WEISSER JADE (Project 1). Alex Lukeman
ihn erschießen.«
Sie zogen sich weiter in den Tunnel zurück, bis das Licht nachließ. Eine große, leere Erzlore stand rostend auf Schienen, die in der Schwärze der Mine verschwanden. In dem schwachen Licht konnten sie vom Eingang aus nicht gesehen werden.
»Wie viele sind es?«, fragte Selena.
»Mindestens drei. Zwei von ihnen sind erledigt. Vielleicht nur noch ein weiterer.«
Nick dachte über ihre Situation nach. Taktische Einschätzung, eine alte Angewohnheit.
»Wir sind waffentechnisch unterlegen«, sagte er. »Sie haben automatische Waffen. Wie wär's wenn Sie in die Lore steigen? Dann sind Sie gut geschützt.«
»Was ist mit Ihnen?«
»Ich werde mich hinter den Wagen begeben. Das bietet mir Schutz und ich kann mich bei Bedarf bewegen.«
»Wie kommen wir hier wieder raus?«
»Wir warten, bis es dunkel ist. Das sind noch ein paar Stunden. Dann schleichen wir uns raus. Das Beste, was mir momentan einfällt.«
Selena kletterte in die Erzlore und spähte über den Rand. Nick beobachtete den Tunneleingang und dachte nach. Er hatte zweimal auf den ersten Mann geschossen. Einmal auf den großen Mann auf der Veranda und zweimal auf den zweiten Mann. Fünf Kugeln. In seiner H-K waren fünfzehn im Magazin und eine im Lauf. Das bedeutete also, es waren noch elf in seiner Pistole. Er besaß ein Ersatzmagazin, also weitere fünfzehn. Nicht sehr viel, aber bis jetzt war es genug gewesen. Es würde reichen müssen.
Kapitel 14
Der Klang von Lis Uzi hinter dem Haus und die zwei lauten Schüsse einer großen Pistole lockten Choy ans Ende der Veranda. Er war gerade um die Ecke gebogen, als ein weiterer Schuss Splitter aus der Wand neben seinem Gesicht riss.
»Chung, geh zur anderen Seite und sieh nach, ob du den Schützen entdecken kannst. Ich beschäftige ihn so lange.« Chung rannte los.
Choy streckte die Uzi um die Ecke und feuerte eine Salve in die grobe Richtung, aus welcher die Schüsse gekommen waren. Es kam keine Antwort zurück. Chungs Beretta erklang hinter dem Haus, gefolgt von zwei weiteren lauten Schüssen und einem Schrei. Choy schaute um die Ecke und erblickte einen Mann und eine Frau in vierzig bis fünfzig Metern Entfernung, die zum Fluss rannten. Chung und Li waren nirgends zu sehen. Er feuerte eine weitere Salve ab, aber die Uzi war auf diese Entfernung nutzlos. Er wechselte zu seiner Pistole und feuerte dreimal. Die beiden rennenden Figuren verschwanden hinter einem Hügel.
Choy lief zur Rückseite des Hauses und sah Chung im Gras liegen. Er hatte die Hände auf seinen blutigen Unterleib gedrückt.
»Chung. Wie schlimm?«
Chung schnappte nach Luft. »Schlimm. In den Bauch. Es sind zwei. Der Mann hat die Waffe.«
»Wo ist Li?«
»Weiß nicht.«
»Halte durch. Ich komme wieder.«
Choy rannte über das Feld und versuchte, in der Deckung des Hügels zu bleiben. Es gab keine Anzeichen von dem Mann oder der Frau. Er kam an Lis Körper vorbei, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag, und erreichte den Hügel. Er steckte ein frisches Magazin in die Uzi, duckte sich und bewegte sich durch das trockene Gras, bis er sehen konnte, wohin das Paar verschwunden war.
Ein Tunnel öffnete sich an der Seite des Hügels und davor waren zerbrochene Bretter am Boden verstreut. Sie mussten hineingegangen sein. Wenn er zur Öffnung des Tunnels ginge, würde er gegen das Licht als Silhouette sichtbar werden.
Choy reichte es für einen Tag. Er griff in seine Tasche und holte eine Granate heraus. Er zog den Ring ab und warf die Granate in die Tunnelöffnung.
Die Explosion begrub den Eingang in einem Erdrutsch aus roter Erde und Fels. Das hatte Choy nicht erwartet, aber es erfüllte seinen Zweck. Die beiden würden da drinnen keinen Ärger mehr machen.
Er lief zurück zu der Stelle, wo Noodles lag. Der war tot. Er ging zu Chung, der sich den Unterleib hielt. Dunkles Blut tränkte sein Hemd und quoll zwischen seinen Fingern hervor. Choy kniete sich neben ihn.
