EQUALIZER. Michael Sloan

EQUALIZER - Michael  Sloan


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ist hier«, sagte sie mit dem tollen britischen Akzent, den Kontrolle so liebte.

      »Schick ihn rein«, meinte Kontrolle.

      Sie blieb in der Tür stehen. »Du solltest dir nicht so viele Vorwürfe machen für das, was in Moskau passiert ist. Elena würde das gar nicht gefallen.« Kontrolle sah zu ihr auf. »Wenn du mal darüber reden willst: Briten sind gute Zuhörer. Außer, wenn man mit uns über diese ganze no-taxation-without-representation-Geschichte redet. Wie gefällt dir denn so das Leben ohne Steuern?« Kontrolle konnte nicht anders, als zu lächeln. »Und falls du mal eine Schulter zum Ausweinen brauchst, meine ist gut gepolstert.«

      Kontrolle sah unwillkürlich auf ihre rechte Brust und Schulter und bemerkte das verschmitzte Grinsen, das stets ihre Lippen zu umspielen schien. »Schick Mr. Kostmayer rein.«

      Emma verschwand. Kostmayer kam in den abgedunkelten Raum und schloss die Tür hinter sich.

      »Sieh dir das mal an«, sagte Kontrolle.

      Kostmayer kam um den Schreibtisch herum, stützte sich darauf und sah Kontrolle über die Schulter. Auf dem Computerbildschirm war das zu sehen, was sie auf dem USB-Stick gefunden hatten, den Elena von Alexei Berezovsky geklaut hatte. Es war ein Diagramm von langen, sich windenden Schlangen, die sich an manchen Stellen überschnitten, wobei mehrere hervorgehoben waren. Unten war ein Rechteck und oben ein Quadrat. Einige der Tunnel – wenn es welche sein sollten – waren blau eingefärbt. Das war alles. Keine Zahlen, keine Buchstaben, keine verschlüsselten Botschaften.

      »Es sieht aus wie eine Reihe unterirdischer Tunnel«, sagte Kostmayer.

      »Das könnte überall sein. Sehen wir uns ein Diagramm von Tunneln in einer Stadt in den USA an oder von einer in Europa? In Nahost? Irgendwo in China? Und was für Tunnel? Unterirdische Durchgänge? Das wissen wir nicht. Das könnte auch ein Labyrinth in einem Maisfeld sein. Es könnten Gänge in einem großen Lagerhaus sein. Es gibt eine Route durch das Labyrinth, die von einem Rechteck zu einem Quadrat führt. Punkt A zu Punkt B. Ich muss wissen, was bei Punkt A und was bei Punkt B ist.«

      »Sonst war gar nichts auf dem USB-Stick?«

      »Die Computertechniker untersuchen ihn, aber bisher ist das alles, was wir haben.« Kontrolle lehnte sich zurück und brachte ein wenig Abstand zwischen sich und den blass leuchtenden Bildschirm mit den sich kreuzenden Linien. »Nicht gerade viel im Tausch gegen Elenas Leben, oder?«

      »Sie kannte das Risiko.«

      »Ich war ihr Kontrolloffizier im Einsatz. Ich habe das persönlich übernommen, weil ich an sie geglaubt habe. Ich wollte mir außerdem selbst etwas beweisen. Dass ich es immer noch drauf hatte, einen Agenten im Einsatz anzuleiten und nicht nur von hinter einem Schreibtisch. Ich hab’s versaut. Ich hab das Risiko nicht richtig eingeschätzt.«

      »Manchmal hat man einfach keine Chance, egal wie gut man vorbereitet ist.«

      »Dann muss man die Chancen verbessern.«

      »Bezerovsky war uns einen Schritt voraus.«

      »Es war mehr als das. Es war ein Test. Er hat seinem neuen Killer einen schnellen Auftrag zuschanzen wollen. Vermutlich hatte er nicht mehr als 20 Minuten für die Entscheidung gehabt, den Einsatzbefehl zu geben. Der Killer hat den USB-Stick nicht geborgen. Das war der Hauptpreis, auch wenn Berezovsky wusste, dass nichts darauf war, was irgendwem außer ihm selbst etwas gesagt hätte. Aber der Killer hat Berezovskys Test bestanden. Das Ziel wurde eliminiert.«

      »Nicht sauber.«

      »Nein. Wieso hat der Killer nicht den entscheidenden Schuss angebracht? Elena hätte uns Sachen sagen können, die seinen Boss in Schwierigkeiten bringen. Wieso hat er sie nur verwundet?«

      Kostmayer zählte die Gründe an seinen Fingern ab. »Wind. Wenig Sicht bei dem Sturm. Er hat uns kommen hören und den Schuss übereilt.«

