EQUALIZER. Michael Sloan

EQUALIZER - Michael  Sloan


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Nichts führten. Die vor ihm führten ebenso ins Nirgendwo, und alles war blaugrau, abgesehen von dem rostfarbenen Stuhl. Der Mann im Stuhl sah ein wenig wie Borislav Kirov aus, hatte dieselbe Frisur und Brille, auch wenn sie zweifelte, dass er für das Bild Modell gesessen hatte. Das verstörte sie auch, dass die Ähnlichkeit zu ihrem Boss so groß war. Es war, als könnte man ihm nicht entkommen. Wenn man wegrannte, säße er einfach in diesem rostfarbenen Stuhl und wartete darauf, dass man zu ihm zurückgebracht wurde.

      Einige der Tänzerinnen hatten sich bereits eingefunden, aber sie trugen noch nicht ihre Dolls-Kostüme. Sie waren alle Anfang 20, die meisten von ihnen aus Tschetschenien, sechs aus Grosny, zwei aus Chervlennaya, eine aus Kirovauya. Es gab noch zwei weitere aus Usbekistan und eine aus Kasachstan. Keine aus Russland. Sie waren alle begierig darauf gewesen, ihr Heimatland zu verlassen. Man hatte ihnen die Reise ihrer Träume angeboten, in die Vereinigten Staaten zu fliegen, nach New York City, und Tänzerinnen in einem Nobelnachtklub zu werden. Kein Geschäftsmann oder Politiker, der alleine ins Dolls kam, musste einsam herumsitzen und sich die Paare auf der Tanzfläche ansehen. Es gab zwölf wunderschöne Tänzerinnen, die bereit waren, mit ihm zu tanzen. Es kostete allerdings Geld. Sie waren alle anmutige, gute Tänzerinnen und aufgeweckt. Es hatte eine tolle Eröffnungsfeier gegeben, mit jeder Menge Broadwayschauspielern und Filmstars, Sportlern, Politikern und sogar einem saudischen Prinzen. Erst als die Mädchen schon ein paar Wochen den Job gemacht hatten, wurde ihnen klar, was von manchen erwartet wurde. Es gab ein halbes Dutzend kleiner Zimmer im ersten Stock des Klubs. Katia wusste, was darin passierte. Einige der Mädchen waren ganz scharf drauf – es bedeutete eine Menge mehr Geld. Manche mussten abarbeiten, was ihr Flug und die Anstellung gekostet hatten. Ein paar hatten Nein gesagt.

      Sie waren nicht mehr in dem Klub.

      Der elegante Mann hatte sich schon zu ihr gesellt, bevor sie die Bar erreichte. Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug, eine rot-goldene Krawatte und ein Einstecktuch in der Brusttasche des Jacketts. Sie wusste, dass er immer eine Waffe in einem Schulterholster unter der Anzugjacke trug, aber man konnte nichts davon sehen. Abuse hatte ihr im Flüsterton gesagt, die Waffe sei eine Taurus 740 G2 Slim, die sich besonders gut verstecken ließ. Er hatte sie schon mal auf dem Schreibtisch im Büro des eleganten Mannes gesehen und es im Internet recherchiert. Es machte sie nervös, dass die Waffe nur einen Griff entfernt war. Nicht dass sie etwa Angst hatte, er würde sie gegen sie einsetzen. Sie wollten sie nicht tot sehen. Sie war zu wertvoll für sie.

      Er packte ihren nackten Arm. Sie trug die silberne Uniform, die alle Cocktailkellnerinnen im Dolls trugen. Die Seidenbluse war kurzärmlig und so weit ausgeschnitten, dass es schwierig war, einen BH zu tragen, denn Kirov wollte nicht, dass man ihn sah. Die meisten der Mädchen machten sich nicht die Mühe, einen zu tragen. Katia tat es, aber er war sehr knapp und es störte sie, dass man ihre Brüste fast bis zu den Nippeln sehen konnte. Die Cocktailkellnerinnen trugen alle maßgeschneiderte, sehr schicke Seidenhosen. Außerdem silberne Pumps mit zehn Zentimeter hohen Absätzen. Sie hatte Wochen gebraucht, sich daran zu gewöhnen.

      Sie blieb stehen und sah ihn schließlich an.

      Sein Name war Bakar Daudov. Über ihn wurde im Nachtklub getuschelt, sogar noch mehr als über Borislav Kirov, den Boss. Daudov war ein Killer, da war sie sicher. Sie hatte oft genug in diese starken, leeren Gesichter mit den toten Augen gesehen, um einen zu erkennen. Daudovs Augen waren blassblau, was ihn für sie noch bedrohlicher wirken ließ.

      Wie ein Engel des Todes.

      Er erhob nie die Stimme. Sein tschetschenischer Akzent war ausgeprägt für jemanden, der seit zehn Jahren in New York City gelebt hatte.

      »Wir müssen reden, Katia.«

      Er wartete nicht auf eine Antwort. Stattdessen ging er mit ihr im Schlepptau an einen leeren Tisch neben der Tanzfläche und ließ sie Platz nehmen. Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber, griff nach ihrer Hand. Sie hatte keine Wahl, als sie ihm zu reichen. Seine Hände waren glatt, als würde er Talkumpuder benutzen. Er lächelte, aber es war das lippenlose Lächeln einer Kobra.

