Ihr Kampf. Eva Kienholz
Höchstwerte von 15 Prozent.
Doch solche Schulterschlüsse finden nicht nur auf der Straße statt. Bereits 2018 titelte Zeit Online: »Ein Nazi-Netzwerk im Deutschen Bundestag: Mindestens 27 Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten sind Aktivisten und Anhänger rechtsradikaler Organisationen.« Sie sollen Anhänger der NPD und Mitglieder der mittlerweile verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ), Aktivisten der Identitären Bewegung oder extrem rechte Burschenschafter sein. Selbst Alexander Gauland hat schon Hilfskräfte mit rechtsextremer Vergangenheit in seinem Bundestagsbüro angestellt. Einer war als junger Mann sogar in der neonazistischen HDJ aktiv – für Gauland bloß eine »Jugendsünde«.
Wer die Protagonisten des »aufgelösten« Flügels unterstützt, setzt sich für eine Fundamentalopposition ein, die nicht das bestehende Deutschland reformieren möchte, sondern ein anderes fordert. Ein Deutschland, in dem demokratische Medien mundtot gemacht werden. Ein Deutschland, das Fremde und fremde Kulturen, insbesondere solche außerhalb Europas, ausschließt und sich der – wie Kalbitz es gerne formuliert – »autochthonen«, also ausschließlich der ethnisch deutschen Bevölkerung verpflichtet. Ein Deutschland, in dem deutsche Männer wieder männlicher werden und deutsche Frauen ihre Weiblichkeit im Gebären ausdrücken. Ein Deutschland, das die Untaten der Nationalsozialisten relativiert, um einen neuen Nationalismus und stolzen Patriotismus voranzutreiben. Ein Land voller wehender Deutschlandfahnen.
Homogener Pluralismus
Der politische Fokus des Flügels ist auch dem Verfassungsschutz nicht entgangen. Im Gutachten vom Frühjahr 2019 heißt es: »Der Fortbestand eines organisch-einheitlichen Volkes wird vom ›Flügel‹ als höchster Wert angesehen. Der einzelne Deutsche wird nur als Träger des Deutschtums wertgeschätzt. ›Kulturfremde‹ Nicht-Deutsche gelten als nicht integrierbar. Ihnen soll eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden. Ziel des ›Flügels‹ ist ein ethnisch homogenes Volk, welches keiner ›Vermischung‹ ausgesetzt sein soll.«
Damit berufen sich die Radikalen auf das Konzept des »Ethnopluralismus«, das innerhalb der Neuen Rechten angesagt ist. Aber auch die NPD benutzt den Begriff. »Ethnopluralismus« bedeutet nichts anderes als die »Reinhaltung« von Staaten nach Ethnien. Die Neue Rechte führt Unterschiede auf die verschiedenen Kulturen einzelner Volksgruppen zurück. Dabei gilt es, diese Kulturen zu bewahren und sie vor fremden Einflüssen, also fremden Kulturen zu schützen. Denn nur so, ohne Vermischung, ohne »Multikulturalismus«, könnten sich die einzelnen Völker voll und ganz entfalten. Für die Anhänger dieser Theorie ist etwa der Islam nicht grundsätzlich zu bekämpfen, sondern nur im europäischen Raum indiskutabel. Jede Religion, jede Kultur sollte nur an ihrem ursprünglichen Abstammungsort heimisch sein dürfen.
Auch Höcke und seine vom Flügel dominierte Thüringer AfD-Fraktion benutzten bereits den Begriff, etwa im Wahlprogramm für die Landtagswahlen 2019. So heißt es in einem Absatz, in dem sie sich auf die vom Verfassungsschutz »lediglich behaupteten verfassungsfeindlichen Tendenzen« der AfD beziehen: »Das gewaltfreie Eintreten beispielsweise für ein ethnopluralistisches Weltbild, die Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft, Kritik an der Verharmlosung des Islams und an einer entsprechenden Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Islam oder Kritik an Regierungshandeln im Allgemeinen zählen ausdrücklich nicht hierzu.« Solche Meinungsäußerungen, so das Wahlprogramm, seien in einem Verfassungsstaat grundrechtlich geschützt und zulässig.
Konservative Freunde
Als Rechtsträger für den Flügel ist seit Anfang Mai 2018 der Verein »Konservativ! e.V.« mit Sitz in Erfurt aufgetreten. Als Vorsitzende sind die beiden Flügelisten Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, und Birgit Bessin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD Brandenburg, verzeichnet. Laut der Thüringer AfD ist der Verein von »Freunden des Flügels« gegründet worden, um Veranstaltungen der innerparteilichen Gruppierung zu organisieren.
Als Björn Höcke in seiner Weihnachtsbotschaft 2018 um Spenden für den Verein bat, um damit den Flügel zu unterstützen, wurde er von der Parteispitze kritisiert. Alexander Gauland sorgte sich, dass solche Zuwendungen als illegale Parteispenden gewertet werden könnten. Klickte man ein Jahr später, an Weihnachten 2019, auf den Spenden-Button der Flügel-Website, stand da geschrieben: »Liebe Freunde des Flügels, aktuell sind leider keine Spenden möglich.« Auch der »Flügelversand« pausierte, das Shirt mit der Aufschrift »Höcke hatte recht!« war somit nicht verfügbar.
