EQUALIZER. Michael Sloan

EQUALIZER - Michael  Sloan


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Reflexion sah er Chase Granger. Er schlang seinen Burger herunter, mampfte genießerisch seine Pommes und sein Blick wanderte kein einziges Mal in McCalls Richtung.

      Doch dann schlug McCalls Radar bei jemand anderem Alarm.

      Der große Afroamerikaner saß in einer Ecknische auf der Seite mit dem langen Bartresen. Sein Name war Jeremiah Thomas Malgerman, aber alle nannten ihn »J. T.«, solange er zurückdenken konnte. Der Einzige, der darauf bestanden hatte, ihn »Jeremiah« zu nennen, war sein alter Herr gewesen, bevor er ihm mit einer Schrotflintenladung an einem Weihnachtsabend das Gesicht weggepustet hatte. Es war ein Unfall gewesen, aber wenn man genauer darüber nachdachte … vielleicht auch nicht? J. T. war sich da nie so ganz sicher. Der alte Bastard war mit dem Gürtel auf ihn losgegangen. Die Schrotflinte war in der Küche gegen die Türklinke gelehnt gewesen. Sein Vater hatte sie selbst hereingebracht, und er entlud die Schrotflinte immer, wenn er sie von draußen mit reinbrachte. Eine Lektion, die er seinem Sohn stets eingehämmert hatte. Aber in dieser Nacht hatte er sie nicht entladen. Er war ziemlich betrunken gewesen, und er war fies, wenn er betrunken war. J. T. hatte sich die Schrotflinte geschnappt, sie auf ihn gerichtet und den Abzug gezogen, denn er dachte, es konnte ja nichts passieren, außer, dass er ihn ein wenig erschreckte. Vielleicht machte er sich in die Hosen. Aber eine Sekunde später hatte er seinem Vater das Gesicht weggeblasen.

      J. T. saß in der Ecke in der letzten Nische, damit er dem Barkeeper nicht ins Auge fiel. Von seinem Sitzplatz aus konnte er hin und wieder einen Blick auf den Mann erhaschen, aber oft wurde er von den Kellnerinnen verdeckt, die kamen und gingen. Und der Mann hatte meistens dieser Seite des Restaurants den Rücken zugewandt, während er mit den Gästen an der Bar redete. Er hatte ihn nur kurz gesehen, als er reingekommen war, aber das hatte genügt. Er war sich sicher. Dieses Gesicht würde er nicht vergessen, auch wenn es nicht besonders einprägsam war. Tatsächlich hatte er es nur einmal gesehen, als er selbst Schmerzen gelitten hatte, bevor das Arschloch einen Schritt um ihn herumgemacht, die Schlampe am Arm genommen und ihren Arsch aus der Gasse gezerrt hatte.

      Er hatte immer noch die Armreifen an, aber die meisten der Ringe abgenommen. Beinahe unbewusst berührte J. T. die Schienen an vier seiner Finger, zwei an einer Hand und zwei an der anderen. Sie waren an der Stelle fixiert, wo man die Knochen gerichtet hatte. Er kam sich unbeholfen und wie ein verdammter Krüppel vor. Es war schwierig, damit zu essen. Zehn Minuten brauchte er, seinen Schwanz rauszuholen, um zu pinkeln. Den Schmerz hatte er mit Tylenol unter Kontrolle, aber da war Codein drin und er musste vorsichtig sein, denn das war ein Betäubungsmittel und er hatte in seiner Jugend Paracetamol missbraucht. Aber das Koffein machte ihn wach, und obwohl er nur zwei Pillen alle sechs Stunden nehmen sollte, schluckte er tatsächlich vier. Wie schlimm konnten schon die Nebenwirkungen sein? Er hatte Freunde, die Oxycontin einwarfen, als wären es Hustenbonbons.

      J. T. war gerne klar im Kopf. Das bewahrte ihm seinen Fokus und die Kontrolle. Sein Angreifer hatte ihm diese Kontrolle genommen. Der würde noch erfahren, was Schmerzen waren, aber J. T. musste vorsichtig sein. Der Typ war schnell. Klar, er hatte ihm unvorbereitet eine verpasst. J. T. war nicht auf den Angriff gefasst gewesen. Verdammt, er hatte das Arschloch in der Gasse nicht einmal gesehen, bevor er ihn an den Handgelenken gepackt hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit, sein Zorn, waren auf diese Schlampe Lucy gerichtet gewesen. Der Nutte hatte er eine Lektion erteilt, die sie nicht vergessen würde. Sie hatte ihm an dem Tag hundert Dollar weniger eingebracht als üblich. Er hatte ihre Klamotten durchsucht und ihre Tasche, es aber nicht gefunden. Er wusste verdammt gut, wo es war. Sie hatte es sich in den Arsch gesteckt und gedacht, sie käme damit durch, ihn zu beklauen. Niemand klaute auch nur einen Cent von J. T. und kam damit davon.

      Und niemand demütigte ihn ungestraft.