      »Nicht, wenn er ein Profi ist. Da ist noch was anderes. Was Persönliches. Haben wir irgendwelche Infos über den Kerl?«

      »Vermutlich ein Codename. Diablo. Die Station in Bosnien hat ihn erwähnt.«

      »Mir sagt der Name nichts.«

      »Er sagt niemandem was. Wir durchsuchen gerade die Datenbanken von Interpol. Vielleicht ist es gar nicht derselbe Typ. Aber wenn er Berezovskys Test bestanden hat, was passiert dann als Nächstes?«

      »Ein Anschlag. Das ist Berezovskys Geschäft.«

      »Haben wir eine Ahnung, auf wen?«

      »Einen Politiker auf oberster Ebene. Vielleicht der Präsident oder jemand aus dem Kabinett. Könnte einer unserer Botschafter sein. Unsere Aufklärungsdaten sagen, dass es ein amerikanisches Ziel ist. Und bei Berezovsky bekommt man alles, wie in einem Supermarkt. Wenn man eine Terroristenzelle führt oder einen Coup im eigenen Land plant oder man der CEO einer großen Firma ist, der die Konkurrenz loswerden will, dann liefert Berezovsky das Scharfschützengewehr oder die Bombenbauteile, er heuert den Attentäter an oder die Selbstmordbomber. Die Mission wird plangemäß erfüllt und er stopft alle Löcher.«

      »Haben wir einen Zeitrahmen?«

      »Noch nicht.«

      »Zu dumm, dass wir McCall nicht haben. Er und Berezovsky sind sich schon mal über den Weg gelaufen.«

      »Ich will McCall zurück.«

      »Der bleibt lieber untergetaucht.«

      Kontrolle stand auf und trat an das dunkle Fenster. Der Mond schien nicht. Er sah hinaus in den Regen, der über den glitzernden Highway und die Zubringerstraße fegte. Die Zweige der Bäume waren schwarze Silhouetten, die sich im Wind beugten.

      »Meine Tochter Lindsay wird im Juni 24. Sie ist nur vier Jahre jünger als Elena. Lindsay arbeitet für die französische Botschaft hier in D. C. Soweit alle wissen, arbeitet ihr alter Herr in irgendeiner bürokratischen Behörde auf niedriger Regierungsebene, spielt oft Golf und trinkt 40 Jahre alten Strathisla Single-Malt-Whisky im Capitol Grill. Aber was, wenn da draußen irgendwelche Informationen im Umlauf sind, die sie mit einem hochrangigen Spion in Verbindung bringen? Wie soll ich da noch nachts schlafen, wenn ich ihr Leben in Gefahr gebracht hätte?«

      »McCall ist schon seit Jahren von seiner Familie entfremdet. Niemand weiß, dass es sie überhaupt gibt.«

      Kontrolle nahm sein iPhone raus, tippte auf ein paar Buttons und warf es Kostmayer hin. Auf dem LED-Display sah man das Foto eines Mannes, der mit einer attraktiven Blondine Mitte 40 im 21 Club saß. Der Mann hatte der Kamera den Rücken zugewandt.

      »Das wurde heute Abend mit einem Smartphone im 21 Club in New York City aufgenommen. Man kann das Gesicht des Mannes aus diesem Winkel nicht sehen. Die Frau, mit der er zusammensitzt, ist eine stellvertretende Bezirksstaatsanwältin namens Cassandra Blake. Sie ist McCalls Ex-Frau.«

      »Also trinkt sie ein paar Cocktails mit ihrem neuen Mann.«

      »Ihr Mann ist ein Strafverteidiger namens Tom Blake, der gerade einen Mafiainformanten in Philadelphia verhört. Er kommt nur am Wochenende heim.«

      »Okay, es ist ein Kollege von der Arbeit.«

      »Oder es ist Robert McCall.«

      »Der sich nach dem sehnt, was er vor all den Jahren verloren hat? Das scheint mir nicht typisch für McCall.«

      »Du weißt nicht, was er tun oder nicht tun würde. Glaubst du, du hättest McCall gut gekannt? Überdenk das noch mal. Niemand hat ihn gekannt. Ich will, dass du morgen früh nach New York fliegst. Wenn er sich bei Leuten von früher meldet, dann will ich nicht, dass er das mit Elena Petrova von jemand anderem erfährt. Du hast ihr dein Wort gegeben.«

      »Er hat mit diesem Leben nichts mehr zu tun.«

      Kontrolle wandte sich vom Fenster ab. »Dem entkommt man nicht so leicht. Die Vergangenheit ist nie einfach vorbei. Sie wirkt auf die Gegenwart. Sie wird Teil deiner Zukunft.«

      »Also findet er es heraus. Von mir oder von jemand anderem. Er kann deswegen


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