Schauderwelsch. Jochen Stüsser-Simpson
greifen in der Sommerschwüle.
Im Juni nachmittags um 4,
es ist dreißig Grad im Schatten,
ein Anruf im Polizeire4,
wie sie ihn dort bisher nicht hatten:
Wissen Sie was, wie unerhört –
sich die frechen Jungs benehmen!
Ich hatte etwas im Garten gehört –
nun müssen Sie sie festnehmen;
Die beiden Jungs sind übern Zaun
in meinem Garten Kirschen klaun;
als ich rufe, sie glauben es nicht,
bekomme ich Schneebälle ins Gesicht,
und zwar von den harten und kalten.
Ich bin empört, noch ganz verstört,
wie soll ich mich jetzt verhalten?
Im Hintergrund sein Kollege lacht,
Halbkreise sichelnd, gestikulierend
in Nasenhöhe er Zeichen macht,
dann flüstert er leise Luft inhalierend:
Eierlikör, Eierlikör.
Der Polizist am Telefon
wirkt hin und her gerissen,
in dieser seltsamen Situation,
schenkt er der Dame sein Gehör?
Er antwortet dienstbeflissen:
Ich bitte Sie, im Sauseschritt
kommen Sie auf diese Wache,
das Corpus Delicti bringen Sie mit,
wir prüfen diese Strafsache. –
Sie antwortet, das ginge nicht,
außerdem müsse sie bekunden,
die Schneebälle seien im Sonnenlicht
leider längst getaut und verschwunden.
Unterm Kirschbaum die feuchten Flecken
könnten niemanden mehr erschrecken. –
Die Antwort: Lassen Sie es bleiben!
Wir wollen nicht übertreiben.
Wenn die Jungen wiederkommen
In der kalten Jahreszeit,
werden sie gleich festgenommen,
wegen Ungehörigkeit!
Vielleicht kämen Sie damit klar? –
Ja, vielen Dank, Herr Kommissar!
*
Kleiner Maulwurf auf Entdeckungsreise
Sanft fällt das Land ab zum See. Im Winter kann man mit dem Schlitten nach unten rodeln, allerdings nicht allzu schnell. Ein kleiner Teil des Landes wird durch Zäune abgetrennt. Das sind die Gärten der Menschen. Wenn man ein Seeadler oder ein Storch oder eine Gans wäre – oder ein kleiner Spatz – und hoch oben über das Land und den See fliegen würde, dann sähen die Gärten wie lange Handtücher aus, denn sie sind viel länger, als sie breit sind.
Es gibt vier solcher Streifen. Untereinander sind die Gärten noch einmal durch Hecken unterteilt. Auf der Erde merkt man, dass sie gar nicht schmal sind, sondern breit wie Fußballfelder. Oben auf dem höchsten Punkt stehen in einer Reihe drei Häuser aus rotem Backstein an einem Feldweg. In einem wohnt der etwas mürrische alte Mann mit der Pfeife, der in der Dämmerung immer auf dem Steg sitzt und angelt. Daneben wohnt die alte Katrin mit ihrer gelben Katze. Die gelbe Katze sieht man oft im Garten, die alte Katrin fast nie.
Der kleine neugierige Maulwurf hat die getigerte Katze natürlich noch nie gesehen, jedoch schon so schreckliche und unheimliche und gruselige Geschichten von ihr gehört, dass er am liebsten an sie gar nicht denken mag.
In dem letzten Haus wohnen Lisa und Max mit ihren Eltern. Auf der anderen Seite des Grundstücks hinter Hecke und Zaun steht kein weiteres Haus, sondern eine große alte Eiche, in der tagsüber regelmäßig die Schleiereule schläft. Und unter der Eiche in der Erde wohnt der kleine neugierige Maulwurf mit seinen drei Geschwistern und seinen Eltern, die ähnlich wie die Eltern von Lisa und Max ständig beschäftigt sind. Sie haben die Gänge so geschickt zwischen die Wurzeln der Eiche gegraben und dort ein gemütliches weiches Nest angelegt, dass sie alle gut geschützt sind und der alte rotbraune Fuchs schon zweimal verärgert seine Versuche aufgegeben hat, die Maulwürfe auszugraben. Die Maulwurfseltern haben die Kinder immer wieder gewarnt, nicht auf der Weide gegenüber zu spielen, ganz gleich, ob unter oder über der Erde. In jungen Jahren ist nämlich einer Maulwurfstante von einem großen Pferd aufs Auge getreten worden, obwohl sie eine schlaue und vorsichtige Maulwürfin ist und damals, in jungen Jahren, die Pferdeweide in einem stabilen Gang unterqueren wollte. Doch das Pferd war so schwer, dass es mit dem Huf eingebrochen ist. Seitdem ist das rechte Auge der Tante nicht mehr so schön wie das linke, sagt die Mutter.
