Schauderwelsch. Jochen Stüsser-Simpson

Schauderwelsch - Jochen Stüsser-Simpson


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am See entlang durch wohlriechende Pflanzen und Blumen, denn angenehme Gerüche sind den Elfen noch wichtiger als schöne Farben.

      „Düfte öffnen geheime Türen unserer Seelen“, sagt die Großmutter manchmal abends. Morgens vergleicht sie sie gerne mit Musik: „Die strengen und die zarten, die milden und die starken Düfte bringen besondere Stimmungen in uns hervor, Düfte sind wie Musik.“ Auf dem Marktplatz wachsen die besonders ausgewählten Morcheln und Stäublinge mit den Zauberdüften, die alle Elfen so lieben. Sie können so stark werden, dass Kobolde kleben bleiben, dass Feen nicht mehr losfliegen können und dass Menschen in ihren Bann geschlagen werden. Sie verharren dann in der Bewegung und bleiben wie versteinert stehen. Aber niemandem passiert etwas, keiner wird verletzt. Die alten Frauen und Männer aus dem Elfen-Dorf haben ihre Pass- und Zauberwörter, um den Bann wieder zu lösen. Und wenn sie sich dann wieder bewegen können, die Menschen und Feen und Kobolde, dann lächeln sie so, als hätten sie etwas sehr Schönes geträumt.

      Unser kleiner Elf lässt den Pilzplatz hinter sich und geht zum Ausgang des Dorfes, wo die Fliegen- und Steinpilze wachsen, er riecht schon Lavendel, Melisse und Minze. Veilchen nicken ihm freundlich zu, lustig schaukeln die Lavendelstengel. Kapuzinerkresse wuchert ein Stück neben ihm her und erzählt, verhaspelt sich: „Die Schneckenschwester, die Schwesternschnecke, nein, die Schwester auf der Schnecke ist vorbeigekommen.“ Doch dann kann die wuchernde Kresse nicht Schritt halten und fällt zurück.

      Unter dem tanzenden Mückenschwarm kommt dem Elf eine pralle Zucchini entgegengeschlängelt und bleibt mitten auf dem Weg liegen. „Sei nicht so frech“, sagt der Jung-Elf, „sonst wirst du eingetopft und umgesiedelt.“ Elf wartet eine Antwort nicht ab, sondern folgt der Schneckenspur in das Reich der Menschen, in einen Garten. Auf dem Rasen spürt er überall die schlechte Laune der Grashalme. Er versteht sie gut. Mit Kalk und Dünger werden sie ermuntert, möglichst schnell zu wachsen, aber bevor sie blühen können und Samen verbreiten, werden sie schon wieder geschnitten. Fast niemand wächst so schnell wie die Grashalme, und doch steht die Zeit still, weil nie ein Ziel erreicht wird. Über dem Rasen liegt kein Glück, aber in der Ecke die Schnecke. Genauer das Schneckenhaus, denn die Schnecke hat sich in ihr Haus zurückgezogen und den Eingang mit Schleim versiegelt. Der Jung-Elf klopft mit seinem Stöckchen dagegen und ruft: „Liebe Schnecke, komm heraus, aus dem runden Schneckenhaus.“ Er weiß, dass Schnecken Reime und Lieder mögen, aber nichts geschieht. Er weiß nicht, dass die alte Schnecke schlecht hört und nur das Klopfen mitbekommt. Doch das kann auch Gefahr bedeuten, also bleibt sie lieber im Schutz ihres Hauses. Und je mehr der Elf klopft, umso mehr zieht sie sich zusammen. Wie weiter? Der Elfen-Junge weiß es nicht und macht erst einmal eine Pause. Er denkt, denn denken hilft immer, doch ihm fällt erst einmal nichts ein.

      Wie er so sitzt, kommt ein Schmetterling vorbeigeflattert und lässt sich auf dem Schneckenhaus nieder: „Weshalb schlägst du denn die arme Schnecke?“ Der Elf will doch nur mit ihr reden, er schlägt sie doch gar nicht! „Wenn du sie herauslocken möchtest, musst du sie streicheln und ihr die Hand auflegen. Dann spürt sie die Wärme und weiß, dass du es gut mit ihr meinst“, rät der Schmetterling, seine bunt schillernden Flügel in den Sonnenstrahlen bewegend. Gesagt, getan.

      Das Schneckenhaus wackelt und hebt sich, langsam gleitet die Schnecke heraus und fährt ihre schlanken glänzenden Fühler aus. „Hallo, kleiner Elf, was willst du denn?“

      Er sucht seine Schwester, das kann sie sich doch denken. „Weißt du, wo sie jetzt ist?“

      Die Schnecke wiegt ihr Haupt und sagt mit hoher freundlicher Stimme: „Du bist genauso ungeduldig wie deine Schwester, der ich immer zu langsam bin. Manchmal ärgert mich das, doch ich mag sie, du hast eine besonders allsichtige Schwester, obwohl sie noch so jung ist. Sie war mit diesem seltsamen Kaninchen und einem kleinen Engel unterwegs und wollte unbedingt ans andere Ufer, ich weiß nicht warum, vielleicht aus Neugier ...“

      Der kleine Elf unterbricht sie, ob sie vielleicht den Schneckendrachen meint? Die Schnecke hat plötzlich eine hohe Fistelstimme: „Das sagen die Drachen immer, ich weiß, aber in Wirklichkeit ist sie eine Schnecke.“ Dem Elfen ist es gleich – Schneckendrache, Drachenschnecke – seinetwegen kann sie auch eine Graugans oder ein Schwan sein.

