Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise
ihm gern sagen, daß ich soweit in Ordnung bin.«
»Das ist nett gemeint von Ihnen«, entgegnete Dr. Daniel. »Trotzdem sollten Sie mit einem Besuch lieber noch warten. Im Augenblick würde der junge Mann vermutlich nur wenig mitbekommen. Der Chefarzt hält ihn meistens ohne Bewußtsein, denn obwohl Herr Köster mittlerweile weiß, daß sowohl seine momentane Bewegungslosigkeit als auch die künstliche Beatmung nur vorübergehend sind, gerät er deswegen immer wieder mal in Panik. Dabei kann er sich natürlich verletzen und obgleich die ständigen Beruhigungsmittel keine Ideallösung sind, sind sie im Verhältnis immer noch der beste Weg. Allerdings ist er dadurch auch in den wenigen wachen Minuten kaum ansprechbar.«
Obwohl Mona den jungen Mann nicht kannte und in den vergangenen Wochen beim Gedanken an den rücksichtslosen Autofahrer, für den sie ihn gehalten hatte und wohl auch noch immer hielt, nur Wut empfunden hatte, zog sich ihr Herz bei Dr. Daniels Schilderung doch irgendwie vor Mitleid zusammen. Sicher, er hatte einen Unfall verursacht, der bei gemäßigterer Fahrweise nicht passiert wäre. Die ganze Geschichte hätte ja auch für Mona wesentlich weniger glimpflich ausgehen können – trotzdem… eine solche Strafe hatte er vielleicht auch nicht verdient.
»Sobald es ihm bessergeht, werde ich Sie benachrichtigen«, versprach Dr. Daniel. »Wie gesagt, ich kenne den jungen Mann nicht, aber nach allem, was ich von Dr. Scheibler erfahren habe, denke ich, daß ihm das, was er da angerichtet hat, sehr leid tut, und daß er sich um Sie tatsächlich Sorgen macht. Es ist also sicher nicht verkehrt, wenn Sie ihn dann besuchen und ihn zumindest in dieser Hinsicht beruhigen können.«
*
»Allmählich sollte er aber aufwachen«, meinte Dr. Scheibler mit einem Blick zur Uhr.
Als wäre das sein Stichwort, öffnete Bernd in diesem Moment die Augen. Sofort beugte sich der Chefarzt über ihn und suchte seinen Blick.
»Keine Panik, Bernd, es ist alles in Ordnung«, versuchte er ihn schon im Vorfeld zu beruhigen, denn wenn der junge Mann erst wieder anfing zu husten und zu würgen, würde das die geplante Extubierung nicht gerade erleichtern. »Wenn Sie schön tun, was wir sagen, dann kann Dr. Parker Sie vielleicht von diesem gräßlichen Schlauch befreien.«
Dr. Scheibler sah seinem jungen Patienten an, daß sich bei ihm allein aufgrund dieser Worte schon wieder Hustenreiz einstellte.
»Sie sollen weder husten noch würgen, sondern allein das tun, was Dr. Parker Ihnen sagt«, befahl Dr. Scheibler und fand dabei erneut den richtigen Ton, um Bernds Gehorsam zu erzwingen.
»Sie müssen keine Angst haben«, meinte Dr. Parker, der jetzt in Bernds Blickfeld trat. »Es wird gar nicht so schlimm. Sie werden jetzt ganz tief einatmen.«
Bernd gehorchte, wobei Dr. Parker das Atemzugvolumen kontrollierte. Es lag zwar gerade mal bei 400 ml, was seinen Grund aber wohl darin hatte, daß Bernd wegen der noch immer schmerzenden Rippenbrüche nicht wirklich tief einzuatmen wagte.
»In Ordnung«, murmelte Dr. Parker, dann blickte er Bernd an. »Noch einmal tief einatmen und durch den Mund aus – so, als würden Sie eine ganze Batterie von Kerzen ausblasen.«
Wieder tat Bernd nur halbwegs das, was Dr. Parker gefordert hatte, doch der junge Anästhesist war erfahren genug, um trotzdem Komplikationen zu vermeiden. Die Prozedur wurde lediglich für den Patienten wesentlich unangenehmer. Bernd hustete und würgte noch, als der Tubus längst draußen war.
»Ist ja gut«, versuchte Dr. Scheibler ihn zu beruhigen, während Dr. Parker dem jungen Mann einen durchsichtigen Schlauch, aus dem kühler Sauerstoff strömte, vor die Nase legte, um ihm das Atmen zu erleichtern.
Bernd wollte sprechen, brachte aber nur ein heiseres Krächzen hervor.