Der kleine neugierige Maulwurf kann da eigentlich keinen Unterschied sehen, aber vielleicht hat er auch nicht so genau hingesehen. Und aus den Pferdeweiden und Menschengärten sollten kleine Maulwürfe auch ihre Nasen heraushalten! Man wisse nie, sagen die alten Maulwürfe.
Der kleine Maulwurf sagt überhaupt nichts und findet den Nachbargarten viel interessanter als die eigene Wiese. Von dort hört er die Stimmen der Kinder, wenn sie rufen und lachen und singen und schimpfen. Und von dort ziehen gelegentlich eigenartige und geheimnisvolle Gerüche über die Maulwurfswiese. Deren Ursprung würde der kleine Maulwurf gerne erkunden! Also gräbt er sich unter der Hecke durch und folgt den angenehmen Düften.
Als er den Kopf vorsichtig aus der Erde schiebt, sieht er sich von roten und blauen und gelben Blumen umgeben. Die duften gut, so gut: Der Schmetterlingsbaum riecht nach Honig, die roten und gelben Rosen nach Äpfeln und Orangen, die Iris nach reifen Pflaumen. Dabei hat der kleine Maulwurf noch nie in seinem Leben Pflaumen gegessen, denn die haben gerade erst die Blüte hinter sich und sehen noch klein und grün und langweilig aus. Kurzum: Er ist zu jung. Aber das weiß er nicht, also schließt er seine Augen und saugt die Luft genießerisch durch die Nase ein. Er grunzt glücklich und zufrieden.
Hier könnte er in dieser Stellung immer so bleiben, wenn ihn nicht das plötzliche und zornige Brummen einer großen dicken Hummel aufgeschreckt hätte, die ganz knapp an seinem Näschen vorbeibraust, als wollte sie es rammen. Der kleine erschreckte Maulwurf duckt sich und zieht sich, so schnell er kann, unter die Erde zurück. Na so was! Diese dumme Hummel, murmelt er: „Denkt sie, ich würde ihr den Honig wegsammeln?“
Und er machte sich auf, um eine andere Gegend zu erkunden. Seinen Weg findet der kleine Maulwurf mithilfe seiner Nase, in der er zuerst einen schwachen verführerischen Geruch spürt, der allmählich stärker wird und ihn anspornt, schneller zu graben und zu schaufeln. Inmitten der herrlich riechenden Himbeerhecke durchbricht unser kleiner Abenteurer die Erdkruste, direkt neben einer abgefallenen Himbeere, die schon ein bisschen reif ist. Er schnuppert vorsichtig, nimmt sie in sein Mäulchen, kostet sie auf der Zunge und schluckt sie sehr schnell. So etwas Leckeres hat er noch nie gegessen! Und schon liegt ihm ein neuer Duft in der Nase, er gräbt sich langsam zum Beet für Spargel und Schwarzwurzeln, das der Vater von Lisa und Max angelegt hat.
Doch vorsichtig, kleiner Maulwurf! Sperr deine Ohren auf, dann könntest du hören, dass Vater gerade in der einen Ecke des Gartens mit dem Spaten arbeitet. Und so ein Spaten kann zu einer ähnlich großen Gefahr wie ein Pferdehuf werden. Im Augenblick ist der kleine Maulwurf jedoch viel zu gierig. Mit aller Kraft drängt er vorwärts und durchpflügt die sandige Erde. Er stößt durch die angehäufelte Erde hindurch – und sieht sich Auge in Auge dem Vater gegenüber.
„O du Maulwurf“,