»In Ordnung, Chung. Wir werden dich wieder in Ordnung bringen.«
Dieser verdammte Amerikaner, dachte Choy. Jetzt haben wir Probleme. Und Chung sieht nicht besonders gut aus.
»Wasser«, sagte Chung.
»Kein Wasser. Ich werde dich zum Auto schaffen. Das wird wehtun.«
Er bückte sich und hob ihn hoch. Chung schrie vor Schmerz. Choy richtete sich auf und trug den stöhnenden Mann zum Wagen. Er legte ihn auf den Boden.
Choy ging zu der Stelle, wo Lis Körper im Gras lag. Er sammelte die Waffe auf, zerrte den Körper zurück zum Auto und verstaute dann den Toten und die Uzi im Kofferraum. Er blickte zu Chung. Es gab nicht viel, was er bei so einer Wunde tun konnte. Chungs einzige Hoffnung war ein Krankenhaus. Choy konnte es nicht riskieren. Er würde zum Konsulat zurückkehren müssen, aber er glaubte nicht, dass Chung so lange aushalten würde. Entweder das, oder er beendete es jetzt und packte ihn zu Li. Für einen Moment zog er diese Option in Erwägung. Er entschied sich aber, weiter darüber nachzudenken.
Er ging zurück zu der Stelle, wo Chung getroffen worden war, sammelte seine Waffen auf und brachte sie zum Auto, wo er sie zu Lis Körper in den Kofferraum legte. Dann ging er ins Haus. Eine geöffnete Weinflasche stand auf dem Küchentisch.
Choy hob die Flasche auf und nahm einen langen Zug daraus. Zu bitter im Vergleich zum süßen Pflaumenwein, den er mochte, aber besser als nichts. Er wischte sich über die Lippen und betrachtete den Haufen aus Plastikfetzen und Klebeband auf dem Tisch.
Irgendetwas war hier ausgepackt worden. Choy hatte ein ungutes Gefühl. Wenn das die Verpackung des Buches war, welches er beschaffen sollte, und es jetzt mit den Amerikanern begraben war, würde der Colonel sehr wütend sein.
Als er zurückdachte, wurde ihm klar, dass die Frau eine weiße Plastiktüte getragen hatte. Je mehr er darüber nachdachte, umso sicherer war er sich, dass das Buch in dem Tunnel mit zwei toten Amerikanern lag. Die ganze Mission hatte sich in ein Desaster verwandelt. Er nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
Das Ganze hatte eine Menge Lärm gemacht. Das Haus war zwar auf dem Land, und jeder wusste, Amerikaner auf dem Land schießen unentwegt auf irgendwas und daher würde sich niemand viel dabei denken, aber die Granate war wirklich laut gewesen.
Zeit, zu gehen.
Choy durchsuchte das Haus flüchtig, um Colonel Wu sagen zu können, er habe nach dem Buch gesehen. Er fand eine Handtasche auf der Couch, öffnete sie und schüttete sie aus. Er nahm die Brieftasche und schaute sich den Führerschein an. Die Connor-Frau. Wer war der Mann?
Choy nahm das Geld und den Führerschein aus der Brieftasche und warf sie auf die Couch. Er nahm einen letzten Schluck aus der Flasche, ging auf die Veranda und zu dem Truck, der vor dem Gebäude geparkt war. Er öffnete das Handschuhfach und durchwühlte es. Er fand einen Versicherungsschein mit einem Namen und einer kalifornischen Adresse. Choy steckte das Papier in seine Tasche.
Er ging zurück zu dem Mercedes und schaute auf Chung. Was war, wenn er unterwegs angehalten wurde? Wie würde er den Verletzten erklären?
»Wasser«, sagte Chung.
»Du wirst bald so viel Wasser bekommen, wie du magst, mein Freund«, sagte Choy leise. Er klopfte ihm vorsichtig auf den Arm. Dann nahm er seine Pistole und schoss Chung in den Kopf. Er öffnete den Kofferraum und hob Chung hinein zu Li. Es war gerade genug Platz für die beiden. Er schloss den Kofferraum und stieg ins Auto, stellte den Sitz ein und startete den Motor.
Er würde in ein paar Stunden zurück im Konsulat sein. Das würde ihm Zeit geben, um sich eine Geschichte für den Colonel zurechtzulegen. Zumindest waren der amerikanische Mann und die Frau erledigt. Der Gedanke zauberte ein befriedigtes Lächeln auf sein Gesicht. Choy begann unmelodisch zu summen, während