Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman - Marie Francoise


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      »Gar nichts«, flüsterte Bernd, dann atmete er tief durch, doch dabei zeichneten sich Schmerzen auf seinem Gesicht ab. »Werden mir die Rippen noch lange weh tun?«

      Dr. Scheibler nickte. »Es wird sicher seine Zeit dauern.«

      Bernd zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, vermutlich nicht.« Er schwieg kurz. »Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, daß ich so etwas nie zuvor getan habe. Ich bin nämlich kein verantwortungsloser Raser – ganz im Gegenteil. In den zwölf Jahren, seit ich meinen Führerschein habe, bin ich immer unfallfrei gefahren.« Wieder machte er eine Pause. »Es war mein Geburtstag. Ich hasse Geburtstage – vor allem meine eigenen, aber dieser dreißigste war mit Abstand der schlimmste. Alle waren da – meine Eltern, Geschwister, Freunde, Verwandte. Ich habe für sie gekocht, alle außer mir waren in Bombenstimmung. Es war schon ziemlich spät, als sie aufbrachen. Dann war ich auf einmal allein. Ich fühlte mich so schrecklich einsam, und dieser Einsamkeit wollte ich entfliehen, also fuhr ich los – einfach so, ohne Ziel. Ich landete auf der Autobahn und da merkte ich plötzlich, wie gut es mir tat, schnell zu fahren. Es verlangte meine ganze Konzentration. Ich hatte keine Zeit mehr, an meinen Geburtstag zu denken… an die dreißig Jahre, die ich jetzt alt war… an meine Einsamkeit. Ein Stau bremste mich, aber ich wollte jetzt nicht im Schrittempo dahinkriechen. Zum ersten Mal in meinem Leben sehnte ich mich nach Geschwindigkeit, nach Gefahr – ausgerechnet ich, der immer auf Nummer Sicher gegangen war. Bei der nächsten Ausfahrt verließ ich die Autobahn und trat wieder aufs Gas. Es war spät, die Landstraße wirkte wie ausgestorben. Ich erkannte mich selbst nicht mehr… war wie im Rausch. Ich nahm die Kurven zu schnell, und… o Gott, ich hätte auf dieser Strecke mindestens zehn Unfälle bauen können. Dann war vor mir plötzlich dieses Auto. Ich sah es ziemlich spät, aber noch hätte ich bremsen können, doch ich war wie gelähmt. Ich brachte den Fuß nicht vom Gas… ich…« Jetzt begann er wirklich zu schluchzen. »Das war das Schrecklichste an allem… die Gewißheit, daß ich andere mit in mein ganz persönliches Elend hineinreißen würde. Ich wollte das nicht… ich schwöre Ihnen, daß ich das nicht gewollt habe…« Vor Weinen konnte er nicht mehr weitersprechen, und dabei wurde ihm besonders deutlich bewußt, daß er sich nicht bewegen konnte… daß er nicht einmal in der Lage war, sich die Tränen wegzuwischen.

      Dr. Scheibler stand auf, und als er seinem jungen Patienten jetzt über den Kopf streichelte, bemerkte er plötzlich eine Veränderung in sich. Jetzt konnte er Mitgefühl für ihm empfinden. Bernd Köster war eben doch nicht der gewissenlose Raser, für den er ihn trotz der Worte seines Bruders insgeheim gehalten hatte. Er war nur einfach todunglücklich gewesen – und war es immer noch. Vielleicht hatte er da auf dieser Landstraße sogar ein kleines bißchen gehofft, nach diesem Unfall nicht mehr aufzuwachen. Sicher hatte er es nicht bewußt gedacht, aber tief in seinem Innern hatte er wohl gehofft, der Unfall könnte seiner Einsamkeit ein Ende setzen.

      Bernds hilfloses Schluchzen verebbte langsam. Als seine Augen wieder einigermaßen klar sahen, bemerkte auch er, daß sich Dr. Scheiblers Einstellung geändert hatte.

      »Bisher habe ich es Ihnen nicht gesagt«, meinte der Chefarzt, »aber das will ich nun schnellstens nachholen. Der jungen Frau, die in dem anderen Auto saß, ist nicht viel passiert. Sie konnte vor zwei Wochen wieder entlassen werden.«

      Bernd atmete auf. »Das hat mich die ganze Zeit am meisten belastet. Diese Ungewißheit… und ich konnte nichts fragen…« Er wich Dr. Scheiblers Blick aus. »Irgendwann habe ich mich auch nicht mehr getraut zu fragen.« Jetzt sah er ihn wieder an. »Sie haben mich ganz schön leiden lassen.«

      Dr. Scheibler seufzte leise, dann setzte er sich wieder auf die Bettkante. »Ich fürchte, Ihnen steht noch mehr Leid bevor… Leid, für das ich nicht verantwortlich bin, aber das ich Ihnen auch nicht ersparen kann.« Er schwieg kurz. »Es geht um Ihre Verletzung. Sie haben sich bei dem Unfall einen Wirbelbruch zugezogen.«

      Bernd erschrak zutiefst. »Ich bin also doch gelähmt?«

      »Nein, ich habe Sie damals nicht belogen. Die Querschnittslähmung konnte ich abwenden, aber… der Bruch ist instabil.« Wie schon seinen Eltern und Geschwistern erklärte Dr. Scheibler nun auch ihm, was das für seine Zukunft bedeuten konnte. Seine Worte trafen Bernd wie ein Schlag.

