WEISSER JADE (Project 1). Alex Lukeman

WEISSER JADE (Project 1) - Alex  Lukeman


Скачать книгу
Startbahn, hob sich in die Luft, die Räder wurden eingefahren. Er war gerade im Begriff, sich abzuwenden, als das Flugzeug eine eigenartige Bewegung machte. Die Tragflächen kippten erst nach rechts, dann nach links und die Spitze zog nach unten.

      Finger aus Eis umklammerten seine Brust.

      Dann zog der rechte Flügel gerade nach unten. Das Flugzeug ging zu Boden und explodierte in einem wogenden Feuerball. Die Druckwelle prallte gegen das Fenster und erschütterte das Terminal. Am Ende der Startbahn kochte eine dichte Säule aus orangefarbenen Flammen und schwarzem Rauch in den gleichgültigen Himmel.

      Megan.

      Er drängte die Erinnerungen wieder zurück in ihre dunkle Ecke.

      »Waren Sie je verheiratet?«, fragte er.

      »Nein. Ich war einmal kurz davor. Ich dachte, es wäre Liebe. Wir hatten gegessen und einige Drinks zu uns genommen und dann sind wir in einen riesigen Streit geraten. Ich habe vergessen, worum es ging, irgendetwas Blödes. Er schlug mich. Das machte mich wütend. Ich habe seine Nase gebrochen, ihn dahin getreten, wo es wehtut, und bin gegangen.«

      »Sie haben ihm die Nase gebrochen?«

      »Er hatte es so gewollt. Ich bin ganz gut im Kampfsport.«

      Sie zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen, was hätte sie denn sonst tun sollen?

      »Seitdem habe ich niemanden getroffen, den ich näher kennenlernen wollte. Männer sind von meinem Aussehen angezogen. Wenn sie herausfinden, wer ich bin, und wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, dann ziehen sie sich zurück. Ich schätze, ich mache ihnen Angst.«

      »Zu viel Konkurrenz für das männliche Ego?«

      »Sollte das so sein, dann ist es nicht mein Problem.« Sie wechselte das Thema. »Wie konnten die Männer gestern wissen, wo ich war?«

      »Das ist nicht schwer. Sie sind bekannt.«

      »Glauben Sie, dass sie es noch mal versuchen werden?«

      »Kann sein. Bis das alles geklärt ist, sollten Sie immer Menschen um sich haben. Im Augenblick haben Sie nur mich.«

      »Das war gestern gut genug.«

      Sie schaute aus dem Fenster, zog eine Box unter dem Sitz hervor.

      »Hungrig?«

      Nach dem Essen und den Mimosas wurde er ruhiger. Er schlief ein. Eine Sache, die er bei der Truppe gelernt hatte, war, überall einschlafen zu können. Im Schlaf erinnerte er sich an nichts, es sei denn, er träumte.

      Kapitel 10

      Selena betrachtete den Mann, der da neben ihr schlief.

      Wer ist er?, fragte sie sich. Er durfte seine Waffe einfach mit an Bord nehmen. Ist er eine Art Spion oder so was. Er hat ein halbes Ohr verloren und fünf Leute getötet und dabei nicht mal geblinzelt. Alles was ich von ihm weiß ist, dass er eine Mutter und eine Schwester hat, einen Mistkerl zum Vater hatte und mir vermutlich gestern das Leben gerettet hat.

      Seine Verlobte ist gestorben. Er hat nicht gesagt, wie. Das erklärt vielleicht das Misstrauen, das ich in ihm spüre. Als würde er darauf warten, dass etwas Schlimmes passiert. Als würde er denken, etwas würde ihn jeden Moment anspringen.

      Sie sah, wie Nick im Schlaf zuckte.

      Schwarze Haare, starker Kiefer, er hat jetzt schon einen Bartschatten. Er ist nicht hübsch, aber schlecht sieht er auch nicht aus. Schwarze Augenbrauen. Und er hat diese eigenartigen Augen. Ich habe noch nie solche Augen gesehen, wie von einem Tier, einer großen Katze oder einem Wolf. Er ist kräftig gebaut, aber nicht so wie einer dieser Körper-Freaks in den Fitnessstudios. Ich frage mich, wie er im Bett ist?

      Plötzliche Hitze und Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen überraschte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal bei jemandem diesen Gedanken gehabt hatte.

      Sie schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall würde sie mit ihm ins Bett gehen. Sie fühlte sich zu verletzlich, um mit der Nähe umzugehen, die Sex mit sich bringen würde. Abgesehen davon, dass dieser Mann gefährlich war.

