EQUALIZER. Michael Sloan

EQUALIZER - Michael  Sloan


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der Stromleitung und dem hängenden Helikopter am nächsten war. Sie hörte ihn sicher nicht kommen. Der Boden war weich und seine Stiefel verursachten kein Geräusch. Es sah die Blutspur, noch bevor er ihren Körper sah. Sie war auf der anderen Seite wieder herausgekrochen, konnte aber nicht aufstehen. Der zweite Schuss musste sie ebenfalls erwischt haben. Das war ein Glückstreffer, keine Präzision, doch das war in dem Moment egal. Es sah aus, als hätte er sie in die linke Hüfte getroffen. Hatte sie vermutlich zertrümmert. Sie versuchte, sich auf die Plattform am Ende des letzten Waggons zu ziehen, aber es waren keine Stufen auf dieser Seite und sie war zu weit über ihr. Sie hatte es geschafft, die stählerne Plattform zu greifen, und zog sich langsam, sehr langsam, hoch – Zentimeter um Zentimeter. Das war eine gute Strategie. Wenn sie im Inneren des Waggons war, dann hätte sie vielleicht mit einer Pistole eine Chance. Sie sah ihn möglicherweise im fragmentierten Mondlicht auf dem freien Platz zwischen dem abgestürzten Flugzeug und dem entgleisten Zug.

      Aber er war nicht aus der Richtung gekommen. Er war hinter ihr. Er hatte gehofft, dass sie vielleicht auf dem Rücken lag, ihn anstarrte, die Augen voller Hass, Schrecken oder Resignation. All das hatte er schon gesehen und es genossen. Aber im Moment hatte er keine Zeit für Privatvergnügen. Er wollte ihr von hinten in den Kopf schießen und hier fertig werden.

      Die erste Kugel zertrümmerte ein Waggonfenster nur zwei Zentimeter neben seinem Gesicht. Er ließ sich auf ein Knie fallen, schwang die Waffe nach oben, hielt das MARS-Zielfernrohr ans Auge. Die Gestalt hob sich gegen das Mondlicht ab, das Gewehr war auf ihn gerichtet. Er befand sich etwa 50 Meter hinter dem Zugwrack. Er richtete den roten Punkt auf die Stirn des Schützen und feuerte. Sein Kopf explodierte und er stürzte rückwärts. Die Verstärkung für die Agentin-im-Einsatz war angekommen.

      Er rannte zu seinem Wagen. Stimmen schrien. Entweder hatten sie einen Peilsender im Lada oder ihre Einsatzkontrolle wusste, wo das Back-up-Safehouse war. Das war eine Komplikation, die er nicht vorhergesehen hatte. Er hätte den tödlichen Schuss anbringen sollen, als sie von der Zugplattform gesprungen war.

      Aber er hatte sie leiden sehen wollen.

      Weitere Kugeln schlugen in den Schnee vor seinen Füßen. Er strauchelte. Vielleicht war er mit dem Fuß gegen einen Stein gestoßen, der im Schnee versteckt war. Fast wäre er gestürzt und spürte in dem Moment eine Kugel an seinem Ohr vorbeischießen, die ein kleines Stück davon wegfetzte. Er erreichte den Wolga GAZ-3102, riss die hintere Tür auf, warf das Präzisionsgewehr hinein, knallte sie zu, rutschte auf den Fahrersitz, ließ den Motor an und fuhr los. Auf dem iPhone hatte er vorher den Weg aus dem Katastrophenpark angesehen. Es war ein Labyrinth kleiner Straßen, von denen die meisten zu verlassenen Gebäuden und in Sackgassen führten. Aber diejenige, die durch das Labyrinth auf eine Hauptstraße führte, stand ihm deutlich vor Augen.

      Die Dunkelheit verschluckte ihn. Er traute sich nicht, die Scheinwerfer anzumachen. Als er nach unten sah, merkte er, dass sein linker Stiefel aufgerissen war. Dort hatte ihn eine Kugel erwischt. Die konnte er selbst entfernen, er brauchte keinen Arzt. Er war genauso geschickt wie sämtliche Doktoren, die er bisher getroffen hatte, sogar besser als die meisten dieser Quacksalber.

      Er überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis sie starb. Nicht viel länger als fünf Minuten. Sie konnte ihnen nichts sagen. Sie wusste nichts. Er war ein gesichtsloser Mann in der Dunkelheit mit einem Scharfschützengewehr. Aber er hatte ihr nicht den USB-Stick abgenommen. Berezovsky war sicher sauer. Die Mission war nicht erfolgreich gewesen. Er würde höchstens einen Bruchteil seiner üblichen Bezahlung bekommen. Das war der Lohn für Versagen. Es kam selten vor und in ihm gärte es. Aber zumindest war das Ziel ausgeschaltet.

      Das war für ihn das Wichtigste.

      Er bog zweimal schnell ab und hielt mit dem Wolga im Schatten einiger ausgebrannter Gebäude. Als er ausstieg, konnte er wegen des Schneefalls kaum etwas sehen. Der Wind peitschte die großen wirbelnden Flocken hin und her. Die AWC M91 ließ er auf dem Rücksitz. Sie würden keine Fingerabdrücke oder DNA daran finden. Er tippte eine Nummer auf seinem iPhone ein und drückte Senden.