      »Du genießt deine Zeit hier in New York.«

      Eine Feststellung, keine Frage.

      »Ich liebe es hier.«

      »Du bringst eine gewisse Energie mit in den Klub. Geschmack. Tollen Stil. Aber eine Cocktailkellnerin zu sein ist unter deiner Würde. Wir wollen dich zu einer Tänzerin befördern.«

      »Ich tanze nicht gut.«

      »Du bewegst dich wie ein Engel. Wir erteilen dir Unterricht. Es wird auch Proben geben. Du bist ein Naturtalent.«

      »Ich weiß, was in den Zimmern im ersten Stock passiert«, zischte sie fast. »Ich bin keine Hure.«

      »Du bist das, was wir dir sagen«, erwiderte er. Er war schwer zu verstehen, da Abuse gerade ein Lied von Lady Gaga spielte, in dem es hieß, »you were born this way«. Die Musik plärrte kurz durch den leeren Klub, während der DJ versuchte, den richtigen Soundpegel zu finden. »Du wirst immer die volle Kontrolle über jede Situation haben. Wir sind hier, um dich zu beschützen.«

      »Wieso bittest du mich darum? Du weißt, dass das gefährlich ist.«

      Einen Moment sagte niemand etwas. Daudov hatte hängende Lider und nun verengten sich seine Augen noch mehr, wie die einer Schlange. »Du wurdest von einem Gast angefordert. Einem ganz besonderen Gast.«

      »Weiß Mr. Kirov, dass du mir drohst?«

      »Mr. Kirov weiß über alles Bescheid, was in seinem Nachtklub passiert. Ich bitte dich nur, darüber nachzudenken, Katia. Die Gehaltserhöhung wäre beträchtlich. Wir reden hier nicht über den Abschaum, der am Times Square in einen Stripklub stolpert. Das sind wichtige, einflussreiche Leute. Gute Menschen. Die ein Bedürfnis verspüren.«

      »Und wenn ich mich weigere?«

      »Wie geht es Natalya? Du hast sie seit ein paar Wochen nicht mehr in den Klub mitgebracht. Wir vermissen sie.«

      Die Drohung war unverhüllt. Katia zog ihre Hand aus Daudovs sanftem Griff. Er hatte lockergelassen. Wenn er ihre Hand auf den Tisch gedrückt hätte, wäre es ihr nie gelungen, sich zu befreien. Sie stand auf und ging. Sie konnte den Blick seiner blassen Augen spüren. Es lief ihr kalt den Rücken hinab.

      Sie hatte große Angst vor ihm.

      Aber noch mehr Angst hatte sie um ihre Tochter.

      Es regnete heftig. Die Art Regen, die Leute von einem Türeingang zum nächsten rennen lässt, um sich unterzustellen, damit sie nicht in fünf Sekunden bis auf die Haut durchnässt sind. McCall stand unbewegt auf dem Schulhof im strömenden Regen und Wind und betrachtete die hintere Ziegelmauer des Gebäudes. Sie war mit Graffiti in allen möglichen Farben übersät. Mosaike, die aussahen wie von Escher gemalt. Eine surreale Bilderfolge, die nirgendwohin führte, unterbrochen von kurzen, heftigen Hassbotschaften. Er fragte sich, ob manches davon schon an der Wand zu lesen war, als er mit 14 auf genau diesem Schulhof gestanden war und darauf gewartet hatte, dass sie über ihn herfielen. Am Fuße der Ziegelmauer krabbelte eine durchaus kunstvoll gemalte Schildkröte entlang. Er glaubte, sich an die Schildkröte zu erinnern. Ihr Panzer war ihm so fragil vorgekommen. Als ob ein kräftiger Hieb mit dem Hammer sie zerstören konnte. Daran hatte er gedacht, als der erste der Sporttypen ihm von hinten eine verpasst hatte.

      Er hatte einen kleinen Streber aus Ungarn namens Andras – sie nannten ihn in der Schule Andy – davor bewahrt, von einigen der Jungs aus dem Highschool-Footballteam verdroschen zu werden. Ihm klar war gewesen, dass es nicht lange dauern würde, bis sie sich über ihn hermachen würden. Sie sollten ihn alleine auf dem Schulhof antreffen, dafür hatte er gesorgt. Verletzlich, ein leichtes Ziel. Er wollte nicht über die Schulter schauen müssen, wenn er von der Schule nach Hause ging. Mit 14 hatte er noch keine Ausbildung in Kampfsportarten, abgesehen von ein paar Karatestunden. Das hatte ihn ein wenig dringend notwendige Disziplin gelehrt, aber nach drei Monaten war er nicht mehr zum Training gegangen. Die Arbeit in der Gruppe hatte ihm nicht gefallen. Er hatte lernen wollen, wie man sich im Zweikampf verteidigt, aber sein Sensei meinte, er sei noch nicht so weit. Und würde es auch noch ein paar Jahre lang nicht sein. Also


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