juuba die Möglichkeit zu geben, sie vielleicht doch noch zu schlagen. Aber es waren zu viele Leute anwesend, die hier nichts zu suchen hatten, und sie wollte nur noch so schnell wie möglich wegkommen.

      »Du hast wieder gewonnen«, stellte Juuba unzufrieden fest. Fly entgegnete nichts darauf. Abrupt wandte sie sich ab und stapfte auf den Ausgang zu. Sie wusste, dass es albern war, Juuba einfach stehenzulassen und das Training frühzeitig zu beenden, aber es war ihr egal. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als die Stille der gläsernen Palastkorridore. Doch sie hatte sich zu früh gefreut.

      »Fly!«, rief Meister Bastien kühl.

      Fly blieb stehen. »Was?«, fauchte sie.

      Der Krieger hatte die Arme verschränkt und bedeutete ihr mit einer knappen Kopfbewegung, dass sie zurückkommen sollte. Fly schnaubte abfällig und wandte sich zum Gehen.

      »Einen Schritt weiter, Fräulein«, hörte sie Bastien grollen, »und ich sorge dafür, dass die Königin von deinem Benehmen erfährt.«

      Fly fuhr herum. »Das ist Erpressung!«, zischte sie empört, doch sie machte trotzdem kehrt. Sie wollte nicht, dass die Frühlingskönigin von ihrem kindischen Verhalten erfuhr, aber sie wollte sich auch von niemandem herumkommandieren lassen. Sie reckte herausfordernd das Kinn vor. »Was gibt es?«

      »Ich will, dass du gegen mich antrittst.«

      »Warum?«, fragte Fly.

      »Keine Widerrede! Du kämpfst gegen mich, jetzt und hier, und ich wähle die Waffe.«

      »Was? Das ist nicht fair!«, empörte sie sich. Es war üblich, dass der Herausforderer Zeit und Ort des Duells bestimmte, aber der Verteidiger durfte in der Regel die Waffen wählen.

      »Langschwerter, östlicher Stil. Wer zwei Runden für sich entscheidet, gewinnt«, knurrte Bastien. »Nimm deine Position ein, jetzt!«

      Fly tat murrend, wie ihr geheißen. Juuba reichte ihr ein Langschwert und Fly und ihr Meister bezogen Position. Einige Wimpernschläge verharrten sie regungslos, dann stürzten sie aufeinander zu.

      Meister Bastien hatte mit dem östlichen Stil eine Schwerttechnik befohlen, die sich auf den Angriff konzentrierte. Hier war Geschwindigkeit alles. Die Attacken, Paraden und Finten dieses Stils boten wenig Gelegenheit, eine starke Verteidigung aufzubauen und zu halten. Der zweite Schwertkampfstil, der in Skyle verbreitet war, war die nördliche Schule, die auch als Weißer Schwerttanz bezeichnet wurde. Lange, fließende Bewegungen, eine möglichst lückenlose Deckung und gut vorbereitete Angriffe zeichneten ihn aus. Er war das Gegenteil der östlichen Schule, die der Volksmund Rosenfeuer nannte.

      Die Schwierigkeit beim östlichen Schwertkampfstil war der Umstand, dass man als Kämpfer schnell ermüdete. Das Rosenfeuer war aggressiver und schneller als der Schwerttanz und kostete daher in kürzerer Zeit viel mehr Kraft.

      Mit zusammengebissenen Zähnen wich Fly Meister Bastiens Attacken aus und versuchte, selbst einen Angriff zu starten. Der Weiße Schwerttanz und das Rosenfeuer – Fly hatte bisher niemanden getroffen, der beide Stile in Vollkommenheit beherrschte. Ihr Schwertmeister war in beiden Schulen bewandert, aber er war im Frühlingsreich geboren und seine Stärken lagen deswegen beim Rosenfeuer, wie Fly bei diesem Kampf wieder einmal feststellen musste.

      Es dauerte keine drei Minuten, bis Bastien sie mit einem unvorhersehbaren Ausfall entwaffnete. Flys Langschwert wurde ihr aus der Hand gerissen. Meister Bastien verstärkte kurz den Druck seiner Klingenspitze an Flys Rippen, ehe er seine Waffe senkte. Fly knurrte ungehalten. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie sich ihre Klinge geschnappt und erneut Stellung bezogen.

      Heftig prallten sie aufeinander. Ihre Langschwerter verkeilten sich, lösten sich, trafen sich wieder. Der Schlagabtausch war hitzig und kräftezehrend. Nur wenige Minuten später landete Fly einen Treffer und schlug ihrem Meister das Schwert aus der Hand. Die Klinge kam klirrend auf dem Boden auf. Fly setzte triumphierend ihre Schwertspitze an die Kehle ihres Gegners.

      Meister Bastien reckte zum Zeichen seiner Niederlage die Faust seiner Schwerthand in die Höhe. »Sehr gut, Fly. Eine Runde noch.«

      Fly nickte und nahm ein letztes Mal ihre Kampfstellung ein.

      Juuba hatte sich etwas abseits auf dem Boden niedergelassen und beobachtete zusammen mit ein paar Zuschauern den Kampf. Auch Offiziersanwärter und Soldaten aus anderen Wolkenreichen waren zugegen. Ihre Uniformen zeigten ihre Zugehörigkeit: hellgrüne Frühlingsuniformen,


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