      Selena schaute aus dem Fenster und betrachtete die weißen Wolken, die unter ihnen vorbeizogen. Sie dachte an ihren Onkel und an ihre Eltern.

      Sie konnte sich an ihre Eltern erinnern, aber nicht mehr wirklich an ihre Stimmen. An dem Tag, an dem sich alles für sie veränderte, hatte sie Zuhause am Fenster gesessen und gespielt. Eigentlich hätte sie im Bett bleiben sollen, da sie krank war. Ihr Bruder, ihre Mutter und ihr Vater waren auf dem Highway One unterwegs gewesen, nach Big Sur.

      Als ihr Onkel ins Zimmer kam, hatte sie gewusst, dass etwas Schlimmes geschehen war. Er hatte angefangen, ihr davon zu erzählen, aber sie hatte sich geweigert zuzuhören und seine Worte mit einem Lied übertönt, das sie eine Woche zuvor in der Schule gelernt hatte.

      Die Triebwerke dröhnten vor ihrem Fenster. Ich hätte mit ihnen in dem Auto sein sollen, dachte sie. Wäre ich dabei gewesen, wäre alles in Ordnung. Wir hätten irgendwo angehalten, um etwas zu Essen zu besorgen oder damit ich die Toilette benutzen könnte oder so was. Dann wären sie nicht dort gewesen, als der Truck um diese Kurve kam.

      Sie war schuld.

      Sie hatte diese Schuld tief in sich vergraben und sich gegen die Welt gewappnet. Die Beste in allem sein: Sport, gefährliche Hobbys, Kampfsport, Akademisches. All der Erfolg, all ihr Training hatte sie nicht auf das hier vorbereitet. Sie hatte die Kontrolle verloren. Sie konnte den Verlauf der Dinge nicht beeinflussen.

      Das machte ihr Angst, und das war neu für sie. Sie mochte es nicht.

      Selena atmete ein paarmal tief durch und schaute wieder zu Nick. Dieser Mann bekommt keine Angst, dachte sie. Vielleicht bringt er die Dinge ja wieder in Ordnung, falls das überhaupt jemand kann.

      Kapitel 11

      Nick beobachtete die Menschenmenge, während sie sich durch das Flughafenterminal bewegten. Es gab nichts Ungewöhnliches. Niemand beachtete sie. Der Shuttlebus brachte sie zum Parkplatz, und sie gingen zu seinem Silverado. Die Windschutzscheibe war von einer dünnen Staubschicht bedeckt.

      Er öffnete Selena die Tür. »Steigen Sie ein. Nicht wie Ihr Mercedes, aber recht komfortabel.«

      Sie verließen den Flughafen, fuhren auf die I-5 und dann die 99 Nord in Richtung der Sierra Foothills. Es war ein klassischer kalifornischer Nachmittag. Klarer Himmel und fast 30 Grad.

      »Erzählen Sie mir von unserem Reiseziel.«

      »Connorsville«, sagte sie. »In Zeiten des Goldrauschs gab es dort Saloons, Hotels, fünfzig Bordelle und fünftausend Minenarbeiter und Chinesen, die in Baracken und Zelten lebten.«

      »Die Chinesen schon wieder.«

      »Sie haben die harte Arbeit erledigt. Es gibt Geschichten, dass sie geheime Tunnel gegraben haben, die von Connorsville und der Mine wegführen. In Marysville und Sacramento haben sie das getan. Wir haben aber nie welche gefunden. Mein Onkel warnte mich immer, nicht in die Mine zu gehen. Es ist dort nicht sicher.« Sie schaute aus dem Fenster. »Mein Onkel hatte einen Metalldetektor. Wir liefen da herum, wo die Stadt früher war, und fanden alle möglichen Dinge. Das war spannend.«

      »Habt ihr Gold gefunden?«

      »Eine Münze und ein paar Nuggets. Eines war fast so groß wie meine Hand.«

      Bei Marysville bogen sie auf den Highway 20 nach Osten, vorbei an flachen, grünen Reisfeldern und großen Weiden, auf denen Rinder grasten. Ein Schwarm weißer Reiher erhob sich von einem der Teiche am Straßenrand in die Lüfte.

      Nach einer Weile überquerten sie den Yuba. Einige Minuten später deutete Selena in Fahrtrichtung. »Die Abfahrt ist da vorne links. Die Brücke sieht zwar baufällig aus, ist aber sicher. Fahren Sie nur langsam.«

      Er fuhr auf ein kurzes Stück mit grobem Pflaster


Скачать книгу