Die große Hitze. Jörg Mauthe

Die große Hitze - Jörg Mauthe


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zur Uniform einen Regenschirm zu tragen; ihm habe ich es zu verdanken, daß das Schreiben mein Beruf wurde.

      Ich widme dieses Buch dem Andenken der Salzburger Malerin Agnes Muthspiel in Dankbarkeit für den Blumenstrauß, den sie als Trauzeugin meiner Hochzeit vor Jahrzehnten im morgengrauen Mirabellgarten gestohlen hat. Sie war die bedeutendste Frau, die mir in meinem Leben begegnet ist, und jeder, der die Ehre gehabt hat, Agnes Muthspiel zu kennen, wird mir beipflichten.

      Ich nenne die Namen, wie sie mir so einfallen, jedoch muß ich eiligst den langsam in den Zustand der Verehrungswürdigkeit eintretenden Hans Weigel nennen, dem ich einmal versprochen habe, ein Buch zu schreiben; er möge mir nicht böse sein, daß er es erst 20 Jahre später kriegt.

      Dem großen Paul Flora gilt die nächste Widmung, denn durch seine Lehre, daß Unernst das einzige ist, was man wirklich ernst nehmen muß, ist er zu einem wesentlichen Schrittmacher auf dem Wege zur totalen Austrifizierung der Welt geworden.

      Mit bewegtem Herzen gedenke ich nun eines Unberühmten, des Hausmeisters Alfons Bierdimpfl nämlich (er hieß wirklich so), der schlichten und mürrischen Gemütes sein Amt versah, bitterlich weinte, als im März 1938 SA-Buben die jüdischen Mietparteien drangsalierten, und in den Apriltagen 1945 von russischen Marodeuren erschossen wurde, weil er die Frauen in seinem Haus vor Vergewaltigungen schützen wollte.

      Ein anderer Toter kommt mir in den Sinn, Dr. Friedrich Funder, Herausgeber der »Furche«, einer der letzten Großen der österreichischen Journalistik, dem ich, weil er es so wünschte und weil die älteren Redakteure vor diesem Auftrag zurückschreckten, den Bürstenabzug seines bereits gesetzten Nachrufs ans Sterbebett brachte; nie werde ich vergessen, wie er mit einem Bleistiftstümmelchen etliche Satzzeichen in seinem Nekrolog verbesserte und sodann, erleichtert und seine letzte Pflicht erledigt habend, den Kopf in die Polster zurücklegte und die Augen schloß.

      Genug Tote, obwohl ich gerne noch des Judostaatsmeisters und Masseurs Prosper Bouchelle gedenken würde, der mir allwöchentlich, während er verrutschte Wirbel krachend ins Rückgrat zurückspringen ließ, unglaubliche, von Haß, Liebe und Leidenschaft erfüllte Geschichten aus den dunklen Peripherieslums erzählte, denen er entstammte; dieser Mann war einer von den 36 Gerechten, die, ohne es zu wissen, die Existenz der Menschheit vor dem Angesichte Gottes rechtfertigen.

      Oder soll ich noch meinen Mitschüler Otto Müller erwähnen, der 1942 den unabänderlichen Entschluß faßte, spätestens 1970 österreichischer Bundeskanzler zu werden? Wenn sie diesen intelligenten und entschlossenen Burschen nicht bei der »Organisation Todt« zu Tode geschunden hätten (er war Halbjude und deshalb »wehrunwürdig«), hieße der österreichische Bundeskanzler heute vielleicht Otto Müller.

      Zu viele Tote, genug der Toten.

      Ich erlaube mir, dieses Buch Wolfgang Pfaundler zu widmen, der allein durch seine Existenz unwiderleglich beweist, daß Österreich nicht nur ein geographischer Begriff, sondern auch eine Wahrheit und ein Traum ist. Ferner Gerd Bacher, der zur Zeit dieser Niederschrift Generalintendant des ORF ist, am Tage ihres Erscheinens aber vielleicht nicht mehr sein wird, denn zu viele Hunde sind hinter diesem Hasen von Format her. Aber der, der ihn am Ende an der Kehle faßt, wird nicht viel Ehre davon haben.

      Ich widme dieses Buch – ach, es gibt so viele, die ich noch zu nennen hätte, daß ich wohl noch ein anderes schreiben werde müssen, um alle Namen, derer ich in Freundschaft, Dankbarkeit und Verehrung zu gedenken habe, in gebührender Weise zu verzeichnen. Für diesmal muß es genügen, denn eben erreicht der Legationsrat Dr. Tuzzi die Mitte des Heldenplatzes und zieht unsere Aufmerksamkeit endgültig auf sich.

      Mögen die in dieser Vaterländischen Ruhm- und Ehrentafel (denn dazu hat sich die Widmung nun ohnehin schon ausgewachsen) Erwähnten ihre Freude mit vorliegendem Werke haben; ebenso einige andere, die ich hier nicht genannt habe, weil sie im weiteren Verlaufe ohnehin deutlich in Erscheinung treten werden.

