Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg
dass du dir die Zeit für mich nimmst, Roberta«, sagte er, »bestimmt ist die Praxis hackeknacke voll, und ich weiß, wie ungehalten du werden kannst, wenn man dich bei der Arbeit stört.«
Sie war mittlerweile schon so verunsichert, dass sie sich jetzt fragte, ob er einen Detektiv auf sie angesetzt hatte und wusste, dass bei ihr nichts los war.
Sie entschloss sich, auf nichts einzugehen, sondern erkundigte sich ziemlich unwirsch: »Max, was willst du?«
»Ach so, ja. Nun – es ist mir beinahe ein wenig peinlich, doch es ist wichtig für mich. Ich kann bei einer großartigen Frau Pluspunkte sammeln.«
Hatte er überhaupt kein Hirn mehr? Nun, vermutlich nicht, wenn es um seine Eroberungen ging.
Es tat nicht mehr weh, doch es machte sie noch immer wütend.
Sie war nicht sein Kumpel, dem gegenüber man mit seinen Errungenschaften prahlte. Sie war seine Exfrau, hatte die schönsten Jahre ihres Lebens mit ihm verbracht, hatte sich von ihm demütigen und verletzen lassen und hatte ihm dann noch beinahe alles überlassen.
Sie wiederholte, diesmal noch eine Spur unfreundlicher: »Also, was willst du?«
»Ich hab dir vor Jahren mal einen Elefanten aus Elfenbein geschenkt, den du nicht haben wolltest, wegen Artenschutzes oder so was. Nun, den kann ich nicht finden. Hast du ihn gar mitgenommen? Wenn ja, kann ich ihn wiederhaben, da er dir doch nichts bedeutet?«
Es schlug dem Fass wirklich den Boden aus.
»Wenn ich den Elefanten hätte, dann würde ich ihn dir herzlich gern überlassen, weil ich noch immer etwas dagegen habe, dass diese wunderbaren Tiere wegen ihrer Stoßzähne auf grausame Weise umgebracht werden. Und ich werde niemals verstehen, dass man sich einen Elefanten aus Elfenbein in die Vitrine oder sonst wohin stellt und sich mit Ringen und Ketten schmückt.«
Sie machte eine kurze, bedeutsame Pause, ehe sie sagte: »Erinnere dich bitte, Max. Du hattest mal eine Dolly, Holly oder Molly, die du beeindrucken wolltest. Und der hast du diesen Elefanten geschenkt, ohne mich zu fragen. Es war immerhin ein Geschenk. Erstaunlich, dass du jetzt fragst. Aber, wie gesagt, ich kann dir nicht helfen.«
Damit wollte sie das Gespräch beenden, doch er hatte noch etwas auf dem Herzen.
»Roberta, du hast hier eine große Lücke hinterlassen, du fehlst den Kollegen, den Assistentinnen, Helferinnen, und natürlich ganz besonders den Patienten … also, wir würden uns alle freuen, wenn du dich ….«
Sie ließ ihn den Satz nicht beenden.
»Vergiss es, Max. Wie sagt man doch so schön? Kein Fluss fließt zurück … ich hoffe, du kannst deine neue Flamme auch ohne diesen Elefanten beeindrucken.«
Damit legte sie auf.
Er war wirklich schmerzfrei, ihr Ex. Doch dass man sie vermisste, gefiel ihr. Sie vermisste auch ihr altes Leben, zumal in ihrem neuen so überhaupt nichts los war.
Sie legte das Telefon weg, trat ans Fenster.
Von hier aus hatte man einen Blick in den Garten, doch wie schön der war, nahm sie überhaupt nicht bewusst wahr.
Zwei Erlebnisse der besonderen Art hatte sie heute bereits gehabt.
Zuerst diese schreckliche alte Frau, und dann der Anruf ihres Exmannes, der auch so unnötig war wie ein Kropf.
Sagte man nicht … aller guten Dinge sind drei?
Bloß das nicht!
Noch etwas Negatives, und sie würde schreiend ums Haus rennen.
Roberta hatte es noch nicht einmal zu Ende gedacht, als sich die Tür öffnete und Ursel Hollenbrink hereinkam.
Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit machte sie die Tür sorgsam hinter sich zu.
So kannte Roberta ihre resolute Mitarbeiterin nicht.
Ihr schwante nichts Gutes!