In Thüringen versuchte man ebenfalls, über eine parteinahe Stiftung an Steuergelder zu kommen. Im März 2019 berichtete die Thüringer Allgemeine, dass der Landesverband die »Carl-Joseph-Meyer-Stiftung« gegründet habe. Ihr Vorstand stammt aus dem Höcke-Umfeld und wird von Jens Dietrich geführt, einem der Erstunterzeichner der Erfurter Resolution. Die Stiftung wolle Wissenschaft und Bildung, die Förderung von europäischer Zusammenarbeit und Kultur sowie Veranstaltungen organisieren, erklärte Torben Braga der Zeitung.
Braga, Jahrgang 1991, ist vieles: Er ist Vorstandsmitglied von Konservativ! e.V. und der Carl-Joseph-Meyer-Stiftung, Beisitzer des Landesvorstands sowie parlamentarischer Geschäftsführer der AfD Thüringen und gilt als rechte Hand Höckes. Außerdem ist Braga Mitglied der rechtsextremen »Burschenschaft Germania Marburg« und der pflichtschlagenden »Jenaischen Burschenschaft Germania« – seine Narben auf der Stirn dürften daher Schmisse sein. Braga war einst auch Sprecher der »Deutschen Burschenschaft«, dem Dachverband extrem rechter Burschenschaften. In ihren Reihen findet die AfD seit ihrer Gründung neues Personal: Personen mit akademischer Ausbildung und nationalistischer Einstellung. Auf der Website der »Deutschen Burschenschaft« erklärt Joachim Paul, AfD-Politiker und Alter Herr, in einem Interview: »Für Korporierte ist die AfD doch längst erste Wahl, weil man sich gerade in der ›Jungen Alternative‹ einbringen kann, ohne seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Studentenverbindung verleugnen oder herunterspielen zu müssen.« Um sich untereinander besser zu organisieren, entstand 2015 der geheime Zusammenschluss »Korporierte in der AfD«. Während die Burschen und Alten Herren in der AfD sich also noch organisieren und eher im Verborgenen vernetzen, reichen die Stiftungs-Aktivitäten der Flügelisten in der AfD bereits weit in Partei und Gesellschaft hinein.
Vorbild für die Thüringer Stiftung dürfte wohl die »Erasmus-Stiftung Brandenburg« sein. Die AfD Brandenburg ist der erste Landesverband, der über eine parteinahe Stiftung Steuergelder kassiert. Diese werden beispielsweise ausgegeben für Veranstaltungen wie das Seminar »Wahlrecht für Deutschland (Wahlbeobachtungen)«, das vom ehemaligen NPD-Funktionär Michael Schäfer geführt wurde. Die letzte Veranstaltung der Stiftung fand im heißen und trockenen Hochsommer 2019 statt: ein Vortrag über »Klima und Energiewende aus AfD-Sicht«, gehalten von einem Leugner des menschengemachten Klimawandels.
Im März 2020 schrieb der Spiegel, dass der Flügel eine schwarze Kasse für Spenden nutzte, die nicht in der Buchführung der AfD auftauchte. So steht es zumindest im neuen Gutachten, mit dem die Verfassungsschützer die dauerhafte Beobachtung des Flügels begründen und ihn als »erwiesen extremistische Bestrebung« einstufen. Auf dem Konto, das vom AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann bei der Deutschen Kreditbank eröffnet wurde, sollen von Juni 2018 bis August 2019 mehrere Spenden eingegangen sein. Neben Einzelspenden an den Flügel habe es auch Überweisungen von Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider, Thorsten Weiß, Paul Traxl, Christina Baum, Christian Blex und Oliver Kirchner gegeben. Bei allen Einzahlungen habe es sich laut Verwendungszweck um Spenden an den Flügel gehandelt. Mitunter sollen auch Mitgliedsnummern angegeben worden sein, wie zum Beispiel: »Spende Der Flügel Mitgliedsnr. 10«. Da es sich um die Nummer 10 und nicht 10000 handelt, müsste sie von einem der ersten Mitglieder der AfD stammen, von denen aber alle mit oder kurz nach Lucke die Partei verlassen haben, mit Ausnahme von Alexander Gauland. Eine vertrauliche Quelle versichert allerdings, dass Gauland eine vierstellige Mitgliedszahl habe, da er zum Zeitpunkt der AfD-Gründung noch CDU-Mitglied gewesen sei und die Nummern von ausgeschiedenen Mitgliedern nicht noch einmal vergeben würden. Dass die im Verwendungszweck angegebene Mitgliedsnummer 10 aus einem Flügel-Mitgliedsverzeichnis stammt, ist somit wahrscheinlich.
In einem anderen Fall, so das Gutachten der Verfassungsschützer, sei auf den Verein Konservativ! e.V. verwiesen worden. Pasemann ist im Vereinsregister als Schatzmeister eingetragen. Mutmaßlicher Geldgeber des Flügels ist auch der neurechte Verleger Götz