EQUALIZER. Michael Sloan
Mittagessen war viel los. McCall stand hinter der Bar und mischte mit geschickten Händen Drinks, so schnell wie die Kellner ihre Bestellungen hinlegen konnten. Aber Bentleys Bar & Grill war eigentlich immer gut gefüllt. Sie hatte hohe Fenster auf den West Broadway hinaus, darüber stand in geschwungener goldener Schrift der Name Bentleys. Die Sitznischen waren aus dunkelrotem Leder mit schwarzem Rand und es gab jede Menge Tische. Tiffanylampen standen auf dem Tresen, das ganze Lokal wirkte warm und freundlich. Die meisten Gäste waren jung, aus dem Finanzdistrikt, viele Aktienmakler, Anwaltsassistenten, Anwälte, Banker und jede Menge Touristen. McCall wusste, dass Bentleys kein Schutzgeld bezahlte. Der Besitzer, Harvey, war ein enger Freund des Bürgermeisters von New York. Er war es nicht wert, dass man ihn um Geld erpresste. Kleine Geschäfte waren wichtig für die Nachbarschaft.
Die lange Bar aus Mahagoni verlief an der hinteren Wand entlang, Gläser hingen von Halterungen über dem Tresen, Flaschen standen in Nischen und in Vertiefungen neben den Spülbecken. Zwei Bartender arbeiteten. Einer von ihnen bediente die Gäste, die an der Bar saßen oder nicht darauf warten wollten, dass einer der Kellner für sie einen Tisch fand. Der andere mixte nur die Drinks, die von den Kellnern bestellt wurden. Im Moment war das McCall. Aber er machte eine Ausnahme für die blonde, kurvige junge Frau, die sich ihren Weg durch zwei besetzte Barhocker bahnte und ihn breit anlächelte. Den beiden Männern, die auf den Stühlen saßen, schien es nichts auszumachen. Tatsächlich kam es ihnen wohl eher so vor, als seien sie gestorben und in den Himmel gekommen.
McCall wusste, dass sie Karen Armstrong hieß, denn er hatte nach ihrem Ausweis fragen müssen, als sie vor Monaten das erste Mal direkt nach Thanksgiving mit ihren Freunden hierhergekommen war. Sie sah nicht ganz wie 21 aus, aber ihr Ausweis hatte ihm versichert, dass sie am 19. Februar im letzten Jahr 22 geworden war. Sie trug eine blaue Bluse, die so weit aufgeknöpft war, dass sie gerade genug Dekolleté zeigte, um nicht die Polizei auf den Plan zu rufen, dazu einen grauen Minirock und schwarze Schuhe mit niedrigen Absätzen. Er hätte ihr Parfüm nicht genau benennen können, aber es war etwas von Dior.
Elena Petrova hatte dasselbe Parfüm getragen.
»Ich kann meinen Kellner nicht finden, Bobby«, sagte sie entschuldigend.
Sein ganzes Leben hatte man ihn Robert genannt, niemals Bob und ganz bestimmt nicht Bobby. Aber hier lebte er ein anderes Leben mit einer neuen Identität. Soweit die Leute im Restaurant wussten, war sein Name Robert Maclain. Den Menschen im Viertel, die er mochte – Luigi, Moses, die asiatischen Ladenbesitzer – sagte er, sein wirklicher Name sei McCall. Aber auf seinen Kreditkarten, dem Ausweis, den er aktuell hatte, der Tankkarte von Shell und dem New Yorker Bibliotheksausweis stand Robert Maclain und jeder im Bentleys – Harvey und die anderen Barkeeper, die Kellner, die Gäste – nannte ihn Bobby.
Es war ein kleines Opfer.
»Was soll’s denn sein, Karen?«
»Screwdriver, Rusty Nail, zwei Greyhounds und ein Sex-on-the-Beach. Ich frage mich, wieso wir immer alle in Geheimcodes bestellen.«
Und sie lachte. Es war ein kehliges, sexy Lachen, in dem unterschwellig echter Sex on the Beach mitschwang.
»Das hält die Bartender fit«, er machte sich daran, die verschiedenen Drinks zu mixen.
»Wo hast du vor dem Bentleys gearbeitet?«, fragte sie.
»In der Innenstadt. Davor war ich in Boston.« Der erste Teil war eine Lüge und der zweite Teil stimmte. »Ich hab dort einige Zeit in einem Baumarkt gearbeitet.«
»Ist nicht dein Ernst! Regale auffüllen und Farbe verkaufen?«
»Klar.«
Er hatte ihre zwei Greyhounds und einen Screwdriver schon auf ein Tablett gestellt. Er schnappte sich verschiedene Flaschen, benutzte ein Cocktailmaß und füllte die Longdrinkgläser, um an dem Rusty Nail und Sex-on-the-Beach zu arbeiten.
