Schauderwelsch. Jochen Stüsser-Simpson
und zieht sofort den Kopf ein, um in seinem Gang zu verschwinden. „Wenn ich dich erwische ...“, hört er den Vater schimpfen.
Und als er schon tief unter den Wurzeln der Tomaten ist, hört er Lisas helle Stimme: „Papa, jetzt sei mal nicht so unfreundlich!“
Obwohl der kleine Maulwurf weiß, dass die Kinder auf seiner Seite stehen, beschließt er trotz aller Verlockungen, diese Gegend des Gartens zu verlassen und bergab in Richtung See zu wandern. Den wohlriechenden Komposthaufen lässt er links liegen, frisst allerdings zum Trost einige fette Maden, die ihm in die Quere kommen. Seine unterirdische Reise zum See unterbricht er nur einmal, als er dem Duft der Veilchen nicht widerstehen kann, die irgendwo über seinem Gang wachsen.
Als die Erde feuchter und manchmal ein bisschen schlammig wird, als es modrig nach Moosen und Hölzern riecht, steckt er behutsam seinen Kopf heraus. Er hört leise das Wasser plätschern und das Schilf rauschen, er sieht Blumen, die mächtigen Stämme alter Kopfweiden und einen braunen Frosch, der ihn freundlich begrüßt. Der kleine Maulwurf freut sich zuerst, dann wundert er sich und fragt: „Weshalb hast du so lange Beine?“
Der Frosch weiß es nicht recht und denkt nach. Und während er noch überlegt, huscht ein dunkler Schatten über Frosch und Maulwurf. „Das ist der Bussard“, quakt der Frosch und springt mit einem großen Sprung in den See. Es spritzt ein bisschen – und er ist verschwunden. Jetzt weiß der neugierige Maulwurf, warum der Frosch so lange Beine hat. Als er sich in seinen Gang zurückziehen will, sieht er die Bescherung: Das geht gar nicht mehr, denn der Gang ist inzwischen mit Wasser vollgelaufen. Als der Schatten zum zweiten Mal, und nun schon viel größer, über ihn hinwegsaust, fängt der kleine Maulwurf gar nicht erst an, sich Gedanken zu machen, ob er nun schwimmen kann oder nicht. Er hoppelt und läuft zum Wasser, lässt sich hineinfallen – und ist begeistert. So gut kann er schwimmen. Das hätte er nicht gedacht. Und es ist ihm ein Leichtes, die Luft anzuhalten, so wie manchmal in eingestürzten Gängen.
Gemächlich taucht er zum Grund und macht mit seiner Schnauze eine kleine Schlammwolke, die vom Ufer in die Tiefe des Sees wegzieht. Er will gerade eine Muschel ausbaggern, als ihm das Herz fast stehen bleibt. Er klammert sich mit einer Schaufel an der weißen Süßwassermuschel fest und rührt sich nicht mehr. Ganz langsam schiebt sich ein riesiges Maul auf ihn zu. Es ist voller Zähne. Sie sind spitz und nach hinten gebogen.
„Das war’s“, denkt der neugierige kleine Maulwurf. „Gleich werde ich gefressen, hoffentlich schmerzt es nicht zu sehr.“
Und während er das noch denkt, gleitet der gelblich braune Hecht langsam, sehr langsam an ihm vorbei. Der Maulwurf sieht in das schwarze unbewegliche Hechtauge, das vorbeiwandert. Er hat nicht den Eindruck, dass er sich mit dem Hecht so freundlich unterhalten kann, wie vorhin mit dem Frosch. Der kleine Maulwurf fühlt sich unendlich erleichtert, als der Hecht vorbeigezogen ist.
Als er wieder Luft zum Atmen und Überlegen hat, beschließt der neugierige kleine Maulwurf, kein Wassertier zu sein. An Land macht er sich sogleich auf den Heimweg zu der Maulwurfswiese, denn im Garten der Menschen hat er nun genug erlebt, zumindest für heute.
