Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas

Ein Thron aus Knochen und Schatten - Laura Labas


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du nie gewesen. Ich dachte, das wüsstest du bereits. Alles, was ich für dich empfinde, ist Abscheu und Verachtung.«

      Evan schluckte, versuchte die Scherben, die einst seine Seele gewesen waren, einzusammeln, um die Überreste an seine Brust zu pressen.

      »Wohin gehst du?« Wieder klang er wie der Zwölfjährige, der seine Mutter gerade verloren hatte. Nicht nur meine Mutter, realisierte er dann, auch meinen Vater.

      »Joana zurückholen«, wiederholte er die Worte, von denen Evan geglaubt hatte, er würde sie nie wieder hören. Arias wandte sich ab und betrat den Flur. »Sie lebt in einer anderen Dimension und ich werde sie finden.«

      »Ja, lauf nur deinen Hirngespinsten nach!«, brüllte Evan an dem Kloß in seinem Hals vorbei. »Vergrabe dich in deiner Fantasie, alter Mann! Sie hat uns verlassen und wird nie wieder zurückkommen!«

      Doch Arias war schon längst aus dem Haus geflohen, während Evan von Schluchzern geschüttelt wurde. Die Tränen ließen sich nicht mehr länger unterdrücken. Der Schmerz in seinem Herzen war zu groß. Er hatte es doch längst gewusst. Er war nie genug. Würde es nie sein. Wieso tat es dann so weh?

      Weil Arias bisher immerhin so getan hat, als würde er sich sorgen, antwortete ihm eine Stimme, die er in den letzten Jahren ignoriert hatte. Sie hatte ihn dazu angehalten, aufzupassen. Sie hatte ihn schützen wollen, aber er war blind und taub gewesen. Und jetzt hatte sein Vater sogar jeglichen Anschein aufgegeben.

      Schniefend rieb er sich mit einem Ärmel über das bärtige Gesicht, bevor er sich aufrappelte und seine Wut an den Büchern ausließ. Er fegte sie aus den Regalen, zerriss ihre Seiten und zerknüllte das Papier, bis nur noch heilloses Durcheinander um ihn herum zurückblieb. Er fühlte sich besser.

      Schließlich erkannte er, dass er hier nichts mehr zu suchen hatte, und nahm sich lediglich noch etwas Zeit, um seine restlichen Habseligkeiten zu packen. Zudem bediente er sich an Arias Waffenarsenal, was Crystal und ihm eindeutig Vorteile verschaffen würde.

      Als er das Haus durch den Vordereingang verließ, sah er nicht mehr zurück. Er wusste, er würde nie wieder zurückkehren.

      Crystal wartete, wie abgesprochen, in Alisons Wohnung auf ihn. Sie hatten sich entschieden, für die Dauer ihres Aufenthaltes in Ascia an diesem Ort zu bleiben, da kaum einer wusste, dass Alison diese Wohnung besaß. Es war für den Moment sicher. Außerdem hatte er es sofort auf sich genommen, die Miete für die nächsten Monate zu begleichen. Er wollte Alison nicht retten, nur damit sie anschließend obdachlos war. Nun sah es aber so aus, als würden sie kaum noch über Geld verfügen und sie mit dem übrig gebliebenen würden haushalten müssen. Die Reise zum Labor, in dem sich hoffentlich Amethyst befand, würde eine Weile dauern. Crystal hatte ihm gesagt, dass es sich in der Nähe von Descar befand. Einer Dämonenstadt im früheren, östlichen Teil von Kanada.

      »Was ist passiert?«, fragte sie, sobald er durch die Tür schritt. Er stellte den Rucksack und die Stofftasche ab, in die er seine Kleidung gequetscht hatte, und ließ sich von Crystal auf Herz und Nieren prüfen. »Du siehst aus, als wärst du geschlagen worden.«

      Mit ihrer Vermutung lag sie gar nicht mal so falsch. Nur dass er nicht körperlich misshandelt worden war. All die Jahre waren die Schläge auf psychischer Ebene passiert und er war zu närrisch gewesen, um den Schmerz überhaupt zu bemerken.

      Nachdem Crystal ihr Abtasten abgeschlossen hatte und zufrieden war, dass er keinerlei sichtbare Wunden aufwies, trat sie einen Schritt zurück. Irgendwie erkannte sie, dass er sich nach Distanz sehnte.

      »Arias ist fort«, sagte er schließlich und bewegte sich auf eines der schmutzigen Fenster zu. Er konnte kaum hinausschauen.

      »Wie meinst du das?«

      »Er hat nun endgültig jeden Anschein aufgegeben, sich um die Gilde zu kümmern. Sein Ziel ist es noch immer, meine Mutter zu finden.« Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren hohl und weit entfernt.