»Du hast irgendwas«, sagte sie. »Du warst doch nicht dein ganzes Leben Barkeeper oder bei Home Depot. Was hast du vorher gemacht?«
»Ich war Spion. Für eine im Dunkeln arbeitende Geheimorganisation. Eine von der Art, die nicht autorisierte, verdeckte Operationen durchführt, bei denen das Justizministerium sämtliche Kenntnis abstreitet.«
Wieder ihr heiseres Lachen. Er liebte dieses Lachen!
»Richtig, und wenn du beschlossen hast, den Job nicht zu machen, dann hat sich die kleine Diktiergerät-Kassette aus dem Paket, das du in einer verlassenen Telefonzelle abgeholt hast, selbst zerstört. Für mich siehst du eher wie ein professioneller Billardspieler aus. Wie Paul Newman in diesem einen Film. Der in Kleinstädten im Mittleren Westen mit ein paar kleinen Betrügereien Geld verdient, sich prügelt, in Zügen schwarz mitfährt und Frauen die Herzen bricht.«
»Das kommt ungefähr hin. Hier, bitte sehr.«
Er stellte die letzten beiden Drinks auf ein Tablett und gab es ihr.
»Mit Karte?«
»Ja, bitte.«
Er nahm ihre Kreditkarte, steckte sie in einen von mehreren Kreditkartenlesern, die neben der Kasse standen. Sie nahm das Tablett von der Theke und ging damit bedächtig zwischen den Tischen hindurch auf eine Sitznische an einem der Fenster zu. Sie hatte vier Kolleginnen dabei, alles junge Frauen, die auf sie warteten. McCall hatte sie alle schon mal gesehen. Er nannte sie die »Karen-Mafia«. Sie wirkten feurig und lebhaft. Er beneidete sie.
Und wieder einmal vermisste er etwas, das er vor neun Monaten noch nicht vermisst hätte.
Kapitel 7
Ein Gast an der Bar, den McCall noch nie zuvor gesehen hatte, grinste ihn an. Er nippte an einem Corona und arbeitete sich gerade durch einen Hamburger mit Pilzen, Röstzwiebeln, Knoblauch (eine Spezialität des Hauses) und Pommes. Er war vermutlich Ende 20, ein wenig übergewichtig, wie ein Athlet, der nicht mehr joggte oder so oft, wie er sollte, ins Fitnessstudio ging. Er hatte ein rundes Gesicht, braune Augen, und eine Wolke Cerruti-Image-Aftershave umgab ihn, stark genug, um die Klofrau auszuknocken. Er sah aus wie der Typ in der Handywerbung, dessen Handy entweder nicht schnell genug war oder keinen Empfang hatte.
»Die ist in Sie verknallt!«
McCall lächelte. »Ich mixe ihre Drinks so, wie sie sie gerne hat.«
»Nein, ehrlich! Und sie ist heiß, Mann. Nur, weil Sie älter sind? Wen kümmert’s? Machen Sie sich an sie ran.« Als McCall nicht reagierte, streckte er die Hand aus. »Chase Granger.«
McCall schüttelte sie. »Bobby Maclain.«
»Tolle Kneipe! Erinnert mich an das alte Maxwell Plum, erinnern Sie sich? Das war an der 64., Ecke First Street.«
»Da können Sie doch erst drei oder so gewesen sein, als das 1988 zugemacht hat.«
»Ja, aber mein Dad ist immer dahin gegangen. Er hat mir davon erzählt. Der hat in Immobilien gemacht. Ich hab ihn vor zehn Jahren verloren. Bin in derselben Branche. Letzten Monat ins Büro am Broadway versetzt worden. Ist es immer so voll hier?«
»Jeden Tag, zum Lunch und Dinner.«
Eine der Kellnerinnen, Gina, eine spröde brünette Schauspielerin mit ausdrucksstarken Augen und einem großen Herzen, wartete an der Bar. Ihr Tablett war vollgestapelt mit dreckigen Tellern und Gläsern. Sie wedelte mit einer Rechnung herum, als wäre es eine weiße Flagge.
»Ich muss noch die Bestellung aufnehmen«, sagte McCall.
»Ach ja, der Burger ist übrigens super. Die Pommes sind salzig, so wie ich sie mag.«
»Genießen Sie Ihr Lunch.«
McCall ging zu Gina. Ihre Bestellung waren zwei Gläser Mondavi Chardonnay. Sie gab McCall das Tablett.
»Danke, Bobby. Ich komme wieder.«
Sie sagte es wie Arnold in Terminator und rauschte davon. McCall stellte die Teller in eine Spüle, die Gläser in eine andere und verschob