Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise
den Kopf. »Diesen Beruf wird er auf alle Fälle aufgeben müssen. Damit würde er eine erneute Verletzung ja förmlich herausfordern.«
»Das wird ein schrecklicher Schock für ihn sein«, vermutete sein Vater, dann blickte er Dr. Scheibler an. »Weiß er es schon?«
»Nein«, antwortete Dr. Scheibler. »Eine solche Mitteilung kann man ihm im Moment noch nicht zumuten. Man kann ihn frühestens dann damit konfrontieren, wenn er wieder in der Lage ist zu sprechen.«
Die Eltern und Geschwister des Patienten erschraken erneut, doch der Chefarzt beruhigte sie sogleich.
»Ich habe mich da mißverständlich ausgedrückt. Herr Köster kann im Moment nicht sprechen, weil er noch künstlich beatmet wird.« Er stand auf. »Sie dürfen ihn auch gern sehen, allerdings nur kurz, weil er noch auf der Intensivstation liegt. Erschrecken Sie auch bitte nicht. Die künstliche Beatmung und die vielen anderen Geräte, die zur Intensivüberwachung nötig sind, wirken auf einen medizinischen Laien oftmals sehr bedrohlich. Zudem halten wir Herrn Köster absichtlich noch ohne Bewußtsein. Er wird also nicht ansprechbar sein, aber Sie müssen dennoch keine Angst haben. Er liegt nicht im Koma, sondern schläft nur unter der Einwirkung von Medikamenten.«
Trotz dieser beruhigenden Worte erschraken die Kösters ganz schrecklich, als sie Bernd zwischen all den Schläuchen und Apparaten liegen sahen.
»Es ist alles meine Schuld«, murmelte Markus betroffen.
Dr. Scheibler sah ihn an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Herr Köster, es ist ganz allein seine Schuld. Er fuhr wie ein Irrer. Das Auto vor sich hat er angeblich nicht… besser gesagt, zu spät gesehen. Trotzdem hat er nicht mal versucht zu bremsen, sondern ist diesem Wagen mit knapp zweihundert hinten draufgebrummt. Er kann von Glück sagen, daß er überhaupt noch lebt.«
Markus schluckte schwer, dann nahm er den Chefarzt ein Stück beiseite, um allein mit ihm sprechen zu können.
»Im Gegensatz zu mir wissen Sie aber nicht, warum er es getan hat«, meinte Markus leise.
»Er kam an der Unfallstelle zu sich und sagte zu mir, er wäre kein Raser. Er wäre lediglich einsam gewesen, aber das ist in meinen Augen noch lange kein Grund für ein derart rücksichtsloses Verhalten.«
Einen Augenblick kämpfte Markus mit sich, dann entschloß er sich für die Wahrheit: »Vor zwei Jahren habe ich die Frau geheiratet, die er liebte. Ich glaube, inzwischen ist er drüber weg, aber… als er jetzt dreißig wurde… er wollte gar keine Feier, doch wir alle haben ihn dazu gedrängt, und als wir gegessen und getrunken hatten, da… da ließen wir ihn allein – ich auch, obwohl ich wußte, wie sehr er unter seiner Einsamkeit leidet. Bernd ist äußerst sensibel. Ich bin sicher, er wollte gar nicht so schnell fahren. Vermutlich war es ihm nicht einmal bewußt. Er war einfach auf der Flucht… auf der Flucht vor sich selbst… vor dieser entsetzlichen Einsamkeit, die er so sehr haßte.« Er schwieg kurz, dann bat er leise: »Herr Doktor, bitte, verurteilen Sie ihn nicht deswegen.«
»Ich verurteile ihn ja gar nicht«, entgegnete Dr. Scheibler. »Was Sie gerade erzählt haben, erklärt auch tatsächlich einiges, aber es entschuldigt dennoch nichts, und Sie können sicher sein, daß ich beizeiten ein ernstes Wort mit Ihrem Bruder sprechen werde.«
*
Nach fast vier Wochen gab Dr. Daniel für Mona Lombardi endlich grünes Licht – allerdings nicht ganz so, wie sie sich das erhofft hatte.
»Sie dürfen sich keinesfalls überanstrengen«, mahnte er. »Das bedeutet, keine Überstunden, keine stundenlangen Sitzungen und mindestens zweimal am Tag eine halbe Stunde absolute Ruhe – hinlegen, Augen schließen, gar nichts tun«, zählte er im Telegrammstil auf.