Ein drittes Erlebnis der besonderen Art? Es sah alles ganz danach aus.
»Was gibt es, Frau Hollenbrink?«, erkundigte sie sich. »Hat sich etwa noch ein Patient hierher verirrt? So etwas wie diese schreckliche Frau Schulze?«
Ursel Hollenbrink schüttelte den Köpf.
»Nein, kein Patient … Herr Lingen ist draußen, der Wirt vom Seeblick. Der möchte Sie sprechen. Möchten Sie mit ihm reden, oder soll ich ihn wegschicken?«
Roberta hatte ihrer Mitarbeiterin von dem Zwischenfall erzählt, und sie hatte auch darüber gesprochen, wie unmöglich der Wirt sich verhalten hatte.
Am liebsten würde sie ihn wegschicken, doch was sollte es!
»Lassen Sie ihn rein«, sagte sie, dann setzte sie sich hinter ihren Schreibtisch, als könne sie da Schutz finden.
Weswegen war er hier?
Weil das Geld nicht ausreichte, das sie in aller Eile auf den Tisch gelegt hatte?
Um ihr weitere Vorwürfe zu machen, mit denen er, weiß Gott, nicht gespart hatte?
Das war eigentlich kaum denkbar, denn mittlerweile musste er erfahren und vor allem auch begriffen haben, dass sie sich nicht profilieren wollte, sondern das Leben seiner Frau retten.
Er war das personifizierte schlechte Gewissen, und Roberta entschloss sich, unter das Gewesene einen Schlussstrich zu ziehen.
Hubert Lingen entschuldigte sich in aller Form und bedankte sich bei ihr, dann holte er aus seiner Jackentasche einen zerknitterten Geldschein, legte ihn auf den Schreibtisch.
»Das, was Sie für meine Monika getan haben, ist mit Geld überhaupt nicht aufzuwiegen. Ich möchte Ihnen Ihr Geld wiedergeben und zu dem Essen einladen … es tut mir wirklich alles so leid, manchmal vergesse ich meine guten Manieren …«, er versuchte ein schiefes Grinsen. »Soll nicht wieder vorkommen … Sie werden uns doch hoffentlich wieder besuchen? Zunächst mal bleibt allerdings im Seeblick die Küche kalt, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Meine Monika ist nicht zu ersetzen, und die wird erst mal für eine Weile ausfallen. Sie muss in die Reha, und der Arzt im Krankenhaus hat gesagt, dass wir dann weitersehen werden.«
Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her, zerrte am Kragen seines Hemdes.
Er hatte ganz offensichtlich noch etwas auf dem Herzen.
»Frau Doktor, können Sie sich die Akte im Krankenhaus nicht mal ansehen, mal mit dem behandelden Arzt sprechen?«
Sie zögerte.
»Monika möchte sich auch persönlich bei Ihnen bedanken.«.
Sie erklärte ihm, dass sie seine Frau gern im Krankenhaus besuchen wolle, um mit den Ärzten sprechen zu können, müsse Monika ihre Patientin sein.
Das war für ihn überhaupt kein Problem, auf einmal nicht mehr, er erzählte, dass es doch von Dr. Riedel noch die Kartei gebe und dass man selbstverständlich in Zukunft auch zu ihr kommen werde.
Roberta sah in ihrem Computer nach, tatsächlich, es gab die Patientendatei von beiden, doch sie stellte sehr schnell fest, dass sie keine regelmäßigen Arztbesucher waren, ganz besonders er nicht.
Sie wollte ihm keine Angst machen, doch da sie nun offiziell die Ärztin der Lingens war, war es ganz einfach ihre Pflicht, ihn auf das aufmerksam zu machen, was sie vermutete und dass es unumgänglich war, eine große Untersuchung vorzunehmen.
Das mit dem Abnehmen, das dringend notwendig war, konnte sie ihm beim nächsten Besuch sagen.
Bei Patienten wie Hubert Lingen musste man ganz behutsam vorgehen.
»Herr Lingen, darf ich mal Ihren Blutdruck messen?«, erkundigte sie sich.
Er blickte sie verunsichert an.
»Ich glaub, da ist alles in Ordnung, Frau Doktor. Ich bin zwar manchmal ein wenig kurzatmig, doch das liegt an meinem Übergewicht. Die Monika meckert deswegen auch