      Der Helikopter musste in der Nähe gewesen sein, denn innerhalb von 20 Sekunden ging er auf dem schneebedeckten Feld zu seiner Rechten nieder. Er rannte – humpelte dabei auf dem verletzten Fuß – ins Feld. Der Abwind der Rotoren pulsierte über ihm. Wartende Hände zogen ihn in den KA-32A11BC-Helikopter. Es war eines der Hubschraubermodelle, das vom Katastrophenschutzministerium (MTschS) in Kasachstan verwendet worden war.

      Berezovsky hatte Einfluss.

      Er sah zu, wie der Boden unter ihnen verschwand. Als der Helikopter abdrehte, sah er den Katastrophenpark in der Ferne. Ein Mann stand auf der Stahlplattform neben dem Hubschrauber auf der Hochspannungsleitung. Er hielt etwas in der Hand – das Pelican-Hardcase. Das verriet ihnen nichts. Wenn sie das Geländer auf Fingerabdrücke absuchten, würden sie nichts finden, auch ohne Schnee.

      Er hatte keine Fingerabdrücke.

      Es stand eine Art Lieferwagen neben dem abgestürzten Flugzeug. Noch ein Auto dahinter. Zwei Agenten standen herum. Jemand rannte vom Rand der leeren Fläche im hinteren Teil des Parks auf die Zugwaggons zu. Eine weitere Person kniete hinter dem entgleisten Zug neben dem Körper des Opfers. Das war wohl der Agent, der die Einsatzkontrolle innehatte. Er war der wahre Versager heute Nacht. Der Mann hätte seinen Job nicht noch gründlicher versauen können. Er hatte Glück, dass seine Agentin der Company ihm etwas übergeben konnte.

      Aber er selbst hatte ebenfalls versagt. Er hätte den USB-Stick von ihrem kalten, erschlafften Körper bergen sollen.

      Jovan Durković fluchte erneut leise. Er schob die Tür des KA-32A11BC-Helikopters zu und dieser steuerte über die Wildnis und schließlich über die wie mit leuchtenden Juwelen besetzten Straßen in Richtung seines eigenen Safehouse.

      Kontrolle hatte Elena im Unkraut hinter dem Zugwaggon auf den Rücken gedreht. Ihr Blut hatte den Schnee leuchtend rot gefärbt. Er konnte sehen, wie schlimm ihre Beinwunde war. Die Kugel war in den Vastus-lateralis-Muskel eingedrungen und oben aus dem Adductor longus ausgetreten. Sie hatte auch den Kopf des Wadenbeines durchschlagen. Falls sie überlebte, war es zweifelhaft, ob sie jemals wieder laufen konnte. Er ergriff ihr schwarzes Cocktailkleid an den Hüften, zögerte. Elena sah zu ihm auf, ihr Atem ging flach, ihre Worte klangen krächzend: »Nicht der richtige Moment für falsche Scham.«

      Er schob ihr Kleid hoch über ihr schwarzes Höschen und es kam ein Loch in der Größe eines Golfballes in ihrer Seite zum Vorschein. Blut sprudelte rhythmisch pumpend daraus hervor. Er nahm das seidene Einstecktuch aus der Tasche und presste es fest auf die Wunde. Elena sah mit schmerzerfüllten Augen zu ihm auf.

      Es lag noch etwas anderes darin.

      Mitleid.

      »Ist nicht dein Fehler«, flüsterte sie.

      Mickey Kostmayer kam angerannt. »Sergei ist tot. Der Schütze ist in einem kleinen russischen Wagen abgehauen. Könnte ein Wolga sein. Ich habe ihn mit dem Bus verfolgt, aber er ist verschwunden. Da hinten ist ein Labyrinth aus kleinen Straßen. Ich habe es der Policija gemeldet. Habe selbst mit Anatoli Jakunin geredet. In zehn Minuten haben wir den gesamten Umkreis von der Polizei abgeriegelt.«

      »So lange bleibt der nicht in seinem Auto«, meinte Kontrolle. »Der wird vorher ausgeflogen.«

      Sie hatten den Helikopter über den Lärm des Sturms hinweg nicht gehört.

      Kostmayer ließ sich neben Elena auf ein Knie nieder. Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand in seine.

      »Hey. Erinnerst du dich an den Morgen in Serbien, als ich dich aus dem Hotel geholt habe? Du warst so sauer auf mich.«

      »Ich war sauer auf Robert McCall, nicht dich. Du hast ja nur Befehle befolgt.« Sie zeigte hinter sich. »In meiner schwarzen Tasche. Da drüben im Schnee.«

      Kostmayer sprang auf und rannte zu der Stelle, wo sie ihre Tasche hatte fallen lassen, hob sie auf und brachte sie zu ihr. Er hätte sie selbst öffnen können, aber er wusste, Kontrolle würde wollen, dass sie es tat. Kostmayer kniete sich wieder hin und gab ihr die juwelenbesetzte Tasche. Mit zitternden Händen öffnete Elena sie, wühlte darin herum und


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