Mona seufzte. »Wie stellen Sie sich das vor, Herr Doktor? Ich bin Managerin eines Kaufhauses und wenn ich…«
»Sie sind werdende Mutter, und ich denke, Sie wollen das Leben Ihrer Kinder nicht gefährden, auch wenn Sie vorhaben, die Drillinge zur Adoption freizugeben.«
»Natürlich will ich die Kinder nicht gefährden«, räumte Mona sofort ein. »Allerdings wird es nicht ganz einfach sein, Ihre Anordnungen immer einzuhalten.«
»Das weiß ich, aber Sie werden es schon schaffen«, meinte Dr. Daniel und lächelte dabei. »Es kommt übrigens noch eine Anordnung hinzu: Ich möchte Sie jeden zweiten Tag in meiner Praxis sehen.«
Mona ließ sich in die Kissen zurückfallen. »Es gibt zwar Sicherheit, daß Sie absolut kein Risiko eingehen, aber… soll ich ehrlich sein? Es wäre fast einfacher für mich, meine Arbeit von der Klinik aus zu erledigen.«
Dr. Daniel schmunzelte. »Damit wäre ich durchaus einverstanden, denn auf diese Weise hätte ich Sie wenigstens unter meiner Kontrolle.« Er wurde ernst. »Es besteht kein zwingender Grund, Sie noch länger in der Klinik zu behalten. Die Infusionen konnten ja schon nach zwei Tagen abgesetzt werden und seit einer Woche müssen Sie auch keine strikte Bettruhe mehr einhalten. Sie und Ihre Babys hatten bei diesem Unfall sehr viel Glück, trotzdem dürfen Sie jetzt keinesfalls leichtsinnig sein.«
»Ganz bestimmt nicht«, versprach Mona ernsthaft. »Ich werde nichts tun, was die Babys irgendwie gefährden würde, und Sie können sich auch darauf verlassen, daß ich mich an alle Ihre Anordnungen halten werde.« Sie zögerte. Dr. Daniel hatte mit seinen Worten die Erinnerung an den Unfall heraufbeschworen und obwohl Mona gedacht hatte, das Schicksal des Unfallverursachers wäre ihr gleichgültig, weil er so rücksichtslos gefahren war, ließ ihr die Ungewißheit, was aus ihm geworden war, nun doch keine Ruhe.
»Der Mann, der mir hinten aufgefahren ist… das heißt… ich weiß gar nicht, ob es überhaupt ein Mann war…«, begann sie.
Dr. Daniel nickte. »Ja, Mona, es war ein Mann. Er ist nur wenig älter als Sie.«
Mit einer Hand strich Mona ihr Haar zurück.
»Seltsam«, murmelte sie. »Irgendwie dachte ich, er wäre wesentlich jünger… achtzehn, zwanzig vielleicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie kann ein Mensch um die Dreißig noch so kopflos durch die Gegend rasen? In diesem Alter sollte er doch schon vernünftiger sein.«
Dr. Daniel wußte vom Chefarzt zwar schon einiges über Bernd Köster, doch das konnte er Mona gegenüber nicht einfach so erzählen.
»Er war wohl ein wenig durcheinander, als er ins Auto stieg und losfuhr«, wich er daher aus.
Nachdenklich blickte Mona vor sich hin, dann sah sie Dr. Daniel an. »Wissen Sie, im ersten Moment… nein, sogar noch während der ganzen Zeit, wo ich hier liegen mußte… ich habe einige Male an ihn gedacht… wollte mich auch schon nach ihm erkundigen, aber…« Sie atmete tief durch. »Ich habe mir eingeredet, daß ein so rücksichtsloser Autofahrer kein Mitgefühl verdient.« Verlegen blickte sie nach unten. »Das klingt hartherzig, nicht wahr?«
»Ja«, gab Dr. Daniel ohne Umschweife zu. »In Ihrer Situation ist das aber auch ganz verständlich. Durch seine Schuld hätten Sie Ihre Babys verlieren können, und unter diesem Aspekt kann man ein bißchen Hartherzigkeit durchaus verzeihen.«
Langsam hob Mona den Kopf. »Wie geht es ihm?«
»Nicht sehr gut«, antwortete Dr. Daniel ehrlich. »Er mußte seinen Leichtsinn teuer bezahlen.«
Monas Gedanken gingen bei diesen Worten gleich in eine bestimmte Richtung. »Ist er… gelähmt?«
»Nein, aber das verdankt er nur der Umsichtigkeit unseres Chefarztes. Im übrigen sind seine Verletzungen auch ohne eine Lähmung noch immer schwer genug.«
»Hat er… nach mir gefragt?« wollte sie wissen und fügte hinzu, bevor Dr. Daniel etwas antworten konnte: »Ich meine… wenn er nicht völlig gewissenlos ist, dann muß er sich um den Menschen, den er mit seiner Fahrweise gefährdet hat, doch eigentlich Gedanken machen.«
»Da haben Sie sicher recht, aber selbst wenn er nach Ihnen hätte fragen wollen – es wäre ihm noch nicht möglich gewesen, weil er nach wie vor künstlich beatmet werden muß und daher nicht sprechen kann.«
Nun war Mona