      „Dann hatte ich eine gute Idee“, die Schneckenstimme hört sich wieder normal an, „bei mir war gerade eine uralte Verwandte zu Besuch, meine Urahnin, die blaurote Drachenschnecke. In der riesigen Trauerweide da vorne hielt sie ihren Mittagsschlaf. Zu ihr brachte ich deine Schwester, damit sie ihre Bitte vortragen konnte. Und die Drachenschnecke ist sofort darauf eingegangen. Bei den Fliegenpilzen ist sie ins Wasser geplätschert, es sah aus, als würde eine Fähre losfahren. Deine Schwester saß mitten auf dem großen Schneckenhaus, zwei kleine Engel schwebten über ihnen und das Begleitkaninchen wollte hinterherschwimmen.“

      Während sie sich unterhalten, spürt der Elf einen Luftzug und sieht einen silbernen Schatten auf das Schneckenhaus fallen, in der Luft ist ein Geräusch, als würde mit Papier geraschelt. Er hebt den Kopf und sieht über sich die Libelle, die mit schwirrenden Flügeln und blau funkelndem Leib in der Sonne steht.

      „Willst du wissen, wo deine Schwester ist, kleiner Elf? Sie liegt am Westufer des Sees in einer Seerose und schnarcht fürchterlich.“

      Der Elf stöhnt, was hat er nur für eine Schwester! Dann sagt er: „Ja, liebe Libelle, das muss sie sein. Aber wie komme ich dahin?“

      Der Schmetterling zuckt mit den Flügeln: „Ich kann dich fliegen, setz dich zwischen meine Flügel in den Reitersitz und halte still.“

      Gesagt, getan. Der kleine Elf sitzt auf, sie winken der Schnecke zum Abschied, die Libelle fliegt vor und zeigt den Weg zu den Seerosen, sie landen auf einem Blatt neben der großen weißen Blüte, in der seine Schwester schon aufgewacht ist.

      „Willerwat der grosche Bruder?“

      „Kannst du nicht normal reden?“ Seine Schwester ist oft sehr peinlich.

      „Kann isch nisch, isch bin eine Prinzesschin leder.“

      „Was hat das denn mit Leder zu tun?“

      „Leder, luder, lieder.“

      „Jetzt rede endlich mal normal, ich soll dich nach Hause bringen.“ Manchmal mag er sie überhaupt nicht, obwohl es seine Schwester ist.

      „Läder, leuder, leider.“ Er stöhnt, doch seine Schwester scheint unbeeindruckt: „Leider, leider weiß isch nischt, wie man alles rischtisch sprischt.“

      Mit lauter Stimme fragt der Elf: „Wo ist der Drache und wo ist der Biberhamster?“

      Für einen Augenblick wird die Schwester ernst: „Der Biberhamster ist beim Schwimmen doch immer so ungeschickt, doch er wollte uns folgen. Ich habe ihm zugerufen, er soll zurückschwimmen, aber dann habe ich ihn nicht mehr gesehen. Die beiden Engel haben mir gesagt, sie kümmern sich um ihn. Aber jetzt genug, liebes Bruderherz, die Engel sind verschwunden, der Schneckendrache hat sich vom Wasser in die Luft erhoben und ist weitergereist – und ich habe jetzt Hunger. Wie kommen wir nach Hause?“

      Der Schmetterling, der schon ein bisschen ungeduldig ist, bietet an, die Schwester zu fliegen, er hat ja nun schon Übung.

      „Dann nehme ich dich, kleiner Elf“, sagt die blaue Libelle, „du musst dich nur gut an meinem Körper festhalten.“ Zu zweit können sie also die Elfen-Geschwister zurückfliegen.

      Da wird die kleine Schwester schon wieder peinlich: „Lieber guter Schmetterling, ganz im Ernscht, dasch ischt kein Ding, du verstehst doch sischer Spaß, und isch glaub, da geht noch was.“ Bei dem ungeduldigen Pfauenauge geht nichts mehr, alberne Elfenkinder, es startet und die Libelle folgt. Als kleine Luftflotte fliegen sie die Geschwister sicher ins Elfendorf ein. Beim Landeanflug gibt es allerdings ein kleines Missgeschick, Schwester Elfe rutscht ab und stürzt in einen Knollenblätterpilz, der in sich zusammenbricht und sie unter sich begräbt.

      Der kleine Elf stellt sich daneben und ruft: „Schwesterschen, vorsischt, Mund zuhalten, der Pilz ischt giftisch.“

      *


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