Schauderwelsch. Jochen Stüsser-Simpson

Schauderwelsch - Jochen Stüsser-Simpson


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ich nicht. Fiete lief weiter, der Skikurs ging in die vierte, siebte und zehnte Woche, in der vierzehnten nahm sich Fiete den Gips ab, die Monate mit R begannen.

      Im Oktober waren wir so weit, dass wir uns an den schnellen Abfahrtslauf machen konnten. Wir fuhren unser erstes Rennen. Alle gingen leicht in die Hocke, verlagerten das Gewicht nach hinten, die Jungs, bis sie fast umfielen – und los ging’s. Der Schnee stob seitlich hinweg, in den Kurven schabten die Kanten und wir warfen sprühende Schneefahnen, die Geschwindigkeit griff unter unsere Ski, der See flog uns entgegen. Wir spürten den Fahrtwind im Gesicht, und als wir am Ufer ankamen, tränten uns die Augen. Nur bei der Nachbarin tränte gar nichts. Sie hatte geschummelt – und gab es auch zu. Sie wollte gar nicht erst die Hügel hinunterfahren, sondern gleich am Ufer sein. Das ging natürlich nicht. Dennoch blieb sie stur: Sie hielt nichts von hohem Tempo und von Rennen. Sie wollte in eleganten Schwüngen abwärtsfahren.

      Das Rennen gewannen übrigens die Buben. Sie waren gleichzeitig mit mir am Ufer, aber ich war als der Coach nur außer Konkurrenz mitgelaufen.

      Als wir uns im November auf meiner Seehangwiese versammelt hatten und ich über die Gewichtsverlagerung beim Wedeln redete, fing es an zu schneien. Zuerst tanzten einige Flocken aus den tief hängenden grauen Wolken. Sie wurden immer dichter, bis die Luft von grauweißen Wirbeln erfüllt war. Es schien, als senkten sich die Wolken immer mehr herab und lösten sich über unserem Hang auf. Der See war nicht mehr zu sehen. Wir rückten einander näher, um uns nicht aus den Augen zu verlieren.

      „Ein Traum wird Wirklichkeit“, sagte die Großmutter. Der Schnee dämpfte ihre Stimme.

      „Jetzt fehlen nur noch richtige Ski“, sagten die Buben.

      Ich stellte das Programm um auf Tiefschneefahren. In den kommenden Tagen fror der See tatsächlich zu, in der Weite war das Eis mit Schnee bedeckt, am Ufer war es blankgefegt, der Wind hatte ganze Arbeit geleistet – um jeden einzelnen Schilfhalm in Ufernähe bildeten sich kleine Schneeberge.

      Als ich im Dezember über spiegelglatte Kopfsteinstraßen nach Hause fuhr, sah ich einen ungewöhnlichen Menschenauflauf vor meinem Haus. Eine Frau mit einer Pelzmütze schälte sich aus der Gruppe heraus und trat ein paar Schritte auf mich zu. Sie hatte rot geschminkte Lippen und graugrüne Augen. Sie lächelte ins Mikrofon: „Sie sind also der Skilehrer dieser Gruppe, der einzige Skilehrer in Mecklenburg. Die jungen Leute haben sich an unser Studio in Schwerin gewandt und wir drehen nun eine Reportage. Alle Teilnehmer haben wir bereits interviewt.“

      Im Hintergrund wurde gelacht, die beiden Jungs machten Faxen. „Diese Reportage wird sich für Sie lohnen. Wir spendieren der gesamten Gruppe eine Skiausrüstung und einen vierzehntägigen Skiurlaub in Oberhof in Thüringen.“

      Es wurde geklatscht.

      Nur die alte Nachbarin sagte: „Da fahr ich nicht mit. Das ist mir zu weit. Wenn ich Ski laufe, dann nur in Mecklenburg.“

      Alle lachten – und alles ward gut.

      *

      Wippen

      Auf dem Spielplatz die Kleinen

      sie weinen und lachen

      sie schaukeln und schaufeln

      sie wippen und schippen

      sie schlucken und lutschen

      und rutschen und spucken

      und spielen im Sand.

      Alleine geht Schaukeln

      alleine geht Schippen

      gehen Lutscher lutschen

      und Rutsche rutschen

      nicht alleine geht Wippen

      gilt für Große und Kleine

      geht gar nicht alleine.

      Sie spielen das Spiel

      mit dem Gleichgewicht

      mit Senken und Heben

      und Fliegen und Schweben

      laut geht es und munter

      mal hoch und mal runter.

      Verhungern heißt ein Wippenspiel

      und bloße Erdung ist das Ziel

      wer oben bleibt ist angeschmiert

      die Wippenseite immer siegt

      die am Ende schwerer wiegt

      wer oben zappelt der verliert.

      Das Hin und Her wird abgehackt

      es zählt allein der Fußkontakt

      zu Mutter Erde; mit Gekicher

      wird die Wippe stillgestellt

      wer unten sitzt der fühlt sich sicher

      auf einmal zeigt sich nun die Welt

      In den Verhältnissen stabil

      Geschrei von oben zählt nicht viel.

      Doch bald beginnt ein neues Spiel.

      *

      Stumme Hirsche

      Super findet und schnieke

      aus Flottbek die blonde Ulrike

      geschmacklich ohne zu knirschen

      kleine Modelle von Hirschen

      Hirsche in Ganz und in Teilen

      Hirsche, die kommen, enteilen

      springende Hirsche, Geweihe

      bunt durcheinander, in Reihe

      im Küchenregal, auf der Fensterbank

      sie röhren nicht auf dem Wohnzimmerschrank

      zu ihr passen nur die Stillen

      also Hirsche, die chillen

      und wenn ich mich etwas drehe

      seh ich auch überall Rehe

      auf Möbeln, auch auf dem Pulli

      äsen und schmücken sie Ulli

      alle Hornhufer aber ringsum

      bleiben stille und stumm

      Meiner kleinen Nachbarin gewidmet

      *

      Schneebälle aus der Tiefkühltruhe

      Eine sommerliche Winterballade

      Sie braucht sie im Augenblick nicht mehr

      – und wir lieben so sehr den Winter.

      Großmutters Gefriertruhe steht leer

      und draußen tropft und rinnt er,

      der Winter taut und schmilzt und stöhnt,

      wir werden ihn teilweise retten,

      wir lieben ihn, sind Schnee gewöhnt,

      wollen ihn etwas umbetten

      und stopfen in die Tiefkühltruhe,

      für uns, für Freunde, Nachbarschaft,

      dass er bis zum Sommer ruhe,

      dann beginnt die Vorratswirtschaft.

      Zwar geht der Frost, doch kommt kein Frust,

      denn viele, viele Schneebälle

      liegen bereit und Winterlust –

      kann


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