»Damit werden Sie sich noch ein bißchen gedulden müssen«, meinte Dr. Parker. »Nach dieser langen künstlichen Beatmung wird es eine Weile dauern, bis Ihre Stimme wieder richtig mit macht. Aber keine Sorge, es wird alles in Ordnung kommen.«
Dr. Scheibler sah allein schon an Bernds Augen, wie viele Fragen ihm förmlich auf der Zunge brannten, und er konnte sich auch vorstellen, in welche Richtung diese Fragen gehen würden, trotzdem brachte er die Worte, die Bernds Gewissen beruhigt hätten, nicht über die Lippen. Dr. Scheibler war ein sehr mitfühlender Mensch, doch gerade bei Bernd gelang es ihm einfach nicht, wirkliches Mitleid zu haben und das machte ihm arg zu schaffen. Gleichgültig, wie es zu diesem Unfall gekommen war – er wollte diesen jungen Mann gegenüber nicht mehr hartherzig sein.
»Ruhen Sie sich ein bißchen aus«, meinte Dr. Scheibler. »Ich komme später noch einmal zu Ihnen.«
Bernds Augen bettelten. Er versuchte, den Chefarzt mit Blicken festzuhalten, doch Dr. Scheibler wandte sich ab und ging hinaus.
»Was ist los, Gerrit?« wollte Dr. Parker wissen.
»Nichts«, behauptete Dr. Scheibler wenig glaubwürdig.
»Erzähl’ mir bitte keine Märchen«, entgegnete der junge Anästhesist energisch. »Noch bei keinem Intensivpatienten hast du einen derart strengen Ton angeschlagen. Und auch jetzt… du hast doch genau gemerkt, welche Angst der Junge hat, allein zu sein.«
»Laß mich in Ruhe«, grummelte Dr. Scheibler und wollte gehen, doch als er sich umdrehte, sah er sich ganz unvermittelt Dr. Daniel gegenüber.
»Jeff hat vollkommen recht«, meinte nun auch er. »Sehen Sie, Gerrit, durch meine Arbeit in der Praxis und Klinik bekomme ich hier zwangsläufig nicht alles mit, aber sogar ich habe gemerkt, wie distanziert Sie sich Bernd Köster gegenüber verhalten.«
Dr. Scheibler seufzte tief auf, dann gestand er: »Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen. Ich möchte mich diesem armen Kerl gegenüber gar nicht so streng und kalt zeigen, aber… ich kann mit ihm einfach kein wirkliches Mitleid haben. Jedesmal, wenn ich neben ihm stehe, packt mich die Wut, weil er sich selbst in eine solche Lage manövriert hat. Ich muß mich dermaßen beherrschen, ihn nicht laut anzubrüllen… ihm nicht meine ehrliche Meinung über sein rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr zu sagen.«
Dr. Daniel betrachtete ihn und erkannte, daß ihm seine Gefühle wirklich zu schaffen machten.
»Tun Sie es«, riet er dem Chefarzt schließlich. »Wenn er einigermaßen beschwerdefrei sprechen kann, sollten Sie ihn mit Ihrer Meinung konfrontieren, dann werden Sie sehen, was er dazu zu sagen hat.«
*
Dr. Scheibler hatte einige Bedenken, Dr. Daniels Rat zu befolgen, doch dann sagte er sich, daß zwischen Arzt und Patient ein gewisses Vertrauensverhältnis einfach bestehen mußte. Das war aber nur möglich, wenn man gegenseitig ehrlich zueinander war, und gerade auf Ehrlichkeit dem Patienten gegenüber hatte Dr. Scheibler immer viel Wert gelegt. So würde er es auch diesmal halten.
»Ich glaube, es ist dringend nötig, daß wir uns mal ausführlich miteinander unterhalten«, meinte Dr. Scheibler, als er an diesem Morgen an Bernds Bett trat.
Der junge Mann lag noch immer auf der Intensivstation, aber sein Zustand hatte sich mittlerweile gebessert, wenn ihm auch beim Atmen und Sprechen noch immer Brust und Rachen ziemlich weh taten.
»Sie sind unheimlich sauer auf mich«, vermutete Bernd leise.
»Sauer ist der falsche Ausdruck«, entgegnete Dr. Scheibler, zögerte einen Moment und setzte sich dann auf die Bettkante, damit Bernd, der noch immer im Gipskorsett lag, ihn gut sehen konnte. »Normalerweise lebe und leide ich mit meinen Patienten, aber bei Ihnen kann ich kein Mitgefühl aufbringen und dafür schäme ich mich, weil es Sie nämlich wirklich böse erwischt hat.«
Bernd schluckte schwer. »Es ist ganz allein meine Schuld, daß ich hier liege.«
Dr. Scheibler nickte. »Daran besteht nicht der geringste Zweifel.«
Der Chefarzt sah, wie Bernds Augen feucht wurden, und wandte den Blick ab.
»Was ist?« fragte der junge Mann leise. »Können Sie nicht hart bleiben, wenn ich weine?«
»Es würde mir jedenfalls schwerfallen«, gestand Dr. Scheibler, dann seufzte er. »Im