*
Lyrisches Aquarium
Und Kindern sollte man Aquarien schenken
die sanft beleuchtet sind mit fahlem Licht
sie werden langsam sich versenken
und tauchen ein in neues Gleichgewicht
in einen anderen Ort, in eine neue Welt
mit großen Augen werden sie dann schweben
und es verlieren sich Konturen beigesellt
den schönen Fischen träumerisch sie leben
wenn ihre Lippen leicht das Glas berühren
sind ganz bei sich sie und in eins
stirbt ohne Laut einmal ein Fisch werden sie spüren
dass dennoch Grenzen sind die Endlichkeit des Seins
*
Katzen Haiku
Zugelaufen im
Juni, die kleine Katze
sie redet und redet
Grüngelbe Blicke
Mondsicheln im Sommer und
sie hat gewonnen
Nach fast einem Jahr
Wiederkehr im Dezember
Könnte er reden!
Viel Lärm im Frühjahr
gefiederte Treppe, ganz
oben der Kater
Du alter Kater
schläfst in der Frühlingssonne
vor dem Mauseloch
*
Die Katze am See
Das Blatt schimmert in der Sonne. Es ist ganz gelb und bewegt sich ein wenig, obwohl es windstill ist. Aus größerer Nähe sind zwei sich bewegende Stäbchen an einem Vorsprung zu sehen, unter dem ein aufgerollter Faden liegt. Das Blatt lässt sich nicht berühren. Kurz vorher hebt es ab und flattert hoch in die Luft, unerreichbar hoch. Also doch kein Blatt, ein Tier. Es fliegt und trudelt über der Wiese in Richtung Wasser und Sonne, verdeckt und vergittert durch Blüten und Blätter. In dem hohen Gras ist es schwierig, es im Auge zu behalten. Hindurch zwischen Halmen, Grasbüschel durchteilend, Stängelgeschiebe. Gezähnte und gefiederte Blattränder kratzen, niederliegende Winden verhaken sich, es klettet und klebt. Peitschende Bewegung trifft zwischen die Augen, einhalten und ducken, Tier oder Pflanze? Schlagende Kolben, elastische Stiele, hochschießend mitten in Kräutern und Klee. Bloß weiter, hier beißen rote Ameisen. Aus bräunlichen Blüten duftet es schwer. Es wimmelt von Fliegen und Schildläusen. Ein kleiner Luftsprung, erfolgreicher Zugriff, es knirscht und es schmeckt. Auffliegen im Umfeld Hummeln und Bienen, es brummt und sirrt: Vorsicht! Schon bekannt wehrhafte Wespen.
Jetzt neben der silbern glänzenden Schleimspur, gelegt von braunroten Pflanztieren, die wie zwei abgetrennt menschliche Finger ihre Bahn ziehen, nur ohne jede knöcherne Härte, feuchtweich und übel riechend, häufig gesehen beim Saugen von Blättern und toten Mäusen, vorne auch Stäbe wie das fliegende Gelbblatt, aber zum Ausfahren. Ihr nicht schluckbarer Schleim klebt auf der Zunge, schmeckt scheußlich. Und sie können nicht fliegen und besser schmecken Kleinvögel trotz ihrer Federn.
Für einen Augenblick Lebensgefahr, unbemerkt. Hoch im Himmel, sehr weit oben und schattenlos, schüttelt kurz der Seeadler. Vor ein paar Wochen noch hätte er dich bei klirrender Kälte mitgenommen, jetzt ist er wählerisch. Vorsicht kleine Katze! Sie verharrt auf schwankendem Grund, unter ihr lebt es, langsam fällt die Schafgarbe zur Seite, ein Duftstoß von knickenden weißroten Blüten. Ein kurzes Innehalten und das Beben geht weiter, aufbricht die Erde und türmt sich in Schüben nach oben, aus bröckelndem Erdhaufen stößt zwischen Schaufeln schnüffelnd die große Nase. Erschrocken duckt sie sich zurück und beginnt zu fauchen. Der Maulwurf wendet langsam seinen flachen Kopf und taucht wieder ab. Der aufgeworfene Hügel fällt in sich ein bisschen zusammen.
Vorsichtig riecht die kleine Katze an ihm und stochert zögernd mit einer Pfote in den Erdkrumen. Sie ist über sich selbst überrascht: Dass sie so fauchen kann! Sie fühlt die Sonnenstrahlen warm auf ihrem Fell, legt sich ins Gras und streckt alle viere von sich. Sie wäre wohl liegengeblieben, doch schreckt sie das zornige Brummen einer großen dicken Hummel auf, die ganz knapp an ihrem Näschen vorbeibraust, als wolle sie es rammen.
Sofort ist sie wieder auf den Pfoten. Sie kraust die Nase und atmet durch. Ständig muss sie auf der Hut vor unbekannten Gefahren sein.