      »Aber … ich dachte, sie ist …«

      »Tot, ja.« Er nickte und drehte sich endlich wieder zu der einzigen Person um, die ihm in diesem Desaster noch geblieben war. »Er ist der Meinung, dass es keinen Himmel gibt. Kein Paradies, sondern lediglich Dimensionen. Wenn wir sterben, überschreiten unsere Seelen oder Geister oder was auch immer von uns zurückbleibt das Portal, das ansonsten verschlossen ist.«

      »Das ist Wahnsinn«, flüsterte sie, aber auf eine andere Weise, als Evan es sich vorgestellt hatte. Etwas an ihrem Ton ließ ihn stocken.

      »Crystal?«

      »Ich … Ich weiß, du willst es vermutlich nicht hören, allerdings glaube ich, dass dein Vater recht haben könnte. Wer sind wir, zu sagen, dass etwas unmöglich ist? Wenn es eine Welt voller Dämonen gibt, warum dann nicht auch andere Welten, in die wir nach unserem Ableben hier ein neues Leben beginnen können? Und was ist …«

      »Hör auf!«, zischte er und unterdrückte den Impuls, sich die Hände auf die Ohren zu pressen. »Hör einfach auf, okay? Es reicht schon, dass mein eigener Vater an diesen Mist glaubt, ich brauche das nicht auch noch von dir!«

      Ihre ohnehin schon riesigen Augen wurden noch größer, als sie realisierte, was sie getan hatte. Eigentlich wollte Evan das Mitleid, das sich daraufhin einstellte, noch weniger, doch sie ließ nicht zu, dass er sich abwandte.

      »Es tut mir leid. Evan. Du hast recht.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Lass uns über unsere Reise reden, ja? Ich habe alle Dinge auf unserer Liste bekommen. Es könnte sein, dass …«

      Er hörte nur noch mit halbem Ohr zu, tat aber so, als würde er ihr folgen. Was machte er hier eigentlich noch? Nichts fühlte sich mehr richtig an.

      In der Nacht wälzte sich Evan unruhig von einer Seite auf die andere, während er von Albträumen heimgesucht wurde, die vielmehr Erinnerungen waren und die er viel zu lange verdrängt hatte. Erinnerungen daran, wie ihn sein Vater geschlagen hatte. Erinnerungen, die ihm verdeutlichten, wie das Leben nach Joanas Tod gewesen war. Erinnerungen, die zeigten, wie sehr er unter der Ignoranz seines Vaters gelitten hatte.

      Crystal griff im Halbschlaf nach ihm und umarmte ihn fest, hielt ihn und gab ihm die Wärme, die er das letzte Mal in Alisons Armen gespürt hatte, als er es gewesen war, der sie umfasst hielt. Damals hatte er nicht verstehen können, wie sie sich allein von Träumen so sehr aus der Fassung hatte bringen lassen können. Es war eine Ironie des Schicksals, dass er jetzt in ihre Fußstapfen trat. Sie waren seit Monaten getrennt, doch jetzt fühlte er sich ihr näher als jemals zuvor.

      Am frühen Morgen, die Sonne erklomm mühsam den Horizont, machten Crystal und er sich zum Aufbruch bereit. Sie hatte noch am frühen Abend ihre Habseligkeiten sortiert und in drei Taschen gepackt. Präzise und nützlich.

      Evan schloss die Tür hinter sich ab, nachdem er noch einen letzten Blick hineingeworfen hatte. »Ich komme zurück zu dir«, sprach er leise und hoffte, dass Alison nicht aufgab. Sie würde verstehen, warum er sich für Amy entschied. Er wusste nicht, wie stark Amethyst war, aber er wusste, wie stark Alison war.

      Gemeinsam wanderten Crystal und Evan durch die erwachenden Straßen Ascias, bis sie das Nordtor erreicht hatten. Vor diesem kauften sie sich in dem Stall von Herman zwei Pferde. Verschwunden war ihr Geld, aber ohne Pferde würden sie viel zu lange brauchen. Zeit war etwas, das sie noch weniger entbehren konnten als Münzen.

      »Was ist, wenn sie das Labor nach Alasdairs Tod längst geschlossen haben?«, fasste Evan seine Sorge in Worte. Im Schritttempo ritten sie neben Händler und Kutschen her Der Verkehr würde konstant abnehmen, je weiter sie sich von der Stadt entfernten. Noch mussten sie auf jeden Schritt achtgeben.

      »Das sehen wir dann, wenn wir da sind«, antwortete Crystal zuversichtlich, obwohl ihr die Sorge in den Augen geschrieben stand.

      »Wir finden sie, Crys«, murmelte er und konzentrierte sich dann weiter auf den Weg vor ihnen.

      Kapitel


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