      Aber er würde denselben Fehler kein zweites Mal machen. Der Barkeeper sah wenig beeindruckend aus, aber die Situation musste stimmen. Irgendwo, wo keine Cops an der nächsten Ecke standen, die sich einmischen konnten. An einer Stelle, wo sich der Typ sicher und behaglich fühlte. Und J. T. würde nicht alleine sein. Normalerweise war er nie alleine. Er hatte eine Menge Freunde und die waren angepisst über das, was ihm passiert war. Zwei hatte er für diese kleine Sache schon eingespannt. Ein Bruder – Big Gertie nannten sie ihn, denn sein Nachname war Gertrain – hatte gedacht, die Beschreibung des Typs passe auf einen der Barkeeper im Bentleys. Das wäre natürlich noch erniedrigender, sich die Scheiße aus dem Leib prügeln zu lassen von einer Schwuchtel von Barkeeper in einem Weiberladen wie dem Bentleys. Also hatte er erst einmal selbst nachsehen wollen. Und tatsächlich, da war der Typ, mixte Drinks, glotzte die blonde Schlampe mit den dicken Titten und dem Dauergrinsen an und laberte Müll mit den Gästen an der Bar. Alles cool.

      Nur dass J. T. ihn gefunden hatte.

      Er schlüpfte aus der Sitznische und war darauf bedacht, sich von der Bar wegzudrehen. Er wollte nicht, dass Bobby Maclain einen Blick rüber warf und ihn sah. Aber der Barkeeper stand in die andere Richtung und redete mit irgendeinem Typen an der Bar, der aussah wie ein Aktienhändler, Anwalt oder einer von diesen Arschlöchern, die einem die Eier lutschen würden, während sie einem gleichzeitig die Kohle aus der Nase zogen. J. T. war nur ein Kunde in dem brechend vollen Laden, der zum Seiteneingang ging.

      J. T. schob sich durch die Tür ins helle Sonnenlicht. Er schirmte die Augen mit der Hand ab. Draußen auf dem West Broadway nahm er vorsichtig sein iPhone raus, er wollte es nicht zum hundertsten Mal runterfallen lassen. Er hielt das Telefon in der Handfläche, während er mit dem Zeigefinger der rechten Hand darauf herumtippte. Er wartete auf die Antwort am anderen Ende.

      »Ja, das ist der Typ«, sagte J. T.

      Katia Rossovkaya hatte es geschafft, ihm seit drei Nächten auszuweichen.

      Sie ging durch den Nachtklub, der langsam zum Leben erwachte. Der Hauptschmuck des Ladens war eine Reihe von Matroschkas, die zuerst groß waren und dann immer kleiner wurden, alle in Silber mit hübschen gemalten Gesichtern. Über den Puppen war ein Logo in silberner Schrift: DOLLS. Sie wusste nicht mehr, wie viele Dolls-Nachtklubs es weltweit gab. Mindestens ein Dutzend, da war sie sicher, und fünf davon in den Vereinigten Staaten. Die silberne Kaleidoskopkugel, die normalerweise über der großen Tanzfläche hing, war abgenommen worden. Ein paar Handwerker machten sich daran zu schaffen. Bei einer der farbigen Lampen funktionierte das Stroboskoplicht nicht mehr.

      Kuzbec und Salam, zwei junge Tschetschenen, die im Klub arbeiteten, stellten die Tische auf. Ein anderer seelenloser Emigrant aus Tschetschenien, Rachid, stand hinter der silbernen Bar und richtete alles her. Katia wusste, das waren »Enforcer«, nicht dass jemand im Klub das auch nur geflüstert hätte. Sie hatte keine genaue Vorstellung, was ihre Aufgabe war, aber sie wusste, dass unschuldige Menschen deswegen leiden mussten. Der DJ des Hauses, ein muskulöser junger Mann, bereitete alles für die heutige Abendunterhaltung vor. Sein Name war Abusaid, aber jeder nannte ihn »Abuse«. Er spielte seine Musik auf einem Pegel, der den meisten fast die Trommelfelle zerfetzte.

      Alles leuchtete silbern. Die Tische und Stühle waren silbern, ebenso die Ränder der Tanzfläche und dann gab es natürlich auch noch die silberne Bar in einer Ecke. An den Wänden hingen riesige Drucke von Bildern des tschetschenischen Malers Rustam Sardalov. Das Einzige, was Katia gefiel, war eine Nahansicht des Gesichts einer jungen Frau, bemalt mit grüner und ein wenig roter Farbe, als würde ihr Gesicht schmelzen, während darunter die fast durchsichtige Gestalt eines glatzköpfigen älteren Mannes mit Hakennase zu sehen war. Sie liebte das Gesicht des Mädchens, aber die schemenhafte, groteske Figur darin war beängstigend. Es gab eine Reproduktion eines Sardalov-Gemäldes über der silbernen Bar, das einen knorrigen Baum darstellte mit klauenartigen Ästen, die er in einen geschmolzenen Himmel streckte, und ein Tisch wuchs aus dem Stamm. Das Bild hinter der Tanzfläche fand sie besonders verstörend: Im Hintergrund der Himmel, davor ein Mann in einem schwarzen Mantel, mit weißem Hemd und einem blau-weißen Schlips auf der einen Seite, dem lange Stacheln aus dem blassen Gesicht wuchsen. Sein Mund stand weit offen, als würde er lautlos schreien. Hinter einem Streifen weißen Lichts lugten drei merkwürdige Gesichter aus einem runden silbernen Zylinder hervor, als wären sie gerade geschlüpft. Ihre Münder standen ebenso weit offen. Ein Arm, der in einem Jackettärmel steckte, beschützte sie, und die Hand zeigte auf zwei runde Zylinder, die im Weltall schwebten.

      Die Reproduktion des


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