      »Das heißt… ich werde künftig mit einem Bein im Rollstuhl stehen«, brachte er nach Sekunden des entsetzten Schweigens stockend hervor.

      Dr. Scheibler nickte. »Das ist die eine Möglichkeit. Die andere besteht darin, daß ich Sie noch einmal operiere und die Wirbel versteife. Damit wäre die Gefahr einer Rückenmarksverletzung zwar gebannt, aber ich will ganz ehrlich sein, Bernd: Die Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten Patienten nach einem solchen Eingriff ein Leben lang unter Rückenschmerzen leiden.«

      »Ich habe also die Wahl zwischen möglicher Querschnittslähmung und lebenslangen Rückenschmerzen«, faßte Bernd bitter zusammen. Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig, doch das rührte nicht nur von der schrecklichen Wahrheit her, die Dr. Scheibler ihm soeben offenbart hatte. Das lange Sprechen hatte ihn sehr angestrengt. Er hatte das Gefühl, als stünde sein ganzer Rachen in Flammen.

      Der Chefarzt legte eine Hand auf seinen Arm. »Sie müssen sich nicht sofort entscheiden, Bernd. Lassen Sie sich Zeit. Sie können auch jederzeit noch einmal mit mir sprechen, wenn es Ihnen ein bißchen bessergeht und Sie schmerzfrei reden können. Der Eingriff hat Zeit. Im Moment liegen Sie ja noch im Gipsbett, da kann also nichts passieren.«

      Bernd nickte, doch in seinem Gesicht begann es wieder verdächtig zu zucken.

      »Gleichgültig, wie ich mich entscheide«, meinte er mit gepreßter Stimme. »Ich werde nie mehr so leben können wie zuvor.«

      *

      Dr. Daniel hielt Wort und gab Mona Lombardi Bescheid, als Bernd Köster endlich von der Intensivstation auf die Chirurgie verlegt werden konnte. Noch immer lag er im Gipsbett, aber wenigstens konnte er jetzt Kopf und Arme frei bewegen.

      Mona, die sich ja fest vorgenommen hatte, den jungen Mann zu besuchen, wurde wieder wankend, als sie die Eingangshalle der Waldsee-Klinik betrat. Was veranlaßte sie eigentlich zu diesem Besuch? Im Grunde wollte sie den Mann gar nicht sehen, der an ihrem Krankenhausaufenthalt schuld gewesen war… der durch sein rücksichtsloses Verhalten bei ihr eine Fehlgeburt hätte auslösen können.

      »Was er getan hat, tut ihm leid.«

      Erschrocken fuhr Mona herum, als hinter ihr so unverhofft Dr. Daniels Stimme erklang.

      »Können Sie jetzt sogar Gedanken lesen?« fragte Mona verblüfft.

      Lächelnd schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Nein, Mona, das nun nicht gerade, aber Ihre Gedanken waren wirklich nicht schwer zu erraten.« Er wurde ernst. »Der junge Mann blickt einer sehr ungewissen Zukunft entgegen. Er ist selbst daran schuld, aber das macht es für ihn nicht leichter. Dazu kommt, daß er sich lange Zeit große Sorgen um Sie gemacht hat… nun ja, nicht um Sie persönlich, sondern um die Insassen des Autos, auf das er aufgefahren ist.« Dr. Daniel zögerte kurz, dann gab er das weiter, was er vor wenigen Tagen von Dr. Scheibler erfahren hatte: »Er war an jenem Tag sehr unglücklich und einsam. Das ist vielleicht keine Entschuldigung, aber…«

      »Doch, ich glaube schon«, murmelte Mona. Dr. Daniel wartete, weil er fühlte, daß die junge Frau ihm gleich Einblick in ihre eigene Seele geben würde. »Seit ich mit Dirk endgültig Schluß gemacht habe, weiß ich sehr gut, was es heißt, einsam und unglücklich zu sein. Ich habe es die ganze Zeit verdrängt… habe mich hinter meiner Arbeit und der Schwangerschaft versteckt.« Sie blickte zu Boden. »Tief im Innern wußte ich längst, daß ich die Drillinge zur Adoption freigeben würde. Mein eigenes Gerangel um eine Entscheidung entsprang ganz anderen Gefühlen. Damit wollte ich doch in erster Linie vermeiden, daß ich zuviel über Dirks Untreue und meine eigene Einsamkeit nachgrübeln konnte.«

      »Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich mir anvertraut«, meinte Dr. Daniel. »Sie machten in dieser Hinsicht einen so sicheren Eindruck, daß ich gar nicht auf den Gedanken gekommen wäre, die Trennung von Dirk könnte Sie so sehr belasten.«

      »Es ist vorbei«, behauptete Mona betont munter,


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