      Mögen mir ferner alle jene, die sich mit geringerer Freundlichkeit und manchmal vielleicht auch mit Bosheit geschildert sehen, nicht allzu böse sein und Trost in dem Gedanken finden, daß auch sie unentbehrlich sind im unendlichen Kunterbunt des austriakischen Mikrokosmos.

      Womit denn die Geschichte endlich dort beginnen kann, wo sie anfänglich wirklich begonnen hat.

      DAS ERSTE

      HAUPTKAPITEL

      BEGINNT AN STELLE EINER EXPOSITION

      MIT EINER INDISPOSITION

      Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Bewohner der Bundeshauptstadt Wien, sich vor neun Uhr morgens ausgesprochen mies zu fühlen. Aber der dem Interministeriellen Komitee für Sonderfragen zugeteilte Legationsrat Dr. Tuzzi fühlte sich an diesem Aprilmorgen ganz besonders mies.

      Das hatte zweierlei Gründe: Einesteils mußte er heute einen Stoß Akten übernehmen, den der tags zuvor von einem Kreislaufkollaps heimgesuchte Kollege Twaroch hinterlassen hatte – Akten, über deren Inhalt der Legationsrat überhaupt nichts wußte, denn der Kollege Twaroch, ein auch sonst nicht gerade redseliger Mann, hatte über die Materie, die er in letzter Zeit bearbeitete, nicht einmal andeutungsweise etwas verlauten lassen; das bedeutete, daß sie vermutlich besonders heikel war und die Vertiefung in sie viel zusätzliche Arbeit kosten würde.

      Und andererseits stand Tuzzi ein abendliches Rendezvous bevor, das zwar zur Routine seiner Dienstage gehörte, aber in Anbetracht dessen, daß er sich durchaus nicht auf der Höhe seiner Leistungskraft fühlte, als voraussichtlich problematisches Fortsetzungskapitel in einer seit Jahren andauernden Liebschaft einzuschätzen war.

      Mühsal war also da wie dort zu erwarten. Und das bei dieser Hitze!

      Seit nunmehr 32 Monaten hatte man in Österreich keinerlei Niederschläge mehr und nur in Höhen über 1500 Meter Temperaturen unter dem Nullpunkt registriert. Selbst in den Wintern zeigten die Thermometer selten weniger als 15°. Unabhängig von der Jahreszeit war es warm bis heiß, die Luftfeuchtigkeit minimal, der Luftdruck tief unter dem hundertjährigen Durchschnitt, der Himmel meistens von Dunstschleiern bedeckt, der Unterschied zwischen Morgen- und Tagestemperaturen so unwesentlich, daß auch die taulosen Nächte schon lange keine Abkühlung mehr brachten.

      Dieses abnorme Wetter suchte nicht nur unser Land heim, sondern zog, in freilich abgeschwächter Form, ganz Mitteleuropa in Mitleidenschaft. Jedoch lagen Österreich und die Grenzgebiete seiner Nachbarländer im Zentrum dieser sogenannten Großen Hitze und hatten daher unter ihr am meisten zu leiden.

      Die Meteorologen boten zahlreiche Erklärungen dieses Phänomens an, die im großen und ganzen darauf hinausliefen, daß vielerlei mehr oder minder zufällig zusammentreffende Faktoren eine Pattsituation zwischen verschiedenen russischen, atlantischen und mittelmeerischen Tiefs oder Hochs bewirkt hatten, eine Verstrickung atmosphärischer Bewegungen und Rhythmen, die sich aus ihrer verhängnisvollen Etablierung nicht mehr lösen konnten. Diese Erklärungen mochten stimmen, wurden aber begreiflicherweise ebensowenig als befriedigend empfunden wie der Hinweis, daß ähnlich langdauernde Trockenzeiten in früheren Jahrhunderten nicht ungewöhnlich gewesen wären.

      Als andere Ursachen der Großen Hitze wurden also von verschiedenen Seiten angeführt:

      Ursachen kosmischer Natur: eine allmähliche Verschiebung der Erdachse; eine Erwärmung der Erde von innen her; eine Zunahme oder Abschwächung solarer Energien; das Herannahen einer neuen Eiszeit; und andere.

      Ursachen, die im Verschulden der Menschheit selbst lägen: zum Beispiel eine zunehmende Erhitzung der Erde durch Überbevölkerung und die damit zusammenhängende Zerstörung des ökologischen etc. Gleichgewichts; oder die Verschmutzung der Erdatmosphäre durch Atombomben, Überschallflugzeuge und ähnliches.

      Ursachen theologischer Art: die zunehmende Sündhaftigkeit größerer Bevölkerungsteile oder der Menschheit überhaupt.

      Aber welche Erklärung man auch immer, je nach Wissen, Temperament und Weltanschauung, bevorzugte: heiß war’s jedenfalls. Und heiß blieb es.

      Über dem Heldenplatz lag dort, wo eigentlich der Himmel zu sein hatte, eine bläulichgraue


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